Seeon . Nach dem desaströsen Jahr 2018 sucht die CSU personell und im Stil den Neuanfang – und entdeckt im Kloster die Grünen als Hauptgegner.
Horst Seehofer weiß immer noch genau, wie es geht. In zwei Wochen wird er nicht mehr Parteivorsitzender der CSU sein. Er ist dann immer noch Bundesinnenminister, was zweifellos ein wichtiges Amt ist.
Im Machtgefüge der CSU aber bedeutet es, dass Seehofer nicht mehr an den Schalthebeln der Macht sitzt. Es bedeutet allerdings auch, dass er an diesem Donnerstag durchaus noch die Macht hat. Und Seehofer nimmt sich das Recht, dies auch zu demonstrieren: Er kommt zu spät.
Alexander Dobrindt, der Vorsitzende der CSU-Bundestagsabgeordneten, und Markus Söder, der bayerische Ministerpräsident und designierte Nachfolger Seehofers an der Parteispitze, sind dagegen überpünktlich.
Sie treten einige Minuten früher als angekündigt vor die Fernsehkameras, um die Klausurtagung der CSU-Abgeordneten einzuleiten. Seehofer dagegen lässt sich Zeit – mit dem Ankommen, mit dem Aussteigen aus dem Auto, mit dem Gang zu den Mikrofonen. Später wird er viel länger als geplant zu den Abgeordneten sprechen.
Klausurtagung ist die letzte für Seehofer
Es sei ein besonderer Moment für ihn, sagt Seehofer. Zum 39. Mal nehme er nun an einer Klausur der CSU-Bundestagsabgeordneten teil. Es werde das letzte Mal sein. Seehofer, der im Juli 70 wird, sitzt nicht im Bundestag. Ist er nicht mehr Parteichef, gibt es für ihn keinen formalen Anlass mehr, an diesem politischen Hochamt seiner Partei teilzunehmen.
Es wird jedes Jahr neu zelebriert, in der Regel vor schneebedeckter Kulisse. Seehofer sagt, er habe ja auch als Innenminister noch vieles Wichtige zu tun. Er wirkt müde. Und bei seiner Abfahrt am Abend sagt er: „Ich bin mit mir im Reinen und fühle mich von der Verantwortung befreit.“
Die Karriere von Horst Seehofer
Es ist bei allen Parteien guter Brauch, sich zu Beginn des Jahres auf einer Klausurtagung zu sammeln und zu sortieren. Bei der CSU ist diese innere Einkehr traditionell mit viel Krawall nach außen verbunden.
Die bayerische Schwester der CDU ist mit nur 46 von insgesamt 709 Abgeordneten die kleinste Partei im Bundestag und muss sich irgendwie Gehör verschaffen – auch, um in Bayern an der Macht zu bleiben. So war das immer, jedenfalls bisher.
Schwere Wahlniederlagen liegen hinter der Partei
Aber zu Beginn des Jahres 2019 sieht die Welt anders aus, als es die CSU gewohnt ist. Schwere Wahlniederlagen liegen hinter ihr. In diesem Jahr wird sich entscheiden, ob sie bundespolitisch und auch in Europa noch etwas zu sagen hat.
Oder ob sie zur Regionalpartei schrumpft. Die CSU will deshalb nicht nur den Beweis antreten, dass sie in der Bundespolitik noch etwas erreichen kann. Sie will auch zeigen, dass sie die letzte verbliebene Volkspartei ist.
Jubel und Schrecken: Gesichter des Wahlabends in Bayern
Im vergangenen Jahr hatte Dobrindt, der sich als zweiter Vorsitzender der Unions-Bundestagsfraktion versteht, vor der Klausurtagung besonders laut herumgepoltert und eine „konservative Revolution der Bürger“ ausgerufen. Die blieb aus – auch weil Dobrindt nicht erklären konnte, was er genau damit meinte.
Der Versuch der CSU-Spitze, der CDU und der Bundeskanzlerin einen Kurswechsel in der Migrationspolitik aufzuzwingen, um die AfD kleinzuhalten, scheiterte jedenfalls. Der Streit endete in einem für CSU-Verhältnisse desaströsen Wahlergebnis von 37 Prozent bei der bayerischen Landtagswahl. Das personelle Opfer hieß Seehofer, der zum Rückzug gedrängt wurde.
