Berlin . Wladimir Putin gibt der Ukraine die Schuld an der Explosion auf der Krim-Brücke. Kiew lässt offen, ob seine Agenten beteiligt waren.

Die für Russland strategisch und symbolisch wichtige Krim-Brücke ist am frühen Samstagmorgen von einer schweren Explosion erschüttert worden. Nach russischen Angaben war ein Lastwagen explodiert. Dadurch sollen weiter entfernt sieben Kesselwagen eines Güterzuges, die mit Diesel gefüllt waren, in Brand geraten sein. Außerdem stürzten Teile der Brückenautobahn ins Meer.

Mindestens drei Menschen sollen dabei getötet worden sein, darunter auch der Fahrer des Lastwagens. Er stamme aus der russischen Region Krasnodar, heißt es in Moskau. Zwei Fahrer eines Pkw, der zum Zeitpunkt der Explosion neben dem Lkw fuhr, seien ebenfalls getötet worden, melden russische Quellen.

Der russische Präsident Wladimir Putin machte am Sonntagabend die Ukraine für die Explosion verantwortlich. Er beschuldigte den ukrainischen Geheimdienst SBU: „Es gibt keine Zweifel. Das ist ein Terrorakt, der auf die Zerstörung kritischer ziviler Infrastruktur der Russischen Föderation ausgerichtet war“, sagte Putin.

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Ukraine-Krieg: Welche Bedeutung hat die Krim-Brücke?

Für den Wladimir Putin ist die rund 18 Kilometer lange Brücke eminent wichtig. Sie verbindet das russische Festland mit der Halbinsel Krim. Moskau sieht darin die steingewordene Verbindung zwischen Russland und der 2014 annektierten Krim. Über die Eisenbahnlinie sowie sie vier Fahrspuren lief ein Großteil des Nachschubs für die russischen Truppen im Süden der Ukraine.

Für das Bau-Projekt warf Putin sein persönliches Gewicht in die Waagschale: Er weihte die Brücke 2018 selbst ein, steuerte einen Lkw und saß im Fahrer-Cockpit des Zuges. Die schwere Beschädigung der Brücke ist auch ein Angriff auf die Autorität des Kremlchefs.

Brücken-Explosion: Wer steckt hinter dem mutmaßlichen Anschlag?

Die genauen Hintergründe sind auch nach Putins Beschuldigung noch unklar. Russische Marinetaucher untersuchten am Sonntag das Meer rund um den Ort der Explosion. Klar ist: Die Beschädigung ist ein riesiger Propagandaerfolg für die Ukraine. In Kiew zelebrierte man geballte Schadenfreude. „Krim. Die Brücke. Der Anfang“, feixte Mychajlo Podoljak, Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, auf Twitter. „Alles Illegale muss zerstört werden, alles Gestohlene muss an die Ukraine zurück.“

Der Sekretär des ukrainischen Sicherheitsrats, Olexij Danilow, veröffentlichte auf Facebook Aufnahmen der teilweise zerstörten Brücke. Daneben stellte er ein Video, das die Hollywood-Legende Marilyn Monroe zeigt, wie sie im Jahr 1962 für den damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy das Geburtstagsständchen „Happy Birthday, Mr. President“ singt. Putin feierte am Freitag seinen 70. Geburtstag.

Explosion auf Krim-Brücke: Was hat die Ukraine damit zu tun?

Der ukrainische Präsident Selenskyj ließ eine Beteiligung seines Landes an der Explosion auf der Krim-Brücke offen. In der Ukraine sei es zum großen Teil sonnig und warm gewesen, „auf der Krim leider bewölkt, obwohl auch dort warm“, sagte er am Samstagabend in seiner täglichen Videoansprache in Anspielung auf die morgendliche Detonation an der Brücke. Dies alles deutet auf eine Aktion des ukrainischen Geheimdienstes SBU. Die „New York Times“ zitiert einen hochrangigen ukrainischen Regierungsbeamten, der den SBU als Drahtzieher des Anschlags nennt.

Doch bestätigt wurde dies nicht. Der ukrainische Präsidentenberater Podoljak verwies vielmehr auf einen Machtkampf zwischen der russischen Armee und dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB. Der FSB versuche die Armeespitze auszuwechseln und sei nun plötzlich selbst angeschlagen, weil er den Angriff auf die Brücke verschlafen habe. „Ist es nicht offensichtlich, wer die Explosion verursacht hat?“, übte sich Podoljak in Verschwörungstheorien.

Eine Explosion und ein schwerer Brand haben die Krim-Brücke zwischen Russland und der von Moskau annektierten Krim schwer beschädigt.
Eine Explosion und ein schwerer Brand haben die Krim-Brücke zwischen Russland und der von Moskau annektierten Krim schwer beschädigt. © Uncredited/AP/dpa

Zerstörung auf der Krim-Brücke: War es ein russischer Geheimdienst?

