Berlin. In deutschen Supermärkten werden jährlich Hunderttausende Tonnen an Lebensmitteln weggeworfen. Jetzt macht selbst die Union Druck.

Spätestens seit dem Rücktritt der britischen Premierministerin im Oktober 2022 ist bekannt, wie viel Politik mit Lebensmitteln zu tun hat, denn Liz Truss war kürzer im Amt als ein Eissalatkopf genießbar ist. In Deutschland wäre der Salat längst in der Abfalltonne gelandet, auch wenn er eigentlich noch haltbar ist. Diese Lebensmittelverschwendung wollte die Ampel-Koalition eigentlich ändern.

So steht es im Koalitionsvertrag: „Wir werden (…) die Lebensmittelverschwendung verbindlich branchenspezifisch reduzieren, haftungsrechtliche Fragen klären und steuerrechtliche Erleichterung für Spenden ermöglichen.“ So hatte es Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) im Januar angekündigt: „Polizei und Gerichte sollen sich besser um echte Verbrecher kümmern, statt um Menschen, die noch verzehrfähige Lebensmittel aus dem Abfall retten.“

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Vier Monate sind tatenlos vergangen, jetzt macht die Opposition Druck. Unser Redaktion liegt exklusiv ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag vor, der am Donnerstag ins Plenum eingebracht werden soll. Ziel der Union ist es, die „Lebensmittelverschwendung in Deutschland wirksam zu verringern“.

Ernährung: So viel Essen landet jährlich in der Tonne

Denn in Deutschland landen jedes Jahr elf Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll, davon sieben Prozent im Handel (0,8 Mio. Tonnen) sowie 17 Prozent in der Außer-Haus-Verpflegung (1,9 Mio. Tonnen). Schwierig macht das Thema, dass der größte Teil, nämlich 59 Prozent (6,5 Mio. Tonnen) der Nahrung in den Privathaushalten weggeworfen wird. Das entspricht 78 Kilogramm pro Kopf im Jahr. Dabei könnte man viele Lebensmittel noch genießen, ohne davon Bauchschmerzen zu bekommen.

Marco Buschmann (FDP), Bundesminister der Justiz, und Cem Özdemir (Grüne), Bundeslandwirtschaftsminister, hatten sich vorgenommen, das Containern in Deutschland straffrei zu machen.
Marco Buschmann (FDP), Bundesminister der Justiz, und Cem Özdemir (Grüne), Bundeslandwirtschaftsminister, hatten sich vorgenommen, das Containern in Deutschland straffrei zu machen. © picture alliance / photothek | Felix Zahn

Damit in Zeiten von Ressourcenknappheit keine Lebensmittelabfälle anfallen, wollen die Unionspolitiker unter anderem die kostenlose Weitergabe von Lebensmitteln an die Tafeln, soziale Einrichtungen und Organisationen vereinfachen. Auch das hatten sich Özdemir und sein Regierungskollege Justizminister Marco Buschmann (FDP) eigentlich vorgenommen. Ansatzpunkte sind entweder den Strafbestand des Diebstahls im Strafgesetzbuch zu ändern, um das sogenannte Containern straffrei zu machen, oder die Haftungsfragen zu klären. Nach aktuell gültiger Rechtslage haften die Lebensmittelhändler, wenn jemand Essen aus ihrem Müll nimmt und sich daran den Magen verdirbt. Containern bedeutet für Supermarktbetreiber also ein gewisses Risiko.

Dazu gab es Gespräche auf Arbeitsebene zwischen dem Agrarministerium (BMEL) und dem Bundesjustizministerium (BMJ). Im Januar hieß es aus dem BMEL „ein gemeinsamer Vorschlag ist in Arbeit.“ Die Union will jetzt Unternehmen, die Lebensmittel spenden, von Haftungsrisiken befreien und Lieferwagen der Tafel von der Kfz-Steuer. Auch die Dokumentationspflichten bei Lebensmittelspenden sollen einfacher werden – ein Stückchen Bürokratieabbau sozusagen.

Union kritisiert: Landwirtschaftsministerium hat keinen Überblick

Christina Stumpp, stellvertretende CDU-Generalsekretärin hatte im Bundeslandwirtschaftsministerium nachgehakt, wie viel Essen durch Containern gerettet wird.
Christina Stumpp, stellvertretende CDU-Generalsekretärin hatte im Bundeslandwirtschaftsministerium nachgehakt, wie viel Essen durch Containern gerettet wird. © IMAGO/Chris Emil Janssen

Ein weiterer Kritikpunkt stößt unter anderem der Vize-Generalsekretärin der CDU, Christina Stumpp, sauer auf: Sie hatte im BMEL nachgefragt, wie groß die Menge an gerettetem Essen wäre, wenn das Containern in Deutschland legal wäre. Ergebnis: „Die Bundesregierung kann nicht beantworten, in wie vielen Fällen überhaupt Strafen wegen des Containerns verhängt wurden. Offenbar handelt es sich bei der groß angekündigten Entkriminalisierung des Containerns um ein aufgebauschtes Problem“, sagte Stumpp unserer Redaktion. Deshalb fordert die Union jetzt die Bundesregierung auf „eine umfassende Datenlage mit Blick auf Lebensmittelverschwendung in Deutschland entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu erarbeiten“. Außerdem soll eine bundesweite Kompetenzstelle Unternehmen bei der weiteren Reduzierung der Lebensmittelverschwendung helfen.

Unionsgeführte Länder blockieren die Straffreiheit

Bei all den Bemühungen der CDU/CSU-Fraktion, die Lebensmittelabfälle in Deutschland zu reduzieren muss man allerdings wissen, dass auf Länderebene ausgerechnet die Landesminister aus den Ländern, in denen CDU oder CSU regieren, blockieren. Zum Jahreswechsel hatte der Hamburger Senat vorgeschlagen, Containern über eine einheitliche Vorgabe an die Staatsanwaltschaften straffrei zu machen. Doch eine Sprecherin der Hamburger Verbraucherschutzbehörde teilt auf Nachfrage mit, dass die unionsgeführten Länder dem Vorstoß Hamburgs nicht zustimmen wollten. „Auch der Bundesgesetzgeber hat die Strafbarkeit des Diebstahls an weggeworfenen Lebensmitteln bisher nicht aufgehoben“, gibt die Behördensprecherin zu Protokoll.

Die noch amtierende Berliner Verbrauchersenatorin Bettina Jarasch (Grüne) hatte einen ähnlichen Antrag in der Agrarministerkonferenz eingebracht – hier ließen „einige Unionsländer aus formalen und strittigen Geschäftsordnungsgründen das Container von der Tagesordnung absetzen“, berichtet Staatssekretär Markus Kamrad.

Mehr als 18 Monate ist es her, dass sich die Ampel vorgenommen hatte, die Masse an verschwendeten Lebensmitteln in Deutschland zu reduzieren. Doch von Regierungsseite wurde wenig getan und die Union blockiert das Wenige noch auf Länderebene. Auch 2024 landet also der sieben Tage alte Salatkopf und weitere elf Millionen Tonnen Essen im Müll.

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