Was eine Neuauszählung für den Ausgang der US-Wahl bedeutet
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Lesezeit: 6 Minuten
Von Dirk Hautkapp
Washington. Der US-Bundesstaat Wisconsin lässt die Wahlstimmen neu auszählen. Kann Hillary Clinton jetzt doch noch auf die Präsidentschaft hoffen?
Schluss mit dem Versöhnungskurs, den Donald Trump dem zerrissenen Amerika verordnen wollte. Seit Sonntagabend ist der designierte neue Präsident wieder da, wo er sich am wohlsten fühlt: in der Abteilung Attacke.
Angesäuert von nachträglichen Stimmenauszählungen in drei Bundesstaaten, die eine mutmaßliche Benachteiligung Hillary Clintons zum Gegenstand haben, hat der 70-jährige Milliardär per Twitter die Wahlnachlese aus Sicht von Historikern zur Farce gemacht.
Seine per Twitter in die Welt gesetzte Behauptung, es hätten mehrere „Millionen Menschen illegal gewählt“ (für Clinton), andernfalls wäre sein „erdrutschartiger“ Erfolg noch deutlicher ausgefallen, entbehrt nach Berichten von Wahlforschern und führenden US-Medien nicht nur jeder Grundlage. „Noch nie hat ein Gewinner die Legitimität des Verfahrens angezweifelt, das ihn ins Weiße Haus bringt“, sagt Professor Timothy Naftali von der New York City Universität.
Der ohnehin rumpelige Machtwechsel von Obama zu Trump, der in sieben Wochen ins Amt eingeführt werden soll, wird dadurch zusätzlich überschattet. „Wir sind auf dem Weg in eine Bananenrepublik“, sagte der Wirtschafts-Nobelpreisträger Paul Krugman.
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• Was ist passiert?
Alex Halderman, ein Computer-Experte der Universität von Michigan, hatte kürzlich von deutlichen Stimmen-Unterschieden bei Clinton in drei Bundesstaaten aufmerksam gemacht, wo a) konventionelle Stimmzettel und b) veraltete, computergesteuerte Wahlmaschinen zum Einsatz kamen.
Weil über Monate Gerüchte im Wahlkampf die Runde machten, dass vom Kreml gesteuerte russische Hacker die US-Wahl pro Trump manipulieren könnten, regte Halderman vorsichtig eine nachträgliche Auszählung an. Die gescheiterte Grünen-Kandidatin Jill Stein nahm den Ball auf und trug via Spenden den nötigen Millionenbetrag dafür zusammen. Seit einigen Tagen wird nun gezählt.
• Um welche Bundesstaaten geht es?
Um Pennsylvania, Wisconsin und Michigan. Hier führt Trump mit insgesamt 107.000 Stimmen. Würden ihm die Siege aberkannt, wäre seine Präsidentschaft futsch, 46 Wahlleute-Stimmen gingen dann an Clinton. Sie käme damit über die Schwelle der nötigen 270 Stimmen und würde ins Weiße Haus einziehen.
• Wie aussichtsreich ist die Nachzählung?
Tendenz: gegen Null. Selbst Hillary Clintons Kampagne, die nur pro forma als Beifahrerin die Überprüfung unterstützt, erwartet keinen grundstürzend neuen Wahlausgang. „Die Zahl der Stimmen, die Donald Trump und Hillary Clinton im knappsten dieser Staaten trennt – in Michigan –, ist deutlich größer als der größte Abstand, der jemals durch eine Neuauszählung eingeholt wurde“, schreibt Clintons Anwalt Marc Elias.
Vorher stellt er fest: Es gib keinen Hinweis auf „foul play“ bei dieser Wahl. David Becker, früher Anwalt im Justizministerium, sagt es so: „Historisch betrachtet ist es wahrscheinlicher, von einem Hai gebissen zu werden, der zeitgleich vom Blitz getroffen wird, als einen illegalen Wähler zu finden.“
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• Warum dann das Ganze?
