Berlin. Während sich Innenminister Seehofer an sein Amt klammert, plant Justizministerin Balrey bereits ein Leben nach der großen Koalition.

Ernst schaut Katarina Barley, als sie am Dienstagnachmittag auf der langen Lederbank im Otto-Wels-Saal im Bundestag sitzt. Sie tuschelt mit Generalsekretär Lars Kingbeil, später spricht sie mit Andrea Nahles, der Parteichefin. Ihr strahlendes Lächeln zeigt Barley dabei nicht. Die Personalie, über die alle in der SPD-Fraktion reden, sollte erst am Donnerstag bekannt werden. Die 49 Jahre alte Justizministerin wird deutsche Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl am 26. Mai 2019. Nahles spricht von einem „hervorragenden Vorschlag“. Barley soll an diesem Mittwoch offiziell präsentiert werden.

Mehrmals hatte Nahles vergeblich angeklopft, irgendwann konnte sie Barley überzeugen, der Partei, der sie einen kometenhaften Aufstieg zu verdanken hat, in der Existenzkrise etwas zurückzugeben. Zuvor hatte Juso-Chef Kevin Kühnert eine mögliche Kandidatur ausgeschlagen. Nun kann Nahles nach dem Bayern-Wahldebakel und rechtzeitig vor der schicksalhaften Abstimmung in Hessen eine starke Frau ins Rennen um Europa schicken.

Barley willl vorerst Ministerin bleiben – wenn die GroKo hält

Wie aus Barleys Umfeld zu hören ist, will sie – falls die GroKo hält – die kommenden Monate Ministerin bleiben und einige Gesetzesvorhaben wie die Mietrechtsreformen auf den Weg bringen. Die heiße Phase der Europawahl wird erst nach Ostern beginnen.

Katarina Barley und Lars Klingbeil am Dienstag im Bundestag.
Katarina Barley und Lars Klingbeil am Dienstag im Bundestag. © dpa | Bernd von Jutrczenka

Barley wird auf Platz eins der SPD-Wahlliste für Europa stehen, der aktuelle Fraktionschef der Sozialdemokraten im EU-Parlament, der Niedersachse Udo Bullmann, auf Platz zwei. Ihm hatte man wegen seines geringen Bekanntheitsgrades die Spitzenrolle nicht zugetraut.

Für Barley wird es eine sehr schwere Mission. Bei der letzten Europawahl 2014 hatte die SPD mit Spitzenkandidat Martin Schulz ein starkes Ergebnis von 27,3 Prozent geholt – eine sehr hohe Messlatte, liegt die SPD doch bundesweit nur noch bei 15 Prozent. Der später als Kanzlerkandidat gescheiterte Schulz hatte den Vorteil, damals als Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten anzutreten. Diesen Posten will sich jedoch diesmal der niederländische Sozialdemokrat Frans Timmermans sichern.

Für Barley hat der Umzug nach Brüssel mehrere Vorteile

Für Barley hat der Schritt mehrere Vorteile: Sie stünde nicht mit leeren Händen da, sollte die große Koalition vorzeitig scheitern. Zudem dürfte es für die polyglotte Juristin deutlich komfortabler sein, aus der Brüsseler Distanz abzuwarten, ob sich die schwer angeschlagene SPD wieder fängt.

Ein Umzug nach Brüssel bringt für Barley zudem privat Vorteile – vor allem kürzere Wege: Ihr Lebensgefährte ist der niederländische Basketballtrainer Marco van den Berg, er arbeitet derzeit in Amsterdam. Nicht allzu weit ist es auch nach Schweich an der Mosel, wo Barley bis zu ihrer Scheidung mit ihrem Mann und den beiden Söhnen gewohnt hat – und noch heute zu Hause ist und regelmäßig ihre Kinder sieht.

Die Tochter eines Briten und einer Deutschen hatte bereits ihre Karriere in der Grenzregion im äußersten Westen begonnen: Sie stammt aus Köln, hat als Richterin in Trier gearbeitet, später als Juristin in der rheinland-pfälzischen Landesregierung in Mainz. 2013 zog Barley für die SPD in den Bundestag – es war der Startschuss für ihre politische Karriere: 2015 wurde sie von Sigmar Gabriel zur SPD-Generalsekretärin befördert, allzu große Spuren hinterließ sie im Willy-Brandt-Haus jedoch nicht.

