Charlottesville. Viele Rechtsextreme sehen sich durch Donald Trump bestärkt. Ein früherer Ku-Klux-Klan-Führer erkennt gar einen Freibrief für Gewalt.

Wenn Orrin Hatch dem Präsidenten öffentlich vors Schienbein tritt, dann muss es wirklich ernst stehen. „Wir müssen das Übel beim Namen nennen“, polterte der für seinen unerschütterlichen Gleichmut bekannte republikanische Senator aus Utah am Samstagabend, „mein Bruder hat nicht sein Leben im Kampf gegen Hitler gegeben, damit hier zu Hause Gedankengut der Nazis ohne Widerstand akzeptiert wird.“

Was Hatch nach dem tödlich geendeten Aufmarsch hunderter gewalttätiger Rechtsextremisten in der beschaulichen Universitätsstadt Charlottesville in Virginia parteiübergreifend mit anderen Politprominenten von Hillary Clinton bis Ted Cruz vom Stapel ließ, war eine direkte Replik auf Donald Trump.

Trumps lasche Worte als Absolution verstanden

Anstatt die blutigen Ausschreitungen vor einer geplanten Demonstration an einem Denkmal aus der Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges und die Amokfahrt eines 20-jährigen Ultra-Nationalisten zu verurteilen, der mit seinem Auto mit Absicht in eine Gruppe von Gegendemonstranten raste und dabei eine 32-Jährige tötete, beklagte Trump unscharf einen „Ausbruch von Hass, Fanatismus und Gewalt auf vielen Seiten“. Irrtum, konterte der republikanische Senator Cory Gardner: „Das war einheimischer Terrorismus.“

Entsetzen und Trauer in Charlottesville

Nach Gewaltausbrüchen in Charlottesville herrschen Fassungslosigkeit und Wut. Die Neonazi-Aufmärsche befeuern erneut die Rassismus-Debatte. Diese Demonstrantin fordert nach der tödlichen Auto-Attacke ein Ende des Mordens.
Nach Gewaltausbrüchen in Charlottesville herrschen Fassungslosigkeit und Wut. Die Neonazi-Aufmärsche befeuern erneut die Rassismus-Debatte. Diese Demonstrantin fordert nach der tödlichen Auto-Attacke ein Ende des Mordens. © REUTERS | STEPHEN LAM
„Ich kann nicht glauben, dass ich immer noch gegen Nazis demonstriere“, hat ein Demonstrant auf ein Schild geschrieben. Rassistische Gruppen waren am Samstag in Charlottesville mit Helmen, Knüppeln und Schutzschilden aufmarschiert.
„Ich kann nicht glauben, dass ich immer noch gegen Nazis demonstriere“, hat ein Demonstrant auf ein Schild geschrieben. Rassistische Gruppen waren am Samstag in Charlottesville mit Helmen, Knüppeln und Schutzschilden aufmarschiert. © REUTERS | STEPHEN LAM
Menschen gedenken der 20 Opfer der brutalen Unruhen in Charlottesville. Bei den Zusammenstößen von Ultranationalisten und Gegendemonstranten wurden 19 Menschen verletzt, die 32-jährige Heather Heyer starb durch eine Autoattacke.
Menschen gedenken der 20 Opfer der brutalen Unruhen in Charlottesville. Bei den Zusammenstößen von Ultranationalisten und Gegendemonstranten wurden 19 Menschen verletzt, die 32-jährige Heather Heyer starb durch eine Autoattacke. © REUTERS | JIM BOURG
Ein Mann tröstet einen anderen, der für einen verletzten Freund betet.
Ein Mann tröstet einen anderen, der für einen verletzten Freund betet. © REUTERS | JIM BOURG
Der Gouverneur von Virginia, Terry McAuliffe (2. v. l.) gedenkt während eines Gottesdienstes in einer Baptistenkirche der Opfer der Auseinandersetzungen.
Der Gouverneur von Virginia, Terry McAuliffe (2. v. l.) gedenkt während eines Gottesdienstes in einer Baptistenkirche der Opfer der Auseinandersetzungen. © REUTERS | JIM BOURG
Der Gouverneur wendet sich sichtlich emotional an die Gemeinde, ...
Der Gouverneur wendet sich sichtlich emotional an die Gemeinde, ... © REUTERS | JIM BOURG
... während sich die Gemeindemitglieder im Gebet an die Hand nehmen.
... während sich die Gemeindemitglieder im Gebet an die Hand nehmen. © REUTERS | JIM BOURG
Nachdem US-Präsident Donald Trump auffällig spät und verhalten auf die Tragödie reagiert hat, zeigen sich demokratische und republikanische Politiker ebenso empört wie viele Bürger. Hier fordert ein Demonstrant die Amtsenthebung von Trump.
Nachdem US-Präsident Donald Trump auffällig spät und verhalten auf die Tragödie reagiert hat, zeigen sich demokratische und republikanische Politiker ebenso empört wie viele Bürger. Hier fordert ein Demonstrant die Amtsenthebung von Trump. © REUTERS | STEPHEN LAM
Trauer auch an anderer Stelle: Mitarbeiter der zuständigen Behörden sind in der Nähe der Absturzstelle eines Polizeihubschraubers in Charlottesville im Einsatz. Bei dem Absturz unweit der Kundgebung von Rechtsextremisten kamen beide Besatzungsmitglieder ums Leben.
Trauer auch an anderer Stelle: Mitarbeiter der zuständigen Behörden sind in der Nähe der Absturzstelle eines Polizeihubschraubers in Charlottesville im Einsatz. Bei dem Absturz unweit der Kundgebung von Rechtsextremisten kamen beide Besatzungsmitglieder ums Leben. © dpa | Shelby Lum
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Trumps nachsichtige Wortwahl wurde umgehend als Absolution interpretiert. David Duke, einst Führer des durch Lynchmorde berüchtigt gewordenen Ku-Klux-Klan, sagte im Beisein dieser Redaktion: „Das hier heute ist der erste Schritt zu dem, was Donald Trump versprochen hat – wir holen uns Amerika zurück.“ Rassismusexperten, demokratische Abgeordnete aber auch viele Konservative warfen Trump vor, nicht genügend unternommen zu haben, um den Nährboden für Rechtsextremisten auszutrocknen.

