Sturzgeburt und Frühstück – Die knifflige Kür der Kandidaten
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Von Walter Bau
Berlin. Angela Merkel und Sigmar Gabriel zögern mit ihrer Spitzenkandidatur. Auch in der Vergangenheit verlief die Kür nicht immer reibungslos.
Angela Merkel lässt ihre CDU zappeln. Seit Wochen ziert sich die Parteivorsitzende, nun aber könnte es soweit sein, dass sie ihre erneute Kanzlerkandidatur für die Bundestagswahl 2017 verkündet. Für Sonntag hat sie ein Statement vor der Presse angekündigt.
Auch beim Koalitionspartner geht das Rätselraten schon seit Monaten, wer 2017 gegen die Kanzlerin antritt. Parteichef Sigmar Gabriel würde schon gern wollen, weiß aber anscheinend nicht, ob er sich trauen soll. Auch Martin Schulz ist im Gespräch. Das Risiko, als Spitzenkandidat die nächste Wahlpleite für die SPD einzufahren, ist groß.
Merkel und Gabriel sind im Grunde alternativlos
Klar ist aber auch: Im Grunde gibt es weder in Merkels Union noch in Gabriels SPD eine echte Alternative zu den Parteichefs als Kanzlerkandidaten. Der Union drohte, ohne ihre nach wie vor bei vielen Bürgern hoch angesehene Kanzlerin ihre politische Identifikationsfigur zu verlieren. Und auf sozialdemokratischer Seite kann Gabriel als Parteichef nicht erneut einem anderen den Vortritt lassen; zumal eine überzeugende personelle Alternative fehlt.
So scheint also alles auf die beiden Parteivorsitzenden zuzulaufen. Das war nicht immer so in der Vergangenheit. Mehrfach lieferten sich die Anwärter innerparteiliche Hahnenkämpfe um die Spitzenkandidatur. Und bei der Kür lief es letztlich nicht immer nach Plan, wie ein Blick zurück beweist.
• 2012: Peer Steinbrücks Sturzgeburt
Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier oder Peer Steinbrück? Das war die große Kandidaten-Frage in der SPD, gut ein Jahr vor der Bundestagswahl 2013. Bis Steinmeier Fakten schuf. In einem Hintergrundgespräch mit Journalisten ließ er im September deutlich durchblicken, er werde nicht als Kanzlerkandidat antreten. Schnell sickerte die Nachricht durch.
Parteichef Gabriel wurde von Steinmeiers Vorpreschen überrascht. Hals über Kopf fädelte er daraufhin die Kür für den Spitzenkandidaten Peer Steinbrück ein. Ohne große Parteitagsbühne, ohne wirkliche Vorbereitung. Das Verfahren ging als „Sturzgeburt eines Kandidaten“ in die Geschichte ein. Bei der Wahl im Herbst 2013 standen Steinbrück und die SPD gegen die Merkel-Union auf verlorenem Posten.
• 2002: Merkels Semmelfrühstück bei Stoiber
Die rot-grüne Bundesregierung war 2002 schon nach vier Jahren schwer angeschlagen, vieles deutete auf einen Machtwechsel in Berlin hin. Die Spitzenkandidatur für die Union schien gleichzeitig die Fahrkarte ins Kanzleramt zu sein. Da erklärte Angela Merkel am 6. Januar öffentlich: „Ich bin bereit zu einer Kanzlerkandidatur.“
Doch CSU-Chef Edmund Stoiber wollte ebenfalls die Gunst der Stunde nutzen und konterte: „Wenn es von beiden Parteien gewünscht wird, bin ich bereit, mich in den Dienst der gemeinsamen Sache stellen zu lassen.“ Auch viele in der CDU favorisierten den Bayern.
So kam es am 11. Januar 2002 um acht Uhr morgens im Haus Stoibers im bayerischen Wolfratshausen zu einem legendär gewordenen gemeinsamen Frühstück der beiden. Bei „Semmeln, Butter, Marmelade, Honig sowie etwas Käse und Wurst“, wie Stoiber sich später erinnerte, ließ Merkel dem CSU-Chef schließlich den Vortritt.
• 1998: Gerhard Schröder trickst Oskar Lafontaine aus
An ihren Basisentscheid 1994 hatte die SPD keine guten Erinnerungen. Die Parteimitglieder machten damals Rudolf Scharping zum Kanzlerkandidaten, doch gegen Helmut Kohl hatte der glücklose Pfälzer keine Chance. 1998 dann, die Ablösung des dauerregierenden Kohl schien überfällig, strebten die beiden politischen Alphatiere Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine die Spitzenkandidatur der SPD an.
Das Rennen entschied schließlich wieder eine Wahl – doch nicht die der SPD-Basis, sondern der Niedersachsen: bei der Landtagswahl am 1. März 1998. Schröder, der als Ministerpräsident in Hannover regierte, erwies sich als genialer Taktiker. Er werde nicht als Kanzlerkandidat zur Verfügung stehen, wenn er beim Urnengang in seinem Stammland mehr als zwei Prozentpunkte einbüße, hatte Schröder listig verkündet. So machte er die Niedersachsen-Wahl zur Abstimmung über den Kohl-Herausforderer.
Das Ergebnis: Schröders SPD verlor nicht nur nicht, sie legte vielmehr um 3,6 Prozentpunkte zu und hängte die CDU um Längen ab. Noch am Wahlabend klingelte bei Schröder das Telefon. Am anderen Ende der Leitung meldete sich Parteichef Lafontaine mit den Worten: „Na, Kandidat“. Wenige Monate später schaffte Schröder den Machtwechsel in Berlin.
Der Rest ist Geschichte:Lafontaine wurde Finanzminister, machte sich aber nach einem Jahr buchstäblich bei Nacht und Nebel beleidigt vom Acker – und widmete sich fortan vor allem seinem Projekt, der Regierung Schröder zu schaden.
• 1980 Franz-Josef Strauß lässt die Muskeln spielen
CDU-Chef Helmut Kohl hatte 1976 vergeblich versucht, Helmut Schmidts SPD/FDP-Regierung aus dem Sattel zu heben. Er war geschwächt und als Kanzlerkandidat der Union für die Bundestagswahl 1980 nicht durchzusetzen. Stattdessen favorisierte er den Niedersachsen Ernst Albrecht, der gerade erst eine 17-jährige SPD-Dominanz im Hannoveraner Landtag beendet hatte und eine hohe Popularität genoss.
Doch da war noch ein Anwärter. In Bayern meldete CSU-Chef Franz-Josef Strauß seine Ambitionen an. Dass Kohl seinen Favoriten Albrecht schon öffentlich als Schmidt-Herausforderer präsentiert hatte, störte Strauß wenig. Schließlich setzte er sich durch – auch deshalb, weil Albrecht die Wurzeln innerhalb der Partei fehlten, insbesondere in der Bundestagsfraktion der Union. Bei der entscheidenden Abstimmung dort siegte Strauß mit 135 zu 102 Stimmen.
Erfolg war seiner Kandidatur nicht beschert. Bei der Wahl 1980 rettete sich die sozial-liberale Regierung Schmidt noch einmal ins Ziel, bevor 1982 die Koalition platzte und Helmut Kohl die Gunst der Stunde nutzte – und Bundeskanzler wurde.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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