Moskau. Man nennt ihn „Putins Koch“. Jewgeni Prigoschin und kennen sich aus Sankt Petersburg. Als Putin noch in der Stadtverwaltung arbeitete, soll er öfters in Prigoschins Restaurant eingekehrt sein. Später, als Putin Präsident wurde, richtete Prigoschins Catering-Firma Staatsbankette aus. Unter den Gästen waren der damalige US-Präsident George W. Bush und Frankreichs Staatsoberhaupt Jacques Chirac.
Heute handelt Prigoschins Armee, die Söldnergruppe „Wagner“, wie eine eigene militärische Macht in Russland. „Ich kann sagen, dass die private Militärfirma „Wagner“ heute eine der entscheidendsten Rollen in der Zone der militärischen Spezialoperation spielt“, teilt Prigoschin auf Telegram mit. Dabei tritt der 61-Jährige immer offensiver auf. Mal zeigt er sich im Kriegsgebiet, mal kritisiert er die russische Militärführung.
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Und Kremlchef Wladimir Putin lässt ihn schalten und walten, als hätte Prigoschins Schattenarmee längst alleine das Zepter der Macht in der Hand. Dabei behauptete Putin in der Vergangenheit, der russische Staat habe nichts mit der „Wagner“-Gruppe zu tun. In der Ukraine kämpfen Prigoschins Soldaten an vorderster Front, brutal im Vorgehen, Deserteure aus den eigenen Reihen werden hingerichtet.
Ukraine: Konflikt zwischen Verteidigungsministerium und „Wagner“-Leuten?
Prigoschins bislang größter militärischer Erfolg scheint die von Kiew dementierte Einnahme der heftig umkämpften Stadt Soledar im Gebiet Donezk zu sein. Diese verkündete er als Erster. Erst später bestätigte dies auch das russische Verteidigungsministerium. Die Stadt sei am Abend des 12. Januar in die Kontrolle der russischen Streitkräfte übergegangen, heißt es in einer Erklärung. Allerdings ohne die Rolle der „Wagner“-Truppe zu erwähnen.
Jewgeni Prigoschin beklagte sich daraufhin über Versuche, die Rolle seiner Kämpfer und ihre Leistungen zu schmälern. Das Verteidigungsministerium veröffentlichte später eine Aktualisierung, in der es das „mutige und selbstlose Handeln“ der „Wagner“-Kämpfer pries. Kremlsprecher Dmitri Peskow bestreitet, dass es einen Konflikt zwischen Verteidigungsministerium und den „Wagner“-Leuten gegeben habe. Dies sei eine Erfindung der Medien, so Peskow. Bei den Berichten über eine angebliche Kluft zwischen den Streitkräften und „Wagner“ handle es sich um Informationsmanipulationen. Russland erkenne beide als Helden an, und „beide werden für immer in unserem Gedächtnis bleiben“.
Wagner-Gruppe: Die wohl mächtigste Privatarmee der Welt
Führender Kopf der Söldnertruppe ist, neben Prigoschin, Dmitri Utkin. Er bewundert den von den Nazis hoch geschätzten Komponisten Richard Wagner. Nach seiner Karriere im russischen Militärgeheimdienst GRU soll Utkin von 2014 an aus Veteranen von Spezialeinheiten eine schnelle Eingreiftruppe unter dem Kampfnamen „Wagner“ gegründet haben. Es ist die wohl mächtigste Privatarmee der Welt, eingesetzt bereits an vielen Orten der Erde.
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Nach US-Schätzungen sind in der Ukraine 50.000 „Wagner“-Söldner im Einsatz, darunter 40.000 Strafgefangene. In Russlands Straflagern ging Prigoschin ein und aus, um dort Verurteilte in den Krieg zu locken – mit dem Versprechen, sie bekämen nach Ende ihres Dienstes die Reststrafe erlassen. Prigoschin konnte eigenmächtig und ohne Rechtsgrundlage agieren. Der Kreml schaute zu.
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Experten sehen Anzeichen für Putins zunehmenden Kontrollverlust
Das von Journalisten-Organisationen gegründete internationale OCCRP-Recherchenetzwerk zur Organisierten Kriminalität und zu Korruption wählte Prigoschin gerade zur „Person des Jahres“. Das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) beschäftigt sich immer wieder mit Prigoschin und seinem möglichen Streben nach einem Amt. Die Denkfabrik wertete ein Interview Prigoschins mit dem russischen Staatssender RT unlängst als Versuch, in der Gesellschaft mit markigen Worten und populistischen Ansichten an Ansehen und Einfluss zu gewinnen. So schlug er etwa vor, Russlands Milliardären alles zu nehmen, damit sie sich für den Krieg engagieren.
Experten sehen Prigoschins wachsenden Einfluss nicht zuletzt als ein Anzeichen für einen Kontrollverlust Putins, der als Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte letztlich auch für die Vielzahl an Niederlagen in dem Krieg in der Ukraine verantwortlich gemacht wird. „Es sieht jetzt so aus, als halte sich das Regime vor allem dank Prigoschin“ meint der Politologe Abbas Galljamow. Bei der Präsidentenwahl in gut einem Jahr hätte Prigoschin allerdings keine Chancen, so der Politologe. Die Angst vor einem allmächtigen Prigoschin schweiße die Eliten Russlands zusammen. Galljamow ist überzeugt, dass sie einen Präsidenten Prigoschin zu verhindern wissen.
Prigoschin sagt, er wolle nicht in die Politik
Prigoschin selbst dementiert politische Ambitionen. „Meine Aufgabe ist es, die Pflicht vor dem Heimatland zu erfüllen, und ich plane heute keine Parteien zu eröffnen, geschweige denn in die Politik zu gehen.“ Ein politisches Amt wäre ihm zu wenig, so sieht es der Politikwissenschaftler Alexei Makarkin. „Keine öffentliche Position, nicht einmal die Position des Verteidigungsministers, deckt alle Interessen von Prigoschin ab.“
Wladimir Putin jedenfalls hat jetzt gegengesteuert. Erst im letzten Oktober wurde der von Prigoschin hoch geschätzte Sergej Surowikin zum Oberbefehlshaber der russischen Truppen in der Ukraine ernannt. Nun setzte ihm Putin demonstrativ Generalstabschef Waleri Gerassimow vor die Nase. Und Surowikin wurde zum Stellvertreter degradiert.
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