Eine Hamburger FDP-Abgeordnete verweigerte die Zustimmung. Warum das Regieren für Angela Merkel jetzt nicht leichter wird.

Berlin/Hamburg. Die Börse hat nur kurz gezuckt, der DAX zieht seinen Kursverlauf relativ unbeeindruckt über den Tag. Aus Europa kamen lobende Worte – und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) atmete spürbar auf. Anders als bei den drei Wahlgängen zur Wahl ihres Favoriten Christian Wulff zum Bundespräsidenten im Sommer 2010 stand die eigene, die Kanzlermehrheit bei der Erweiterung des Euro-Rettungsschirmes EFSF sicher. Vier Stimmen über den Durst sind nicht viel. Aber 315 von notwendigen 311 Abgeordneten votierten für die Pläne von Merkels schwarz-gelber Regierungskoalition. Unter den Abweichlern und Neinsagern war auch die Hamburger Abgeordnete Sylvia Canel sowie die erklärten Gegner Wolfgang Bosbach (CDU) und Peter Gauweiler (CSU) und versprengte FDP-Abgeordnete.

Die Abstimmung war auch ein deutliches Signal der Solidarität mit überschuldeten Euro-Staaten. Der Steuerzahler bürgt jetzt mit 211 Milliarden Euro für klamme Länder der Währungsgemeinschaft. Insgesamt stimmten 523 Abgeordnete von Union, FDP, SPD und Grünen für das Gesetz. CDU/CSU und FDP kamen auf 315 Stimmen. Zuvor hatte es eine kontroverse Debatte gegeben. Lesen Sie hier noch einmal den Live-Ticker und den emotionalen Schlagabtausch im Bundestag.

Eine einfache Mehrheit der Stimmen hätte für die Verabschiedung des Gesetzes auch ausgereicht. Das Erreichen der Kanzlermehrheit war zuvor aber als Gradmesser für den Zusammenhalt der Koalition und als Prüfstein für die Autorität von Kanzlerin Merkel stilisiert worden. Allerdings stimmten SPD und Grüne geschlossener ab als die Regierungskoalition. Bei ihnen gab es jeweils nur eine Nein-Stimme, während bei der Union zehn, bei der FDP drei Abgeordnete mit Nein stimmten – bei jeweils einer Enthaltung.

Am Freitag soll auch der Bundesrat in einer Sondersitzung über die EFSF-Erweiterung befinden, eine Mehrheit gilt als sicher. Wichtiger ist: In allen 17 Euro-Ländern müssen die nationalen Parlamente dem Plan zustimmen, bevor die Erweiterung wirksam wird. In mehreren Staaten wird aber erst frühestens im Oktober entschieden. Das knappste Ergebnis wird in der Slowakei erwartet. Das Land wird voraussichtlich als letztes über den EFSF abstimmen.

Das sind die Ergebnisse im Einzelnen:

CDU/CSU: Zehn Nein-Stimmen und eine Enthaltung. Nicht zugestimmt haben die Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Thomas Dörflinger, Herbert Frankenhauser, Alexander Funk, Peter Gauweiler, Josef Göppel, Manfred Kolbe, Carsten Linnemann, Thomas Silberhorn und Klaus-Peter Willsch. Enthalten hat sich Veronika Bellmann.

FDP: Drei Nein-Stimmen kamen von Jens Ackermann, Frank Schäffler und Torsten Staffeldt. Sylvia Canel enthielt sich.

SPD: Nur Wolfgang Gunkel stimmte gegen das Gesetz, Ottmar Schreiner enthielt sich.

Grüne: Hier stimmte allein Hans-Christian Ströbele mit Nein.

Linke: Die Links-Fraktion stimmte komplett mit Nein.

Die EU-Kommission zeigte sich erfreut. „Wir sind froh und begrüßen die Ratifizierung“, sagte Kommissionssprecher Amadeu Altafaj Tardio. Nach der Zustimmung in Slowenien am Dienstag und in Finnland am Mittwoch sei man weiter zuversichtlich, dass bis Mitte Oktober alle Euro-Staaten die neuen Aufgaben für den EFSF verabschiedeten und der Fonds damit genug Feuerkraft zur Eindämmung der Schuldenkrise erhalte.

Die Börse zeigte sich vergleichsweise unbeeindruckt. Der DAX stieg mit dem Votum des Bundestages zwar auf ein Tageshoch von 5642 Punkten. Er gab anschließend aber seine Gewinne wieder ab. Gegen 12.45 Uhr – etwa eine halbe Stunde nach Bekanntgabe des Ergebnisses – stand der Leitindex praktisch unverändert bei 5576 Punkten.