Ku-Klux-Klan begehrte bereits im Juli in Charlottesville auf

Mary Sullivan hatte die Katastrophe, der bei einem Demo-bedingten Hubschrauber-Absturz auch zwei Polizisten zum Opfer fielen, kommen sehen. Die Kinderkrankenschwester war bereits vor Ort, als die Kapuzenträger vom Ku-Klux-Klan im Juli an der Reiter-Statue von Südstaaten-General Robert E. Lee im „Emancipation“-Park aufbegehrten. Der Rat der 50.000 Einwohner-Stadt hatte zuvor entschieden, dass die Symbolfigur der im Bürgerkrieg unterlegenen Konföderierten (Befürworter der Sklaverei) abmontiert und verkauft wird; eines von rund 1000 Denkmälern dieser Art im ganzen Land. Dagegen klagten die Ultra-Rechten.

Fanatisch und gefährlich: Das ist Amerikas rechte Szene

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    „Den Leuten ging es gar nicht um General Lee“, sagt Sullivan, „sie suchten nur einen Vorwand, um ihr spalterisches Gedankenkgut vorzuführen.“ Wie Sullivan ist auch Raymond Malloy in die beschauliche Innenstadt gekommen, wo bereits am Vorabend Neonazis mit Fackeln den Campus der örtlichen Universität überrannt und Parolen wie „Juden werden uns nicht ersetzen“ skandiert hatten. „Ich nehme nicht einfach hin, dass Leute von auswärts meine Stadt terrorisieren“, gibt der pensionierte Lehrer zu Protokoll.

    Sicherheitskräfte sahen weitgehend passiv zu

    Was Malloy dann aus einiger Entfernung mitansehen musste, machte an deutsche Auseinandersetzungen zwischen rechts und links gewöhnte Beobachter vor Ort sprachlos. Wie bei einem Stillhalteabkommen sahen Nationalgardisten, lokale Cops und Vertreter der Bundesstaatspolizei weitgehend passiv zu, wie sich mit Helmen, Schutzschildern, Latten, Tränengas-Granten und Pfefferspray-Dosen bewaffnete Gewalttäter auf offener Straße blindwütig attackierten.