Politische Vergangenheitsbewältigung ist das erste Motiv. Trauerarbeit sozusagen. Viele haben Trumps hauchdünnen Sieg noch immer nicht akzeptiert. Hätte nicht FBI-Chef James Comey kurz vor der Wahl die E-Mail-Affäre prominent aufgewärmt, so denken viele Demokraten, hätte es für Clinton vielleicht doch noch gereicht. Dazu kommt das rätselhafte Wahlsystem.
Clinton hat in der Abstimmung am 8. November über 2,7 Millionen Stimmen („popular vote“) mehr als Trump bekommen. Im Wahlleute-Gremium („electoral college“), das de facto den Präsidenten am 19. Dezember bestimmt, liegt trotzdem Trump klar vorn (290 plus x zu 232 bei Clinton). Ein Grund: Bevölkerungsreiche Bundesstaaten wie Kalifornien (klar pro Hillary) werden in dem Gremium im Vergleich zu fast menschenleeren Gliedstaaten wie Wyoming oder Montana (streng pro Trump) nicht angemessen gewichtet.
An diesem Modell wird seit Jahrzehnten gemäkelt. Es braucht aber eine Verfassungsänderung, um es abzuschaffen. Aussichten darauf: null. Es geht also um Systemkritik.
• Woher kommt Trumps Behauptung um illegale Stimmabgabe?
Für Verschwörungstheorien im ultrarechten Spektrum bekannte Zeitgenossen wie Gregg Philipps haben die Zahl von bis zu drei Millionen „falschen“ Stimmen in die Welt gesetzt. Über übel beleumundete Netzwerke in den sozialen Medien wie infowars.com bekam das Thema Flügel. Trump griff es auf und trieb es auf die Spitze.
Konkret: In Virginia, New Hampshire und Kalifornien, sagte er, sei er um den Sieg betrogen worden. Dort gewann Hillary Clinton. Problem dabei: Er hat dafür keinen einzigen stichhaltigen Beleg vorgelegt. Es gibt sie einfach nicht. Sagt die amtierende Obama-Regierung. Sagen unabhängige Wahlbeobachter von „Pro Publica“. Sagen die Fakten-Überprüfer großer US-Medien.
Der zuständige Wahlleiter in Kalifornien nannt Trumps Anschuldigungen „rücksichtslos“ und „schäbig“. US-Kommentatoren beschleicht die Angst, dass Trump – einmal im Amt – mit solchen Aktionen „international schwersten Schaden anrichten könnte“.
• Warum gießt Trump jetzt zusätzlich Öl ins Feuer?
Darüber wird – wie immer bei ihm – gerätselt. Trump hat seit der Wahl mehrfach gezeigt, dass er sich emotional nicht im Griff hat. Dann greift er nachts zu Twitter und lässt bei seinen aktuell 16,2 Millionen Abonnenten Dampf ab. Dass Clinton sich dem Nachauszählungs-Manöver zaghaft anschloss, empfindet er als Sauerei und Vertrauensbruch. Schließlich habe sie in der Nacht zum 9. November ihre Niederlage doch klar eingestanden.
Die zweite These geht anders. Trumps Regierungsbildung ist aus Sicht von US-Kommentatoren ein „einziges Desaster“. Jüngstes Beispiel: Trumps Sprecherin Conway stellte am Sonntag vor laufender Kamera den früheren Präsidentschaftsbewerber Mitt Romney in den Senkel. Der mormonische Multimillionär ist als Außenminister im Gespräch. Trump selber lobte ihn nach einem Vier-Augen-Gespräch über den grünen Klee und verlieh ihm Favoritenstatus. Conway erklärte nun, Romney habe Trump im Wahlkampf zu sehr verletzt. Tausende Trump-Anhänger würden seine Berufung zum Chef-Diplomaten nicht akzeptieren.
Will Trump Romney erst anfüttern, indem er ihm den renommierten Posten schmackhaft macht, und ihn dann öffentlich demütigen? Die Irritationen darüber, so die Vermutung, könnte Trump mit seinem Vorwurf des millionenfachen Wahlbetrugs aus den Schlagzeilen verdrängen wollen.
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Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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