Berlin. Im Innenministerium wird Horst Seehofers Entwurf „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ genannt. Bei SPD-Innenministern stößt vieles auf Kritik.

Es ist eines der wichtigsten Projekte von Innenminister Horst Seehofer: Deutschland soll schneller und mehr Menschen abschieben. Dafür hat er ein Gesetz entworfen, das sein Ministerium „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ nennt. Der CSU-Politiker will die Abschiebehaft ausweiten, vor allem ausländische Straftäter sollen schneller ausgewiesen werden – und auch, wer nicht an seiner Abschiebung mitwirkt, etwa weil ein ausreisepflichtiger Ausländer nicht mithilft, seinen Reisepass zu beschaffen.

Doch Seehofers Plan stößt auf Gegenwehr – vor allem durch SPD und Grüne, aber auch in der eigenen Partei. In einer „ersten, nicht abschließenden Stellungnahme“, die unserer Redaktion vorliegt, gehen die SPD-Innenminister mehrerer Bundesländer auf Distanz zu Seehofers Gesetzentwurf. Vor allem die vom Bundesinnenminister vorgeschlagene „Duldung light“ lehnen sie ab.

SPD-Innenminister gegen „Duldung zweiter Klasse“

Seehofers Ressort will Ausreisepflichtige stärker rechtlich darin unterscheiden, ob sie an ihrer Abschiebung mitwirken oder nicht. Wer sich gegen seine Ausreise sperrt oder gar täuscht, um in Deutschland zu bleiben, soll eine „Bescheinigung über die vollziehbare Ausreisepflicht“ erhalten, einen Status noch unterhalb der Duldung.

Die SPD-Minister lehnen dieses Vorhaben als eine „Duldung zweiter Klasse“ ab. Bisher gilt: Bei Geduldeten ist die Abschiebung ausgesetzt, weil Reisedokumente fehlen, den Menschen in ihrer Heimat etwa Folter droht oder sie so krank sind, dass sie nicht fliegen können. Vor allem wer nicht daran mitwirkt oder mitgewirkt hat, dass die deutschen Behörden einen ausreisepflichtigen Menschen abschieben können, soll laut Seehofer den Status der Duldung verlieren.

Die SPD-Innenminister sehen vor allem kritisch, dass in dem Gesetzentwurf der „Katalog schädlicher Handlungen“ durch die Ausländerbehörden „mehr oder minder beliebig erweitert werden kann“. Wer „irgendwann“ einmal eine falsche Angabe gemacht habe, verharre möglicherweise zeitlebens in dieser „Duldung zweiter Klasse“, schreiben die SPD-Politiker in ihrer Stellungnahme. Federführend war nach Informationen unserer Redaktion Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius.

SPD-Politiker sehen „erweiterte Vorbereitungshaft“ kritisch

Die SPD-Minister warnen zudem vor den Folgen für einen Menschen, wenn dieser seine Duldung verliere: Er oder sie verliert die Arbeitserlaubnis, darf nicht zur Schule gehen und muss zwingend an einem Ort wohnen bleiben. Kritisch sehen die Länderminister zudem die Einführung einer „erweiterten Vorbereitungshaft“. Wenn ein Mensch seine Abschiebung behindert, soll er laut Seehofers Gesetzentwurf inhaftiert werden können.

„Ein solches Instrument ist unverhältnismäßig und unwirksam“, schreiben die SPD-Politiker, da diese Form der Haft einer „Beugehaft“ gleichkäme, die auf 14 Tage begrenzt ist. Der Staat dürfe also niemanden im Gefängnis halten, um seine Mitarbeit an der Abschiebung zu erzwingen, etwa damit eine Ausländerbehörde schneller an Passersatzpapiere kommt.

Hintergrund: Wie Horst Seehofer mehr Abschiebungen durchsetzen will

SPD-Innenminister stimmen auch Punkten in Seehofers Entwurf zu

Trotz der Kritik an mehreren Punkten in Seehofers geplanten Gesetz stimmen die SPD-Innenminister in ihrem Schreiben, das auch an das Bundesinnenministerium gegangen sein soll, vielen Vorschlägen zu: So halten es die Sozialdemokraten für richtig, dass künftig bestraft wird, wer einen Menschen vor seiner Abschiebung warnt, etwa weil er den konkreten Zeitpunkt oder Zeitraum verrät oder im Internet öffentlich macht. Auch wer einem Ausländer dazu berät, bei den Behörden seine Identität zu verschleiern, soll bestraft werden.