Balrey profilierte sich als Verbraucherschützerin

Im Juni 2017 wurde sie über Nacht Nachfolgerin ihrer Parteikollegin Manuela Schwesig im Familienministerium, weil Schwesig in Mecklenburg-Vorpommern als Ministerpräsidentin gebraucht wurde. Nach der Bundestagswahl von 2017 fiel der Juristin das Justizministerium zu – die SPD-Politikerin nutzte es, um sich als engagierte Verbraucherschützerin zu profilieren: Sie lud ranghohe Facebook-Chefs ins Ministerium ein, sie kämpfte für eine Verschärfung der Mietpreisbremse.

Dass sie sich noch deutlich mehr zutraut, hatte Barley Anfang des Jahres durchblicken lassen: Sie sei die „Universalwaffe“ ihrer Partei, so wurde sie zitiert, sie stehe auch als Außenministerin zur Verfügung, bei der Vergabe von Ministerposten komme an ihr jedenfalls niemand vorbei.

Barleys Kabinettskollege, Innenminister Horst Seehofer, dagegen will nichts mehr werden – aber um jeden Preis bleiben, was er ist: Minister in Berlin. Trotz des schlechten CSU-Ergebnisses bei der Bayernwahl, trotz der massiven Kritik an seiner Rolle in der großen Koalition. Nein, „ein neuer Mensch“ werde er nicht mehr. Und „am Kabinettstisch authentisch bleiben“ wolle er auch. Aber „milder“, das möchte er werden, „ordentliches Verhalten“ habe er zugesagt, erklärt der CSU-Chef am Dienstag in Berlin auf einer Pressekonferenz zu den Ergebnissen der Bayernwahl. Die CSU hatte bei der Landtagswahl am Sonntag mit einem Minus von gut zehn Prozentpunkten nur noch 37,2 Prozent der Wählerstimmen erreicht.

Seehofer will Sondierungen in Bayern begleiten

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) am Dienstag in der Bundespressekonferenz in Berlin.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) am Dienstag in der Bundespressekonferenz in Berlin. © dpa | Kay Nietfeld

Wichtigstes Fazit der Solo-Pressekonferenz: Erst mal passiert nichts. Seehofer wird seinen Posten als CSU-Chef und Bundesinnenminister vorerst nicht zur Verfügung stellen. Eigene Fehler sieht er im „Stil“ der Auseinandersetzung mit Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel. Immerhin: Bis zum bayerischen Wahlabend hatte er das öffentlich so noch nicht eingeräumt. Doch das reicht einem Teil der Basis in der CSU offenbar nicht. Ein Kreisverband hatte am Montagabend einen Parteitag gefordert, „mit dem Ziel der personellen Erneuerung und mit dem Ziel, Horst Seehofer abzulösen“.

Doch bis in Bayern ein neuer Regierungschef im Amt ist, dürfte sich wenig ändern. Stattdessen will Seehofer die Sondierungen am Mittwoch in Bayern begleiten und sich dann wieder auf seine Arbeit als Innenminister konzentrieren. Das „bayerische Regierungsprogramm“ werde dann von Ministerpräsident Markus Söder verhandelt, er schaffe das schon aus Zeitgründen nicht. In München sind sie darüber nicht ganz unfroh.

Schneller Abgang Seehofers ist nicht zu erwarten

Dann allerdings wird Seehofer kryptisch: Er kündigt an, dass Konsequenzen noch vor Weihnachten, in der Zeit zwischen dem 12. November und der zweiten Dezemberwoche, gezogen werden sollen, auch zu personellen Fragen, „über die zu diskutieren ich durchaus auch bereit bin“. Es werde einen „ergebnisoffenen“ Klärungsprozess des CSU-Wahldebakels geben. „Das wird manchen überraschen“, deutet der 69 Jahre alte Parteichef an, in so einen Prozess müsse man mit „einem hohen Maß an innerlicher Freiheit“ gehen. Was er damit konkret meint, bleibt im Ungewissen.

Deutlich sichtbar dagegen wird seine große innere Verletztheit. Man müsse als Politiker vieles in Kauf nehmen und sich immer wieder selbst fragen, ob die Vorwürfe stimmten, sagt Seehofer. Nach der inneren, eigenen Prüfung sei er dann aber jeweils „sehr gelassen“. Er hänge nicht an Ämtern, er habe den CSU-Vorsitz seit der Bundestagswahl zweimal persönlich dem angeboten, der es machen solle. Doch jener, gemeint ist der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, habe abgelehnt. Nun sei man aber in München und Berlin „optimal“ aufgestellt. Heißt: Ein schneller Abgang wird das nicht.

Seehofer stellt sich erneut hinter Große Koalition

weitere Videos