Obama, Cameron und Sarkozy sprechen von Massaker. SPD-Fraktionschef Steinmeier im Abendblatt: Die Nato steckt in der Krise.

Hamburg/Berlin/Tripolis. Er ließ sich vom Volk im offenen Wagen feiern und schickte seine Tochter Aisha als Friedensengel vor – als sei er nicht selbst der Anlass des blutigen Bürgerkriegs in Libyen. Muammar al-Gaddafi zieht alle Register, um doch noch an der Macht zu bleiben. Seine Tochter Aisha hat in der Hauptstadt Tripolis ein Ende der Nato-Luftangriffe gefordert. „Lasst unseren Himmel mit euren Bomben in Ruhe“, sagte Aisha vor Hunderten jubelnden Gaddafi-Anhängern an die Adresse der internationalen Gemeinschaft gerichtet. „Wir sind ein Volk, das nicht besiegt werden kann.“ Sie winkte der Menge vom Balkon des Bab al-Asisija zu, einem militärischen Komplex, der bei Angriffen des US-Militärs vor 25 Jahren stark beschädigt wurde.

Am Donnerstag hatte das libysche Staatsfernsehen neue Aufnahmen von Gaddafi gezeigt. Bekleidet mit einem westlichen Blazer, schwarzem T-Shirt, Sonnenbrille und Hut fuhr Gaddafi in einem offenen Geländewagen stehend durch die Straßen der Hauptstadt Tripolis, verfolgt von Dutzenden Anhängern. Dabei reckte er die Faust in die Höhe. Nach Angaben des Senders stammten die Aufnahmen vom Donnerstag. Am selben Tag wurden laut Fernsehen militärische und zivile Gebiete in der Hauptstadt von Nato-Luftangriffen getroffen. Unter Zivilisten habe es Opfer gegeben. Anwohnern zufolge waren in Tripolis mehrere schwere Explosionen zu hören, schwarzer Rauch stieg im Südosten der Stadt auf. Anschließend sei Flugabwehrfeuer zu hören gewesen.

Die USA, Großbritannien und Frankreich wollen im Libyen-Konflikt nicht lockerlassen, ehe Machthaber Gaddafi die Führung abgegeben hat. Das machten die Präsidenten Barack Obama und Nicolas Sarkozy sowie der britische Premierminister David Cameron in einem gemeinsamen Zeitungsbeitrag für die britische „Times“, den französischen „Le Figaro“ und die „Washington Post“ deutlich. Würde Libyen seinem Schicksal überlassen, bestehe das Risiko, dass das Land zu einem „gescheiterten Staat“ werde. „Solange Gaddafi an der Macht ist, müssen die Nato und ihre Koalitionspartner ihre Operationen weiterführen, sodass Zivilisten geschützt bleiben und Druck auf das Regime aufgebaut wird“, schreiben Obama, Sarkozy und Cameron. Die Nato-Außenminister hatten am Donnerstag bei ihrem Treffen in Berlin eine „transparente politische Lösung“ gefordert. Dies sei der einzige Weg für einen dauerhaften Frieden in Libyen.

Die Welt würde sich eines „skrupellosen Verrats“ schuldig machen, würde Gaddafi an der Macht bleiben, heißt es in dem Bericht von Obama, Sarkozy und Cameron. Auch eine Waffenruhe mit einem Ausstiegsszenario für Gaddafi, das Familienmitglieder in Libyen an der Macht belasse, sei nicht akzeptabel. „Es ist undenkbar, dass jemand, der sein eigenes Volks massakrieren wollte, eine Rolle in einer künftigen Regierung spielt.“

Erstmals stellte die Nato Gaddafi klare Bedingungen für ein Ende der Luftschläge. Alle Angriffe und Angriffsdrohungen gegen Zivilisten müssten aufhören. Außerdem müssten sich alle Streitkräfte einschließlich Heckenschützen, Söldnern und anderen paramilitärischen Milizen nachprüfbar zurückziehen. Ferner müsse das Regime für humanitäre Hilfsleistungen an alle Bedürftigen im Lande ungehinderten Zugang gewähren. Andernfalls werde das „hohe Einsatztempo“ aufrechterhalten, warnte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. „Wir werden nicht untätig zusehen, wie ein diskreditiertes Regime sein eigenes Volk mit Granaten, Panzern und Scharfschützen angreift.“

Der arabische Nachrichtensender al-Dschasira meldete unter Berufung auf die Aufständischen, die Regierungstruppen hätten ein Gebiet in der Nähe des Hafens der seit Wochen belagerten westlichen Stadt Misrata angegriffen. 23 Menschen seien getötet worden, darunter drei Ägypter. Unterdessen rief auch das Terrornetzwerk al-Qaida zum Kampf gegen Gaddafi auf. Die arabischen Armeen müssten in Libyen eingreifen und helfen, Gaddafi zu vertreiben, bevor „die Hilfe des Westens ... sich in eine Invasion verwandelt“, sagte der Stellvertreter von Osama bin Laden, Eiman al-Sawahiri, laut US-Sender ABC in einer Videobotschaft, die auf Islamisten-Websites verbreitetet wurde.

In der Frage nach einem humanitären EU-Einsatz deutscher Soldaten in Libyen sind die Deutschen gespalten. Die Aufnahme nordafrikanischer Flüchtlinge lehnt die Mehrheit aber ab. Das ergab der „Deutschlandtrend“ von Infratest dimap im Auftrag des ARD-Morgenmagazins. Demnach lehnen 45 Prozent der Befragten einen Einsatz deutscher Soldaten zur Unterstützung humanitärer Hilfseinsätze ab. 50 Prozent der Bundesbürger unterstützen nach ARD-Angaben ein solches militärische Vorhaben der EU und befürworten den Einsatz deutscher Soldaten. Mehr als die Hälfte (56 Prozent) der Bürger ist gegen eine Aufnahme von Nordafrikanern aus den Krisengebieten. 39 Prozent sind für eine Aufnahme. Der Rest ist nicht entschieden. Der Umgang mit Flüchtlingen aus Nordafrika ist ein Zankapfel zwischen Regierung und Opposition. Während sich Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) gegen eine Aufnahme wendet, beklagten SPD, Linke und Grüne eine „Abschottungspolitik“.

Derweil hat SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier den Zustand der Nato scharf kritisiert. Dem Hamburger Abendblatt sagte Steinmeier: „Die beim Nato-Gipfel demonstrativ zur Schau gestellte Einigkeit kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich das Bündnis in einer tiefen Krise befindet.“ Der Streit in der Frage des Libyen-Einsatzes habe tiefe Gräben aufgerissen. „Wir müssen dringend wieder zu mehr Einigkeit finden“, forderte der frühere Außenminister. Er bezweifle aber, dass die Bundesregierung noch genügend internationales Gewicht habe, hierzu entscheidend beitragen zu können.

Der Bundesregierung warf Steinmeier vor, durch ihr Verhalten im Libyen-Einsatz Deutschlands Rolle in der Nato geschwächt zu haben. „Das Lavieren zwischen militärischer Nichtbeteiligung und unausgegorenen Angeboten militärischer Beiträge zur humanitären Hilfe trägt jedenfalls nicht dazu bei, den deutschen Einfluss in der Nato zu erhöhen“, sagte der Oppositionsführer im Bundestag.

Mit Material von dpa, AFP und dapd