Berlin. Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt: Verschwörungstheoretiker lehnen ukrainische Geflüchtete ab. Experten befürchten Gewalt.

Ukrainische Flüchtlinge, die angeblich mit europäischen Hilfsgeldern Immobilien in Russland kauften. Falschmeldungen wie diese, die auf nachgebauten Webseiten etablierter Medien erscheinen, zeigen, wie stark ukrainische Geflüchtete im Fokus von Verschwörungserzählungen stehen.

Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung weist nun auf den Zusammenhang zwischen konspirativen Theorien und der Ablehnung von ukrainischen Geflüchteten im Rahmen der Energiekrise und daraus sich ergebende Gefahren hin.

Studie: Zusammenhang von Verschwörungstheorien und Ablehnung von Ukrainern

Rund neun Prozent der 6200 Befragten glaubten der Erzählung, dass der Ukrainekrieg der Ablenkung von der Corona-Pandemie diene und auf vermeintlich gleiche Weise künstlich dramatisiert werde. Ein Großteil dieser Personen unterstützt außerdem Aussagen, die Geflüchtete aus der Ukraine abwerten. Die Überschneidung zwischen beiden Gruppen sind erheblich, wie es in einer Pressemitteilung heißt.

Verbreitet seien solche Ansichten vor allem bei Menschen, die in der Energiekrise finanzielle Sorgen und Angst vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes haben und demokratischen und öffentlichen Institutionen kaum Vertrauen schenken.

Politisch stünden diese Befragten der Alternative für Deutschland (AfD) nahe. Deren Anhänger stimmen laut Studie dreimal häufiger verschwörungstheoretischen und Ukrainer-feindlichen Aussagen zu als andere Parteiunterstützerinnen und -unterstützer. Personen, die nicht wählen gehen, doppelt so häufig. Auffällig ist, dass die Zustimmungsrate überdurchschnittlich hoch ist bei Menschen mit niedrigem Schulabschluss und geringerem Einkommen und etwas häufiger bei jüngeren Befragten und Ostdeutschen.

Coronaleugner werden zu Kreml-Unterstützern

Dr. Andreas Hövermann, Soziologe und Autor der Studie, stellt eine Kontinuität von Anhängern von Verschwörungsmythen in der Corona-Pandemie und in der jetzigen Situation fest: „Ein erheblicher Anteil derjenigen, die jetzt Verschwörungsdenken zum Ukraine-Krieg teilen, waren bereits zu Beginn der Pandemie bereit, konspirativen Deutungen über das Virus zu glauben.“

Laut Hövermann verdeutlichen die Befunde, „wie austauschbar und anpassungsfähig letztlich der Inhalt der angeblichen Verschwörungen ist“. Dem stimmt Mauritius Dorn, Senior Digital Policy and Education Manager beim Institute for Strategic Dialgue Germany (ISD), zu. „Es gab einen nahtlosen Übergang in den Verschwörungserzählungen, wie die Begriffe Coronalockdown und Energielockdown zeigen.“

Wer an eine Verschwörung glaubt, glaube an mehrere, fügt Josef Holnburger hinzu. Er ist Geschäftsführer des Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS), das ebenfalls wie das ISD Germany unter anderem im Bereich Desinformation und Extremismus forscht.

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Die Erzählungen hätten immer den gleichen Kern: Eine geheime Gruppe von Verschwörern mit einem umfassenden Machtapparat. „Es kann sogar sein, dass sich widersprechenden Erzählungen geglaubt wird, zum Beispiel, dass die Erde flach und hohl ist“, so Holnburger. „Es geht darum, den Status Quo abzulehnen.“

Verschwörungstheoretiker: Experten warnen vor gewaltsamer Eskalation

Er warnt: Je schlimmer eine Krise sei, desto eher stärke das die Mobilitätsfähigkeit für Proteste und illegale Aktionen. Er sieht die Gefahr, dass zu gewaltsamen Mitteln gegriffen wird, wie es beispielsweise in der Flüchtlingskrise 2015 geschehen ist. Anzeichen für eine sich zuspitzende Radikalisierung seien die zunehmende Verbreitung von antisemitischen Verschwörungsmythen, Personifizierungen von Feindbildern und die Entmenschlichung dieser.

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Besteht die Gefahr, dass Ukrainerinnen und Ukrainer ins Visier gewaltbereiter Gruppen geraten? Dies könne sicherlich vorkommen, sagt Mauritius Dorn vom ISD Germany. Dennoch glaubt er nicht, dass ukrainische Geflüchtete allein die Menschen für Straßenproteste mobilisieren werden, zumal sich die rechte Szene bislang uneinheitlich gegenüber den Menschen aus dem Kriegsland positioniert hat.

Fazit: Maßnahmen, um gewaltsame Proteste vorzubeugen

Sowohl die beiden Experten für Desinformation als auch Andreas Hövemann von der Hans-Böckler-Stiftung sind sich einig, dass die Proteste gegen steigende Preise nicht den Rechten und Verschwörungsideologinnen und -ideologen überlassen werden dürfen. Laut Hövemann stünden diese bereits in den Startlöchern. Er schlägt vor, für sichere Beschäftigung mit gutem Einkommen, Wertschätzung und Mitwirkungsmöglichkeit zu sorgen. Außerdem brauche es eine wirksame Abfederung der hohen finanziellen Belastungen durch die Inflation.

Flankiert wird seine Forderung von Dr. Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung: „Entlastungen müssen substanziell sein, schnell kommen und so klar strukturiert und kommuniziert sein, dass sie für die Menschen erfahrbar sind.“ Sie sieht nicht zuletzt die Zivilgesellschaft in der Pflicht, Diskriminierung und Verschwörungstheorien wirksam entgegenzutreten.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.