Berlin. Charlotte Roche folgt dem Ruf der Natur, Waldkitas und Naturschulen eröffnen. Als Ex-Waldorfkind sagt unsere Autorin: Tut es nicht!

Ich weiß echt nicht, wann es genau losging, aber auf einmal ist da überall Wald. Natur. Dreck. Matsch. Charlotte Roche rief schon in ihrer Kolumne im „Süddeutsche Magazin“ vor ein paar Monaten dazu auf, dem Ruf der Stille zu folgen und die Städte zu verlassen. Heute nimmt sie in ihrer NDR-Sendung „Die Geschichte eines Abends“ am Lagerfeuer Fische auseinander und träumt mit ihren Gästen vom ursprünglichen Leben.

Nebenbei soll uns Peter Wohllebens Bestseller „Das geheime Leben der Bäume“ zu weniger frustrierten Großstädtern machen. Und überall eröffnen die Wald-Kindergärten. Naturschulen. Inserate für Ferienkurse mit dem Förster hängen in jedem Bio-Supermarkt, Wildwärts-Workshops für Kinder gehören zu den Grundsäulen der korrekten Erziehung.

Meine Eltern wollten für mich die Welt verbessern

Ja, denke ich dann immer. Wenn die wüssten. Aber DIE müssen ja gar nicht wissen, denn ich kann es ja einfach erzählen. Und jetzt alle ­naturaffinen Elternpaare die Ohren gespitzt: Ich war auch so eine. Oder besser gesagt: Musste es sein. Ein Müsli-Mädchen, Tochter von zwei linksalternativen Akademikern, die alles besser und die Welt gerechter für ihre Tochter machen wollten.

Meine Eltern, sie kauften im Reformhaus ein, lehnten Plastikschlappen ab, hatten in Peru den einen oder anderen Berg erklommen. Ich sollte kein Kind der Konsumgesellschaft werden. Barbies gab es nur unter hohem Protest meiner Eltern und auch nur bei Oma. Mikrowellen, Süßigkeiten mit Industriezucker wie Capri-Sonne oder gar Kapitalisten-Cola aus Amerika waren der Feind.

Ich habe den nassen kalten Wald gehasst

Mit vier Jahren besuchte ich einen Waldkindergarten in Bonn. Das war lange bevor diese „Lasst die Kinder Kinder sein“-Maxime Mode wurde. Nein, ich saß ganz unideologisch im Wald fest. Und ich hatte keinen Bock. Ich erinnere mich, wie ich als Vierjährige schier einen Krampf bekam, wenn die Erzieherin rief: „Los, los, räumt die Puppen in die Kiste, wir ziehen die Jacken und die Gummistiefel an.“

Mutlos stapfte ich dann in die Garderobe. Ich hasste den Wald. Sowieso verstand ich die absurde Idee nicht, warum ich ins immer Nasse, Kalte rausgehen sollte, wenn es doch im Kindergarten so gemütlich war.

Jede Kacke am Schuh wurde wie ein Wunder behandelt

Im immer selben Waldstück angekommen, wo so eine Art selbst gebaute Hütte des Kindergartens stand und über Nacht dann auch mal leere Bierflaschen lagen, versuchte ich, einen trockenen Spot (und finde den mal) für meinen Po zu finden. Das Konzept der gummierten Regenhose war in den Achtzigerjahren noch nicht bekannt. „Ach, schaut mal“, rief die Erzieherin dann immer. „Da hat jemand seinen Müll heute Nacht in unserer Hütte vergessen. Schnell, Caroline, hol eine Tüte, da können sich Tiere verletzen.“

Also stand ich jedes Mal auf, um irgendeinen unserer mitgebrachten Batik-Jutebeutel zu holen – Plastiktüten waren ja damals schon Exponate aus der Hölle. Dann ging es ans Wandern und Entdecken. Dabei wurde jede Kacke, in die ich trat, wie ein echtes Wunder behandelt.

„Oh, schaut mal, Kinder, was Caroline da am Gummistiefel klebt, das könnten die Exkremente eines hier selten gewordenen Rotfuchses sein“, so die Erzieherin. Später ging es für mich zu den Pfadfindern, zum Campingurlaub mit der Familie, zum Wandern ins Hochgebirge.

Meine Kinder kriegen jeden Technikschrott

Zusammengefasst alles Episoden, die 30 Jahre später dazu führten, dass ich bis heute an Wald-und-Wiesen-Reflux leide, ungern rausgehe und jede Kälte verachte. Meine Vorstellung eines Traumurlaubs ist ein klimatisiertes Hotel mit Chlorpool, das ich quasi nicht verlasse.

Meine Kinder kriegen jeden Technikschrott, meine Tochter eine Barbie, noch bevor sie sich diese gewünscht hatte. Ich trenne kaum Müll, nur für den Fuchs stelle ich manchmal ein Schälchen Tofu raus. So stelle ich sicher, dass meine Kinder eines Tages die totalen Naturjunkies werden.