Berlin. Merkel hat wenig Zeit, um Lehren aus der Bayern-Wahl zu ziehen. Ihre möglichen Nachfolger zeigen im Hessen-Wahlkampf besondere Präsenz.
Nach der Bayern-Wahl ist vor der Hessen-Wahl. Diese Woche ist Angela Merkel international gefordert, ein EU-Gipfel steht an. Danach stürzt sich die Kanzlerin und CDU-Chefin auf der Zielgeraden in den Wahlkampf.
Drei Tage lang ist sie in Hessen unterwegs: Kassel, Dieburg, Ortenberg, Fulda. Drei Hochburgen der CDU in der Provinz und eine Stadt, Kassel, wo eine realistische Chance besteht, eine SPD-Bastion zu schleifen. Sie kämpft um christdemokratische Stammwähler. Es geht um Schadensbegrenzung. Der Trend ist negativ.
Merkel wird Parteivorsitz wohl nicht abgeben
Aufgeben passt nicht zu ihr. Wenn sie aussteigen will, dann nicht im Affekt wegen einer verlorenen Wahl, sondern nach Plan. Es spricht auch wenig dafür, dass die CDU sie bedrängen wird, überstürzt auf dem nächsten Parteitag im Dezember nicht zu kandidieren. Auf Journalistenfragen antwortete Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) am Montag mit einer Gegenfrage: „Wer soll sonst antreten?“
Erst kürzlich hat Merkel beteuert, dass Parteivorsitz und Kanzlerschaft in eine Hand gehören und dass sie für „diese Legislaturperiode“ zur Verfügung steht und stehen will. In der Beziehung sei sie „fast so altmodisch wie ich“, befand Bundestags-Präsident Wolfgang Schäuble (CDU), „die findet, man sollte, was man versprochen hat, auch halten“.
Wie die drohende Niederlage in Hessen abwenden?
Wort zu halten und zugleich den Zeitpunkt für einen Ausstieg zu finden, erscheint Merkel seit Jahren „viel schwerer, als ich mir das früher vorgestellt habe“. Ihr Lehre für die Hessenwahl sei, dass sie stärker dafür Sorge tragen müsse, dass das Vertrauen der Bevölkerung „da ist und damit auch die Resultate unserer Arbeit sichtbar werden“.
Das klingt nach einem Neustart. Schon am Sonntag will sie in den CDU-Gremien Rat halten und nichts unversucht lassen, um die drohende Niederlage bei der Hessen-Wahl abzuwenden.
Jubel und Schrecken: Gesichter des Wahlabends in Bayern
Merkel-Alternativen bringen sich in Stellung
Als viele schon vor der letzten Bundestagswahl über Merkels Zukunft rätselten, ließ sich ein Experte für Beharrungskräfte, Innenminister Horst Seehofer (CSU), nicht beirren. „M.A.L.A.“ sagte er nur. Steht für Macht, Anerkennung, Leidenschaft und Alternativlosigkeit. Die ersten drei Punkte sind Merkel weiterhin wichtig – aber ob sie noch alternativlos ist?
Eine Antwort darauf gibt, wen Hessens CDU als Redner aus Berlin abgerufen hat. In Frankfurt, Offenbach, Wiesbaden und Darmstadt sind Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Gesundheitsminister Jens Spahn fast jeden Tag in der Woche vor der Wahl unterwegs, sie sechs Mal, er 15 Mal. Die dritte potenzielle Nachfolgerin, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, ist in Asien unterwegs, straffte aber ihre Reisepläne, sodass sie am Vorabend der Hessen-Wahl wieder da ist.
Schäuble ging zuletzt auf Distanz zu Merkel
Dass Schäuble für die Zeit nach dem 28. Oktober „Diskussionen“ und „Erschütterungen“ – nicht zuletzt von Merkels Ansehen – vorausgesagt hat, wird in der CDU erst mal relativiert. „Na ja, Wolfgang Schäuble ist Wolfgang Schäuble“, bemerkte CDU-Vize Laschet.
Hinter vorgehaltener Hand zweifeln manche an Schäubles Loyalität und zählen auf, wie oft er in den letzten Monaten auf Distanz zu Merkel gegangen ist. Womöglich hat man sein Zitat nur fantasielos ausgelegt, zu einseitig auf die CDU bezogen. Wahrscheinlicher ist, dass nicht Merkels Partei, sondern ihre Koalitionspartner eine Lawine auslösen.
CDU sieht SPD-Ausstieg als reale Gefahr
Manche in der CDU erwarten, dass Seehofer in den nächsten Wochen aufhört. Da ist womöglich der Wunsch Vater des Gedanken. Denn sie wissen, dass die CSU, insbesondere Seehofer, für die SPD zum Reizobjekt geworden ist.
Die Sozialdemokraten sind für die CDU schwer auszurechnen. Spahn warnt den Koalitionspartner, „wer vor Verantwortung wegläuft, verliert“. Bei der SPD gehe es nicht mehr rational zu, heißt es in der CDU-Führung. Ein Ausstieg der SPD wird als reale Gefahr angesehen, weil die Partei in Bayern gedemütigt wurde und weil sie mit ihrer Rolle in der großen Koalition hadert. Die SPD trägt einen Grundkonflikt aus; mithin ist ihr Problem nicht mit Rücktritten zu lösen.
Und so könnte es kommen, dass am Ende CSU und SPD Merkel die Entscheidung abnehmen. Die Kanzlerin hat nur versprochen, diese Legislaturperiode zu Ende zu bringen. Was danach kommt, ist offen und auch nicht mehr ihr Problem.