Berlin. Laut Flüchtlingshelfern fliehen weltweit 68,5 Millionen Menschen vor Krieg und Gewalt. In Deutschland geht die Zahl jedoch zurück.
Wer verstehen will, wie kompliziert die Ursachen für Flucht sein können, muss an den Tschadsee blicken. Knapp 4500 Kilometer entfernt, im Ländereck zwischen Nigeria, Niger, Tschad und Kamerun. Dort lebten viele Jahrhunderte Viehhirten und Bauern an dem großen See.
Doch der Wasserstand ist seit den 1960er-Jahren um etwa drei Viertel geschrumpft. Die Hirten haben kein Wasser mehr für ihr Vieh, sie ziehen gen Süden, ins Landesinnere von Nigeria, zum Beispiel. Dort stoßen die Hirten auf Ackerbauern – und kämpfen gegen sie um das Land.
Manche müssen fliehen. Die Tschadregion verarmt, radikale Islamisten breiten sich aus, bieten kriminelle Machenschaften als Arbeit an. Mehr Menschen fliehen, jetzt vor der Ausbreitung des Terrorismus. Zuletzt kamen viele, die über das Mittelmeer nach Europa flohen, aus Nigeria.
Fast 70 Millionen Menschen auf der Flucht
Es ist der Kreislauf einer Krise. Und es ist ein Beispiel dafür, warum die Zahl der Flüchtlinge weltweit so hoch ist – und weiter steigt. Rund 68,5 Millionen Geflohene suchten Ende 2017 Schutz fern ihres Zuhauses, teilte das Flüchtlingshilfswerk UNHCR am Dienstag in Genf mit. Das seien 2,9 Millionen Menschen mehr gewesen als Ende 2016 – ein Höchststand seit Ende des Zweiten Weltkriegs.
In Deutschland kamen 2017 hingegen deutlich weniger Schutzsuchende an als in den Jahren davor. Vergangenes Jahr wurden hierzulande 186.644 Asylsuchende erfasst. Im Vergleich zur Zeit vor Beginn des Syrienkrieges ist die Zahl hoch.
Doch auch 2018 sinkt die Anzahl der Menschen, die nach Deutschland fliehen, weiter: Bis Mitte Juni registrierten die Behörden 67.782 Asylsuchende in der Easy-Statistik des Bundes. Darunter waren jedoch auch Menschen, die nicht aus Asylgründen nach Deutschland gekommen sind, sondern auf der Suche nach einem besseren Leben.
Von gut 600.000 Asylanträgen 2017 vergab das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in gut 220.000 Fällen einen Schutzstatus für die Bundesrepublik. Viele Migranten gehen vor Gericht gegen die Ablehnung vor.
Mehr als die Hälfte aller Geflüchteten sind minderjährig
Deutschland belegt im Verhältnis zur Bevölkerung den weltweit 17. Platz bei der Aufnahme von Schutzsuchenden – noch hinter Schweden und Österreich. Bezieht man die Wirtschaftskraft mit ein, dann rutscht Deutschland auf Platz 59 von den fast 200 vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR betrachteten Staaten. Der Libanon hat im Verhältnis zu seiner Bevölkerung besonders viele Flüchtlinge aufgenommen: 2017 kam dort ein Migrant auf sechs Einwohner.
Die Vereinten Nationen veröffentlichen jedes Jahr vor dem Weltflüchtlingstag am 20. Juni die neusten verfügbaren globalen Zahlen über Vertreibung und Heimatverlust. Weltweit waren mehr als die Hälfte aller Geflüchteten minderjährig. Auch nach Europa fliehen viele Kinder und Jugendliche, oftmals ohne Eltern.
Die Situation der Flüchtlingskinder in Griechenland beschreiben Hilfsorganisationen als „miserabel“: Laut SOS-Kinderdörfer befinden sich weltweit aktuell 22.500 Flüchtlingskinder in Griechenland, das sind 97 Prozent mehr als im Vorjahr, unter ihnen 3150 unbegleitete Minderjährige. „Viele müssen sich prostituieren, um zu überleben“, sagt der Leiter der SOS-Kinderdörfer in Griechenland, George Protopapas.
Lage der Rohingya verschärft globale Fluchtkrise
Aus fünf Ländern flohen in den vergangenen Jahren die meisten Menschen: Syrien, Afghanistan, Südsudan, Myanmar und Somalia. Als am schnellsten wachsende Flüchtlingskrise der Welt bezeichneten die Vereinten Nationen die Lage der muslimischen Minderheit der Rohingya, die nach Einschätzung der UN im mehrheitlich buddhistischen Myanmar Opfer einer ethnischen Säuberung wurden.
Eindrücke aus einem Rohingya-Lager
Innerhalb weniger Wochen flohen deutlich mehr als eine halbe Million Angehörige der Minderheit vor Militärgewalt aus ihrer Heimat Myanmar ins Nachbarland Bangladesch – eines der ärmsten und am dichtesten besiedelten Länder der Welt. Dort harren inzwischen fast eine Million Rohingya aus, viele im weltgrößten Flüchtlingslager Kutupalong. Eine längst vereinbarte Rückkehr der Flüchtlinge kam bislang nicht zustande.