    Blutige Proteste in Charlottesville

    In der US-Stadt Charlottesville sind Rechtsextreme mit Gegendemonstranten aneinandergeraten.
    In der US-Stadt Charlottesville sind Rechtsextreme mit Gegendemonstranten aneinandergeraten. © REUTERS | JOSHUA ROBERTS
    Am Rande der Kundgebung raste ein Auto in eine Gruppe von Gegendemonstranten.
    Am Rande der Kundgebung raste ein Auto in eine Gruppe von Gegendemonstranten. © dpa | Ryan M. Kelly
    Eine Frau starb, zahlreiche weitere wurden verletzt.
    Eine Frau starb, zahlreiche weitere wurden verletzt. © dpa | Ryan M. Kelly
    Rettungskräfte halfen den Verletzten nach dem Zusammenprall.
    Rettungskräfte halfen den Verletzten nach dem Zusammenprall. © REUTERS | JOSHUA ROBERTS
    Ein Polizist stützte eine verletzte Demonstrantin.
    Ein Polizist stützte eine verletzte Demonstrantin. © REUTERS | JOSHUA ROBERTS
    Die Polizei rief die Bürger dazu auf, das Gebiet zu meiden.
    Die Polizei rief die Bürger dazu auf, das Gebiet zu meiden. © REUTERS | JUSTIN IDE
    Polizisten sperrten den Unfallort ab, an dem das Auto in die Gruppe von Demonstranten gefahren war.
    Polizisten sperrten den Unfallort ab, an dem das Auto in die Gruppe von Demonstranten gefahren war. © dpa | Steve Helber
    US-Präsident Donald Trump verurteilte die Krawalle, auch wenn er nicht direkt auf die Neonazis einging.
    US-Präsident Donald Trump verurteilte die Krawalle, auch wenn er nicht direkt auf die Neonazis einging. © REUTERS | JONATHAN ERNST
    Schon den ganzen Tag über war es zu Gewalt zwischen den Ultra-Nationalisten und den Gegendemonstranten gekommen.
    Schon den ganzen Tag über war es zu Gewalt zwischen den Ultra-Nationalisten und den Gegendemonstranten gekommen. © REUTERS | JOSHUA ROBERTS
    Stunden bevor die Veranstaltung am Samstag überhaupt begann, lieferten sich Teilnehmer beider Seiten teils heftige Schlägereien.
    Stunden bevor die Veranstaltung am Samstag überhaupt begann, lieferten sich Teilnehmer beider Seiten teils heftige Schlägereien. © dpa | Steve Helber
    Die Bundespolizei von Virginia setzte Pfefferspray ein.
    Die Bundespolizei von Virginia setzte Pfefferspray ein. © REUTERS | JOSHUA ROBERTS
    Rechtsextreme warfen eine Rauchbombe in Richtung der Gegendemonstranten.
    Rechtsextreme warfen eine Rauchbombe in Richtung der Gegendemonstranten. © REUTERS | JOSHUA ROBERTS
    Der Gouverneur von Virginia hatte kurz nach Ausbruch der Gefechte den Notstand ausgerufen.
    Der Gouverneur von Virginia hatte kurz nach Ausbruch der Gefechte den Notstand ausgerufen. © dpa | Steve Helber
    Hunderte Rechtsextreme versammelten sich in Charlottesville.
    Hunderte Rechtsextreme versammelten sich in Charlottesville. © dpa | Steve Helber
    Zum Teil trugen sie Symbole von weißen Nationalistin und die Flagge der Konföderation.
    Zum Teil trugen sie Symbole von weißen Nationalistin und die Flagge der Konföderation. © REUTERS | JOSHUA ROBERTS
    Es gab Verletzte auf beiden Seiten.
    Es gab Verletzte auf beiden Seiten. © REUTERS | JOSHUA ROBERTS
    Die Gegendemonstranten formierten sich.
    Die Gegendemonstranten formierten sich. © REUTERS | JOSHUA ROBERTS
    Schon am Freitagabend marschierten Nationalisten und Rechtsextremisten mit Fackeln über den Campus der University of Virginia in Charlottesville.
    Schon am Freitagabend marschierten Nationalisten und Rechtsextremisten mit Fackeln über den Campus der University of Virginia in Charlottesville. © dpa | Mykal Mceldowney
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    Dazwischen ging vereinzelt nur eine 30-köpfige rechte Miliz, die in Camouflage-Kleidung und schwer bewaffnet aus New York angereist war. Die absolut enthemmte Brutalität macht auch vor am Boden liegenden Menschen keinen Halt. „Ein Wunder, dass hier keiner gestorben ist“, sagte eine dem Getümmel entkommende Fotografin der britischen Daily Mail, das Gesicht rot und geschwollen vom Tränengas. „Warum hat die Polizei die verfeindeten Lager nicht vorher getrennt?“.