Dabei war offiziell der FSB gar nicht für den Schutz der Brücke zuständig. Die Aufgabe teilten sich bisher Verteidigungsministerium, Nationalgarde und Verkehrsministerium. Putin wies den Geheimdienst erst nach der Explosion per Dekret an, die Kontrolle über die beschädigte Krim-Brücke zu verschärfen.

„Dem FSB werden die Vollmachten übertragen zur Organisation und Koordination von Schutzmaßnahmen für den Transportweg über die Meerenge von Kertsch, für die Strombrücke der Russischen Föderation auf die Halbinsel Krim und die Gaspipeline vom Gebiet Krasnodar zur Krim“, heißt es in dem Dekret. Es ist die erste Maßnahme, die der Kreml nach der Explosion ergriff. Öffentlich äußern wollte sich Putin jedoch nicht. Eine Ansprache des Präsidenten an die Russen sei nicht geplant, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow.

Theoretisch könnten auch radikale russische Militärblogger für den mutmaßlichen Anschlag auf der Krim-Brücke verantwortlich sein. Sie übten seit Wochen scharfe Kritik an der russischen Militärführung. Angesichts der erfolgreichen ukrainischen Gegenoffensive im Osten und Süden forderten sie harte Gegenschläge bis hin zum Einsatz von taktischen Atomwaffen.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Zerstörung an Krim-Brücke: Was bedeutet das für Putin?

Russische Analysten sehen in dem mutmaßlichen Anschlag vor allem einen psychologischen Effekt. „Das alles führt zu einer massiven Schwächung der Loyalität der Sicherheitsstrukturen gegenüber der politischen Führung des Landes“, betonte der Politologe Abbas Galljamow. Es könne zu Zwietracht im Machtapparat kommen und die Gefahr eines Putsches erhöhen.

Ukraine-Krieg: Wie wird Moskau reagieren?

Will Putin den Schwund seiner Autorität aufhalten, muss er reagieren. Die russische Politologin Tatajana Stanowaja verwies darauf, dass der Präsident oft mit großer Verzögerung zurückschlage. Er habe Übung darin, Niederlagen herunterzuspielen und wegzustecken. Am wahrscheinlichsten sind massive Attacken auf zivile Ziele in der Ukraine: Krankenhäuser, Schulen, Kraftwerke. Auch eine Bombardierung von Atomreaktoren wie Saporischschja ist nicht ausgeschlossen.

Als Akt der Verzweiflung ist auch ein Einsatz von Nuklearwaffen theoretisch denkbar. Es wäre jedoch ein zweischneidiges Schwert: Durch die radioaktive Verstrahlung wären auch die eigenen Truppen gefährdet. Je nach Windrichtung könnte auch die russische Bevölkerung in Mitleidenschaft gezogen werden. Außerdem haben die USA mit massiver Vergeltung gedroht, sollte es zum Einsatz von Atomwaffen seitens Russland kommen.

Mit welchen Gegenreaktionen der Ukraine wäre zu rechnen?

Im Gegensatz zu den desorganisierten russischen Verbänden sind die ukrainischen Truppen hoch motiviert: Sie wollen ihr angegriffenes Land um jeden Preis verteidigen. Die russische Generalität gilt als korrupt. Sie konnte bislang den eigenen Einheiten nicht das große Kriegsziel vermitteln, für das es sich zu kämpfen lohnt. Die Ukraine wird versuchen, dank moderner westlicher Waffen und extensivem Training in Nato-Staaten die russischen Soldaten zurückzudrängen. Sollte es auf dem Schlachtfeld eng werden, wird die Ukraine zu einem Guerilla- und Partisanenkrieg übergehen. Die Taliban in Afghanistan haben es vorgemacht: 1989 mussten die Russen nach zehn Jahren Besetzung abziehen.

Ukraine-Krieg: Droht eine atomare Apokalypse?

Bislang ließ Putin seinen Nuklear-Drohungen keine Taten folgen. Dabei lief für ihn nichts nach Plan: Er erzielte keinen Blitzkrieg-Sieg, er installierte kein Satellitenregime in Kiew, der Westen rüstet die Ukraine mit modernen Waffen aus, der Ukraine gelingen Gegenoffensiven. Die Verbreitung von Angst – auch vor einem Atomkrieg – gehört zum Instrumentenkasten seiner psychologischen Kriegsführung. Nur in einem Akt äußerster Verzweiflung könnte er zum Einsatz von Kernwaffen greifen.

Die Amerikaner hatten für diesen Fall „schwere Konsequenzen“ angedroht, ohne konkret zu werden. Putin müsste jedoch mit einem nuklearen Gegenschlag rechnen. Handelt er rational, gibt es für ihn nur einen Ausweg: den Versuch, den Status quo ante vor Kriegsbeginn am 24. Februar zu erreichen. Mit einem Sonderstatus für den Donbass und möglicherweise die Krim. Der Haken an der Sache: Würden das die Hardliner in Moskau akzeptieren? Und: Würde sich die Ukraine damit zufriedengeben? (mit dpa)

Dieser Artikel erschien zuerst auf www.morgenpost.de.