Im Mai ist Europawahl, dann folgen drei ostdeutsche Bundesländer
Dobrindt, der für seine misslungene Strategie von den CSU-Bundestagsabgeordneten viel Kritik einstecken musste, gibt sich dieses Jahr vergleichsweise zurückhaltend. Die Revolution ist abgeblasen.
Stattdessen ruft er am Donnerstag das Jahr 2019 zum „Jahr der Entscheidungen“ aus. Im Mai steht die Europawahl an, später die Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern – bei denen die CSU zwar nicht antritt, aber die Schwester CDU Gefahr läuft, von der AfD überrundet zu werden.
Im November steht dann zur Halbzeit der Wahlperiode die große Zwischenabrechnung in der Koalition zwischen Union und der SPD an. Im Frühjahr 2020 finden in Bayern zudem Kommunalwahlen statt.
Dobrindt sieht ein „Jahr der Chancen“
2019 sei aber auch das „Jahr der Chancen“, findet Dobrindt. Damit will er eine Politik beschreiben, die den Bürgern ein positives Gefühl vermittelt. Die Koalition mit der SPD solle fortbestehen, verspricht Dobrindt: „Wir wollen gemeinsam den Erfolg.“ Auch mit der CDU solle es besser laufen als bisher: Man wolle „den Zusammenhalt, die Gemeinschaft, die Schicksalsgemeinschaft“ der beiden Unionsparteien „offensiv zeigen“.
Als Alternative stellt Dobrindt das „Jahr der Angst“ dagegen, das andere Parteien den Bürgern bereiten wollten. Sie wollten ihnen Angst vor Europa einreden, Angst vor der Marktwirtschaft, Angst vor technologischer Modernisierung.
Zu den „Angstparteien“ zählt Dobrindt die AfD, die Linke und die Grünen. Vor allem die Grünen hat Dobrindt im Visier. An die hat die CSU in Bayern etwas mehr Wähler verloren als an die AfD. Das ist ein Stachel, der tief sitzt. Dobrindt bemüht sich daher nach Kräften, den Grünen den Status der Volkspartei abzuerkennen. Die SPD spielte in Bayern nie eine Rolle.
CSU werde jünger, weiblicher und offener
Markus Söder, der zwar das schlechte Wahlergebnis in Bayern zu verantworten hat, aber dennoch Regierungschef bleibt und mangels Alternativen auch Parteichef wird, hat seinen eigenen Titel für 2019: Es werde das „Jahr der Erneuerung“.
Die CSU werde jünger, weiblicher und offener. Sie werde eine „konstruktivere und sympathischere Haltung“ einnehmen, verspricht Söder, und „Politik aus einem Guss“ machen – in München und auch in Berlin. Söder sichert sogar zu, die SPD könne mit ihm über eine „Optimierung von Hartz IV“ reden.
Eine „Revision“ lehne er aber ab. Auch Veränderungen bei der Unternehmensteuer kündigt der designierte CSU-Chef an. So viel Harmonie und Zurückhaltung gab es zuletzt selten beim bayerischen Teil der Union. Auch hinter verschlossenen Türen soll es äußerst friedlich zugegangen sein, hieß es.
Söder wird mehr in München als in Berlin sein
Söder lobt ausdrücklich, dass die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer am Sonnabend zu Besuch bei der Schwesterpartei kommen wird. Auch im Binnenverhältnis der Union soll es 2019 einen Neuanfang geben; die Besuche von Vorgängerin Angela Merkel waren zuletzt frostig verlaufen.
Wie gut die Zusammenarbeit künftig in der Praxis ablaufen wird, ist freilich noch unklar. Söder wird mehr in München als in Berlin sein. Weder er noch Kramp-Karrenbauer sitzen im Bundestag. Sie werden untereinander, aber auch mit SPD-Chefin Andrea Nahles viel telefonieren müssen. Mit ihr habe er bereits „kommuniziert“, sagte Söder.
Ob es denn gar keinen Streit mehr mit der SPD geben werde, wird Söder vor Beginn der Klausur gefragt. „Streit lähmt, Streit langweilt und Streit nervt“, lautet die Antwort. Und um weiteren Nachfragen zu entgehen, lenkt Söder die Aufmerksamkeit der Journalisten auf den besonders kurz ausgefallenen Haarschnitt von Alexander Dobrindt: „Sieht doch gar nicht so schlecht aus.“ Dobrindt lächelt gequält.
Zumindest den modischen Neuanfang habe er sich anders vorgestellt. „Es war ein Unfall.“ Auch der soll nicht wieder passieren.