    Ultrarechte wütend über Demoabbruch

    Wenige Minuten später spitzte sich der Tumult zu. Die Polizei blies die gerichtlich genehmigte Demonstration ab und drängte die vor Wut kochenden Rechtsextremen zum Verlassen des Schauplatzes. Was folgte, war reinstes Spießrutenlaufen. Ein junger Ultrarechter, dem das Blut das Gesicht herunterlief: „Die Polizisten haben uns reingelegt. Sie haben uns um das Recht der freien Rede gebracht. Aber macht euch auf was gefasst: Wir kommen wieder.“

    Richard Spencer, der Posterboy der ethnisch-nationalistischen „Alt-Right“-Bewegung, der in Charlottesville studiert hat und die Stadtoberen „widerliche Kriecher“ und „Dreckskerle“ nannte, bestätigte später: „Wir geben niemals auf. Wir machen diese Stadt zum Zentrum des Universums.“

    Demonstranten sehen sich durch Trump bestärkt

    Wir, das sind neben waschechten Hakenkreuz-Nazis und obskuren Staatsverächtern auch Leute wie Shane Gadbury. Der 38-jährige Inhaber eines Geschäfts, dass sich auf die Beseitigung von Ungeziefer spezialisiert hat, hat 15 Stunden Autofahrt aus Iowa auf sich genommen, um in Charlottesville dabei zu sein. Die Statue von Lee ist ihm schnurz.

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    „Ich bin es leid, immerzu auf die Rechte von Schwarzen und anderen Minderheiten achten zu müssen. Wir Weißen werden in unserem eigenen Land diskriminiert und schikaniert. Darum bin ich hier“. Woher er das hat? „Donald Trump hat ein Ventil geöffnet. Er steht für uns ein. Seine „America First“-Politik ist genau nach meinem Geschmack.“ Was Gadbury darunter versteht? „Das jüdische Dreieck aus Politik, Hochfinanz und Medien muss durchbrochen werden.“

    Deutlich mehr Hass-Aktionen seit Trumps Kandidatur

    Für die Experten des „Southern Poverty Law Center“ in Alabama, die deutlich mehr Aktivität bei den über 900 Hass-Gruppen registriert haben, seit Trump vor über zwei Jahren seine Präsidentschaftskandidatur angemeldet hat, passt Shane Gadbury ins Schema.

    „Das sind Menschen, die um ihre Identität fürchten, die den Multikulturalismus ablehnen, die schwarze Bürgerrechtsbewegung ‘Black Lives Matter’ als Affront empfinden, latent antisemitisch eingestellt und einen ethnisch sauberen Staat wollen, der als Bollwerk gegen die Globalisierung dient“, sagte der landesweit bekannte Rechtsextremismus-Fachmann Marc Potok schon vor Monaten dieser Redaktion. Das Problem dabei: Weder vor noch nach seiner Wahl habe Donald Trump dem Sammelbecken auf der politischen Rechtsaußenbahn unmissverständlich Grenzen aufgezeigt.

    Psychologin sieht Donald Trump in der Pflicht

    Jackie Webber, eine Psychologin, die seit 35 Jahren in Charlottesville praktiziert, sieht den Präsidenten darum in der Pflicht. „Er muss umgehend eine Brandmauer ziehen zwischen sich und diese Rückwärtsgewandten.“ Terry McAuliffe, Virginias Gouverneur, habe es doch vorgemacht. „Geht nach Hause. Nehmt euren Hass und eure Vorurteile mit. Es gibt hier keinen Platz für euch, und es gibt keinen Platz für euch in Amerika“, rief der Demokrat den Neonazis zu.

    Warum in Himmels Namen, sagt Jackie Webber, fällt unserem Präsidenten so etwas nicht ein?