Droht laut Polizei durch einen ausreisepflichtigen Ausländer eine unmittelbare Gefahr für die Sicherheit Deutschland, etwa durch mutmaßliche Terroristen, soll diese Person künftig in eine „Vorbereitungshaft“ für seine Abschiebung genommen werden können.

Bisher dürfen Menschen, die in Abschiebehaft sitzen, nicht mit Kriminellen und Schwerverbrechern gemeinsam untergebracht werden. Dieses „Trennungsgebot“ will Seehofer aufweichen. Seine Begründung: in den Bundesländern gibt es zu wenige Plätze für Abschiebehaft. Auch hier stimmen die SPD-Minister grundsätzlich zu.

Seehofers Ministerium hebt aber auch hervor, dass ausreisepflichtige Ausländer und Kriminelle sich nicht begegnen sollen und nur Gebäude und Personal gemeinsam genutzt werden soll. Ohnehin ist dies nur eine Übergangsmaßnahme, bis mehr Plätze in speziellen Abschiebehaftanstalten gebaut seien.

Seehofer begründet Vorstoß mit gescheiterten Abschiebungen

Seehofer begründet seine Vorstöße vor allem mit der aus seiner Sicht weiterhin hohen Zahl an gescheiterten Abschiebungen in Deutschland. 2018 waren 236.000 Ausländer zur Ausreise verpflichtet, vor allem weil ihr Antrag auf Asyl abgelehnt wurde. Bei 180.000 ist die Abschiebung allerdings mit einer „Duldung“ ausgesetzt. Nur 56.000 Ausländer mussten Ende 2018 tatsächlich Deutschland verlassen.

In vielen Fällen gelingt das sogar dadurch, dass die Menschen freiwillig ausreisen, oft auch mit Hilfe der deutschen Behörden etwa durch Starthilfen im Heimatland. Im vergangenen Jahr schob der Staat zudem 26.000 Menschen mit Zwang durch die Polizei ab. Allerdings scheiterte dies laut Innenministerium auch in 31.000 Fällen – darunter 8000 noch am Tag der geplanten Ausreise, etwa weil der Mensch nicht am gemeldeten Aufenthaltsort war.

Auch Justizminister der Länder sehen Seehofers Gesetzentwurf kritisch

Noch deutlicher als die Innenminister üben die Justizminister von SPD und Grüne in den Bundesländern Kritik an den Plänen von Seehofer zur Verschärfung der Abschiebepolitik. In einem Brief, unterzeichnet von Hamburgs Justizsenator Till Steffen (Grüne), schreiben die Politiker, dass der Gesetzentwurf „insgesamt undifferenziert“ und „in weiten Teilen verfassungsrechtlich und rechtspolitisch bedenklich“ sei. Auch dieser Brief liegt unserer Redaktion vor.

Steffen kritisiert gegenüber unserer Redaktion: „Statt nüchtern zu schauen, wo wir im Bereich Flucht und Asyl bessere Regeln brauchen, macht Seehofer Gesinnungspolitik.“ Anscheinend habe die CSU nicht verstanden, dass das Grundgesetz für alle Menschen in Deutschland gelte. „Auch für die, die abgeschoben werden können.“

Hintergrund: Horst Seehofers Abschiebe-Pläne – und die Realität

Auf eine Anfrage zu einer Stellungnahme zu den Briefen reagierte das Innenministerium am Donnerstag nicht. Derzeit ist der Gesetzentwurf in der Ressortabstimmung. Das Bundesjustizministerium prüft die Vorhaben des Innenministers. Wie Steffen und andere Länderminister war auch Bundesjustizministerin und SPD-Politikerin Katarina Barley auf Distanz zu Seehofers Plänen gegangen. Am Freitag soll es ein weiteres Treffen zwischen den beiden Ministerien geben.

Dass die SPD Seehofer zumindest in Teilen kritisiert, damit dürfte der CSU-Politiker gerechnet haben. Doch Kritik kam unlängst sogar aus den eigenen Reihen. Das „Handelsblatt“ hatte berichtet, dass auch die Justizminister der unionsregierten Bundesländer auf Distanz gehen. Die CDU-Minister klagen demnach in einem Schreiben an Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus, dass Seehofers Gesetzentwurf „dem Anspruch leider nicht“ genüge, „zur Stärkung des Rechtsstaates und zum Sicherheitsgefühl der Bürger und Bürgerinnen“ beizutragen. (Christian Unger)