Vor der Abstimmung debattierten Abgeordnete der Fraktionen zweieinhalb Stunden lang kontrovers über den EFSF-Schirm. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle warf der früheren rot-grünen Regierung vor, Schuld an der derzeitigen Krise in Europa zu sein. Ähnlich äußerte sich CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt. Dagegen beschuldigte Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin die Bundesregierung, zu zögerlich zu agieren.

Der Unions-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder (CDU) bezeichnete die Abstimmung als „wichtige Entscheidung für die Zukunft unseres Landes und die Zukunft Europas“. Der SPD-Abgeordnete und ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück kritisierte, es gebe viele Vorurteile gegen das Projekt Europa, die von der Regierung „durch die ein oder andere unbedachte Äußerungen“ noch geschürt worden seien.

Linksfraktionschef Gregor Gysi kritisierte die vorgesehene Parlamentsbeteiligung, die ansonsten breites Lob der Redner fand. Er halte es für einen Skandal, dass „schon wieder ein Geheimausschuss gebildet werden soll“, der über die Auszahlung von Tranchen entscheide, sagte Gysi. Er spielte damit auf den Sonderausschuss an, der in eiligen Fällen Entscheidungen zum EFSF-Schirm treffen soll.

Die ESFF-Abstimmung war nur der Auftakt für eine ganze Serie schwieriger Euro-Entscheidungen. Die kommenden Monate wirken wie ein eng gesteckter Hürdenlauf, bei dem Merkels Regierung ähnlich heftige Debatten über ein zweites Griechenland-Hilfspaket und den dauerhaften Euro-Rettungsmechanismus ESM bewältigen muss. Die Fraktionsführungen wissen, dass sie mittlerweile einen Sockel an mindestens sechs chronischen Nein-Sagern in ihren Reihen haben – bei einer Kanzlermehrheit von 19 Stimmen.

Wann immer künftig Hilfe für einen angeschlagenen Euro-Staat geleistet werden soll, muss das Parlament gesondert zustimmen. Immer wird mit Argusaugen beobachtet, wie groß die schwarz-gelbe Mehrheit ausfallen wird. Merkel muss also immer tiefer in den Spagat zwischen den europäischen und weltweiten Erwartungen nach deutscher Führung und Solidarität und den wachsenden Vorbehalten in Deutschland und vor allem den eigenen Reihen gehen.

Merkels Koalitionspartner haben sich bereits als unsichere Kantonisten geoutet. „Es gibt Grenzen, die wir als CSU nicht überschreiten“, warnte CSU-Chef Horst Seehofer in der „Süddeutschen Zeitung“. Je näher die Landtagswahlen in Bayern rücken, desto stärker werde die Schwesterpartei betonen, dass ihr weiß-blaue Interessen wichtiger sind als Merkels Regierung oder gar Europa, orakeln viele Unionisten. Dazu kommt die taumelnde FDP. Parteichef Philipp Rösler ergriff zwar in der EFSF-Debatte selbst das Wort, um klarzumachen, dass seine Partei trotz der umstrittenen Insolvenz-Debatte über Griechenland für einen pro-europäischen Kurs stehe und auch weitere Entscheidungen mittragen werde. Aber in der CDU-Führung macht man sich angesichts miserabler Umfragewerte der Liberalen sehr wohl Sorgen, ob der Parteichef den von den Euro-Kritikern erwünschten Kurswechsel weiter abwehren kann.

Dabei ist es nur eine kleine Entlastung für die Kanzlerin, dass ein zweites Griechenland-Paket und der dauerhafte Rettungsschirm ESM weit vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein im Mai 2012 beschlossen werden dürften. Denn sollte die FDP auch im Norden den Einzug in den Landtag verpassen, droht Instabilität in Berlin. „Nach dem chinesischen Kalender sind wir derzeit im Jahr des Hasen – und genau den Eindruck vermittelt auch die Regierung“, sagte der heimliche Kanzlerkandidat der SPD, Peer Steinbrück.

EU-Parlamentspräsident Jerzy Buzek hat das Votum des Bundestags zur Erweiterung des Euro-Rettungsfonds EFSF begrüßt. „Das Ergebnis der Abstimmung im Bundestag ist ein wichtiger Schritt zur Wiederherstellung von Vertrauen in der Euro-Zone und zur Überwindung der Staatsschuldenkrise“, sagte Buzek. Das sei ein „weiteres Zeichen der Geschlossenheit und Stabilität“. (abendblatt.de/dpa/rtr/dapd)