Eine Überläuferin sorgte für die Mehrheit von Silvio Berlusconi. Zehntausende protestierten in Italien und besetzten Gleise und Landebahnen.

Rom. Erst gab es Tumulte und Handgreiflichkeiten, dann hatte Ministerpräsident Silvio Berlusconi wieder alles im Griff. Der angeschlagene italienische Regierungschef kann im Amt bleiben. Er konnte einen Misstrauensantrag der Opposition in der Abgeordnetenkammer in Rom mit knapper Mehrheit abwehren. Bei der Abstimmung sprachen ihm 311 Parlamentarier das Misstrauen aus, 314 votierten gegen den Antrag. Zu den Auseinandersetzungen war es gekommen, nachdem sich die Abgeordnete Katia Polidori für Berlusconi aussprach und damit gegen den Willen ihrer Partei handelte. Allerdings gingen in Italien Zehntausende auf die Straßen. Bei gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei wurde bislang niemand verletzt. Es kam aber zu Blockaden und Sachbeschädigungen.

Vor der Abstimmung im Abgeordnetenhaus hatte Berlusconi im Senat selbst die Vertrauensfrage gestellt und diese klar gewonnen. 162 Senatoren sprachen ihm das Vertrauen aus, 135 stimmten dagegen. Der 74-jährige Regierungschef hat im Parlament seit dem Bruch mit seinem früheren Bündnispartner Gianfranco Fini Ende Juli keine Mehrheit mehr. Schon im September hatte er dennoch eine Vertrauensabstimmung gewonnen.

Herausforderer Fini hatte Berlusconi wiederholt zum Rücktritt aufgefordert, um damit den Weg für eine neue Mitte-Rechts-Regierung freizumachen. Dies lehnte Berlusconi strikt ab. Wenn er nicht mehr das Vertrauen bekomme, werde es Neuwahlen geben, sagte er mehrfach. Für Fini ist der gescheiterte Misstrauensantrag eine Niederlage. Mehrere seiner FLI-Abgeordneten schlossen sich dem Votum gegen Berlusconi nicht an. Während der Abstimmungen im Parlament kam es in der Umgebung zu schweren Auseinandersetzungen zwischen demonstrierenden Berlusconi-Gegnern und der Polizei.

Trotz des Erfolgs für Berlusconi sind die Aussichten auf stabile Verhältnisse äußerst gering. Wegen der knappen Mehrheit gilt es als unwahrscheinlich, dass die Mitte-Rechts-Regierung die Reformen durchsetzen kann, die als entscheidend für die Überwindung der Rezession angesehen werden. Selbst Innenminister Roberto Maroni von der rechtskonservativen Liga Nord brachte deshalb Neuwahlen ins Gespräch.

Mit großer Aufmerksamkeit verfolgten die wegen der Euro-Krise alarmierten Finanzmärkte die Abstimmung. Eine längere Phase der Unsicherheit oder ein harter, kontroverser Wahlkampf könnten die Aufmerksamkeit auf die angespannte Finanzlage Italiens lenken. Mit einem Schuldenstand von 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gehört Italien zu den am höchsten verschuldeten Ländern der Welt. Eine restriktive Ausgabenpolitik und ein konservatives Bankenwesen, das sich in Boomzeiten nicht an Marktexzessen beteiligte, haben bislang politische Erschütterungen wie in Griechenland und Irland verhindert.

Schon im Laufe des Schicksalstages für Berlusconi hatten Zehntausende Studenten gegen die Hochschul-Sparpläne der italienischen Regierung demonstriert. In Rom beteiligten sich nach Angaben der Organisatoren rund 100.000 Menschen an einem Protestzug. Bei den Demonstranten handelte es sich demnach mehrheitlich um Studenten, aber auch um Arbeitslose und andere sozial Benachteiligte sowie um Bewohner der durch ein Erdbeben vor gut anderthalb Jahren schwer zerstörten Stadt L'Aquila. Ein großes Sicherheitsaufgebot versperrte den Demonstranten den Zugang zum Senat und zum Abgeordnetenhaus.

Auf den Spruchbändern der Demonstranten in Rom standen Parolen wie „Ihr, eine skandalöse Kaste, wir, eine laute Mehrheit“. Einige Demonstranten entzündeten Brandraketen. Die Situation eskalierte am Nachmittag, als eine Gruppe von Demonstranten das Abgeordnetenhaus erreichte. Die Polizei ging mit Tränengas und Schlagstöcken gegen die Gruppe vor. Unbekannte zündeten drei selbstgebaute Sprengsätze in einer Gasse in der Nähe des Abgeordnetenhauses. Andere bewarfen die Beamten mit Eiern und Farbe. Zahlreiche Schaufenster auf der zentralen Via del Corso gingen zu Bruch.

In Palermo auf Sizilien besetzten mehr als 500 Schüler und Studenten kurzzeitig die Landebahn des Flughafens. Dort entrollten sie ein Spruchband mit der Aufschrift „Wir blockieren alles, damit sie sich alle davonmachen“. Nach Angaben des Flughafenbetreibers verursachte die Protestaktion keine Störung des Flugverkehrs, weil zu dieser Zeit ohnehin keine Starts oder Landungen geplant gewesen seien. Andere Demonstranten besetzten in Palermo Gleise und verursachten damit Störungen im Zugverkehr.

Im norditalienischen Mailand, der Heimatstadt Berlusconis, drangen etwa 50 Studenten ins Gebäude der Börse ein und entfalteten ein Spruchband mit der Aufschrift „Ihr seid ein Haufen rassistischer Geschäftemacher, Ihr müsst uns Geld geben“. Nachdem sie aus dem Gebäude gedrängt wurden, bewarfen sie es mit Feuerwerkskörpern.

Weitere Demonstrationen fanden in den norditalienischen Städten Genua und Turin und im Süden des Landes in Neapel und Bari sowie in Cagliari auf Sardinien statt. Die geplante Hochschulreform sieht unter anderem das Zusammenlegen der kleinsten Hochschulen und eine Beschränkung der Macht der Hochschulrektoren vor. Außerdem sollen externe Experten in die Verwaltungsräte der Universitäten entsandt werden. Nach Einschätzung der Kritiker sollen diese Experten Einsparungen durchsetzen.