Berlin. Wer mit Mitte 40 Lederjacke trägt, kann auch neben seiner jüngeren Freundin was hermachen. Aber was, wenn es die eigene Tochter wäre?

An dieser Stelle sollte eigentlich ein Text über das weltweite Chaos in Callcentern, nie angekommene DHL-Pakete und die Kultur der Verantwortungslosigkeit stehen, aber dann – wie soll ich sagen – driftete ich ab. Ich saß im Zug nach Stuttgart auf dem Weg zu meiner Lesung und erfreute mich an der Lektüre der Zeitschrift „Gala“.

Gleich bei der Titelgeschichte blieb ich hängen. Darin ging es um die „neuen Powerpaare aus Show, Sport und Politik“, zu denen offenbar unter anderem Gerhard und So-yeon Schröder-Kim und Bettina Wulff und ihr Freund Jan-Henrik Behnken zählen.

Bei Christian Lindner (40) und seiner Freundin Franca Lehfeldt (28) blieb mein Blick dann etwas länger hängen – vor allem, weil ihr Kleid (rosa Chiffonseide, kurz) so umwerfend aussah. Ebenso, weil er auf dem Foto in einer schwarzen, glänzenden Lederjacke neben ihr steht.

Bruno mit der Lederjacke

Zugegeben minutenlang nahm ich das Kleidungsstück, welches Stylisten wohl als „mutig“ beschreiben würden, in Augenschein. Im Text daneben stand sinngemäß soviel wie: Sie profitiert von seiner Lebenserfahrung, er von ihrer jugendlichen Leichtigkeit. Und auch wenn es mir meine anerzogene Höflichkeit verbietet, war dagegen anzukämpfen sinnlos:

Vor meinem geistigen Auge sah ich meine heute fünf Jahre alte Tochter als 28-jährige junge Frau, studiert und voller Ambitionen. Wie sie mit Christian, pardon, nennen wir ihn Bruno, eines Tages durch unsere Haustür kommt. Er so ganz schüchtern (obwohl wir dann quasi gleich alt sind): „Guten Abend, Frau Rosales, Lila hat schon so viel von Ihnen erzählt …“ Und ich wie in einer schlechten Fernsehkomödie: „Ja, ich mich auch, Herr …“ „Bruno …“, würde er mich ganz schnell unterbrechen, „nenn mich Bruno.“

Christian Lindner, Parteivorsitzender der FDP, und seine Freundin Franca Lehfeldt.
Christian Lindner, Parteivorsitzender der FDP, und seine Freundin Franca Lehfeldt. © dpa | Henning Kaiser

Ich mit Unschuldsmiene, meine Tochter mit gekniffenen Augen

Dann würde mein Blick zu meiner Tochter wandern, die neben ihm steht und mittlerweile seine Hand ergriffen hat. Ich würde sie anschauen und sie mich, wir würden denken, dass wir wissen, was die andere denkt; die Augen meiner Tochter würden sich zu Schlitzen formen (das beherrscht sie schon heute mit fünf Jahren sehr gut), und ich würde eine Unschuldsmiene aufsetzen.

Später, wenn BRUNO wieder aus der Tür ist nach einem kurzen Kaffeeplausch zum Kennenlernen, würde sie dann komplett die Beherrschung verlieren und rufen: „Ich weiß genau, was Du denkst!“ Und ich würde ganz ahnungslos antworten: „Die Lederjacke?“ „Mama“, würde sie dann rufen. „Der Bruno ist nicht so, der wirkt viel jünger und fühlt sich auch gar nicht seinem Alter entsprechend. Der hat Lust, mit meinen Freunden abzuhängen, mit uns auszugehen.“

Über Stuttgarter Hip-Hop diskutieren? Vielleicht auch nicht

„Ja“, würde ich dann sagen, mit einem Pokerface, „deshalb sage ich ja auch nichts“. Spätestens dann würde Lila kurz auflachen und ich auch ein bisschen, aber wir würden es gegenseitig voreinander bestreiten, weil das ja total unfair und unhöflich gegenüber Bruno wäre. Ich würde mir dann vorstellen, wie Bruno und ich im nächsten Sommerurlaub über Stuttgarter Hip-Hop der Neunziger diskutieren – nee, vielleicht würde ich das auch nicht tun.

Vor allem aber würde ich Lila vor mir selbst in Schutz nehmen und daran denken, dass ich mit 25 Jahren auch einen Bekannten hatte, der älter war, und dass die beiden auch ein ganz tolles Powerpaar abgeben werden. Lila könnte ja schließlich nach sieben Jahren Studium und einer exzellenten Schulbildung von der „Lebenserfahrung“ eines älteren Mannes nur profitieren, und er von ihrer „jugendlichen Leichtigkeit“ – aber da setzt die Vorstellung einer Mutter aus Selbstschutz besser aus.

Bruno ist bestimmt kein schlechter Kerl, würde ich mir dann sagen, und das mit der Lederjacke, ach, nein: Bruno, Christian, Gerhard, Klaus und alle Rüdigers, Jürgens, Phillips sind ganz feine Typen.

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