Der Regierungschef muss sich heute zwei von der Opposition angestrengten Misstrauensvoten stellen. Im Parlament hat er keine sichere Mehrheit

Rom. Geht man davon aus, dass der Himmel ein heiterer Ort ist, so dürfte an diesem Tag die Lustigkeit noch größer sein, denn die Menschen unten in Rom liefern wieder ein köstliches Schauspiel. In der Via del Plebiscito sitzt Talia De Mare seit Stunden auf ihrem Klappstuhl und wartet vor einem Palazzo, in den dauernd angespannt wirkende Männer in dunklen Anzügen hineingehen. Die hübsche junge Frau aber wird nicht vorgelassen. Und das, obwohl sie eine Botschaft aus dem Himmel mit sich führt, welche alle Sorgen dieser hektischen Menschen auf einen Schlag beenden würde. De Mare hat eine Nachricht bei sich, die eine Frau im Marienwallfahrtsort Santuario di Gimigliano empfangen haben soll: Die Mutter Gottes habe dort mitgeteilt, Silvio Berlusconi werde aus der heutigen Vertrauensabstimmung als Sieger hervorgehen. Doch der Premier zeigt sich nicht. "Vielleicht kommt er später einmal raus", sagt jetzt einer der Wachmänner versöhnlich zur jungen Frau. "Ja, es ist wichtig", sagt sie.

Wäre man nicht in den Wissensvorsprung der Madonna eingeweiht, müsste man sagen, dass Italien heute einen sehr spannenden Tag vor sich hat. Gehen die Misstrauensanträge gegen Berlusconi durch, muss der Staatspräsident entscheiden, ob der Regierungschef oder jemand anderes mit den bestehenden Mehrheiten eine neue Regierung bilden kann. Sonst gibt es Neuwahlen. Das Ergebnis wird höchst knapp ausfallen, weshalb Berlusconi heftig um die Stimmen einzelner Abgeordneter buhlt. "Es ist Wahnsinn, eine Krise ohne erkennbare Lösungen zu provozieren", wetterte der Regierungschef in Richtung seiner Gegner. Trotzdem: Berlusconi gab sich bei seiner Regierungserklärung vor dem Parlament gestern siegesgewiss. Doch was ist Propaganda, was Realität?

Auch wenn Berlusconi selbst seit 16 Jahren einer ist, er hat Politiker immer verachtet - vor allem, weil man dafür in Italien mit großer Zustimmung rechnen kann. Aber nie dürfte seine Abneigung so groß gewesen sein wie in diesen Tagen. Denn sollte seine Regierung stürzen, läge dies nicht an den Wählern, die ihm im April 2008 eine triumphale Mehrheit geschenkt hatten. Nein, es sind die eigenen "Parteifreunde", die sich von ihm losgesagt und die eigene Partei "Zukunft und Freiheit für Italien" gegründet haben. Seither hat Berlusconi keine sichere Mehrheit mehr im Parlament. Die Rolle des Judas hat dabei Parlamentspräsident Gianfranco Fini, den man jahrelang Arm in Arm mit Berlusconi sah und der jetzt den Misstrauensantrag unterstützt. So unterhaltsam es ist, zu beobachten, wie sich das rechte Lager in Italien neu ordnet, so ermüdend ist es, wie sich die öffentliche Debatte seit 16 Jahren auf Berlusconi fixiert - das reale Italien ist längst ein anderes. Vor allem eines, in dem junge, gut ausgebildete Leute ihrer Heimat den Rücken kehren, aus Frustration darüber, dass nur derjenige in Italien Beschäftigungsmöglichkeiten hat, der über einen Vater, einen Politiker oder einen Gewährsmann verfügt, der das ermöglicht.

"Es ist nicht Berlusconi", meint ein junger Mann im römischen Zentrum, "es ändert sich nichts, wenn Berlusconi geht." Er habe nicht nur das Vertrauen in Berlusconi, sondern in die Politik grundsätzlich verloren. Man kann es sich wohl so vorstellen: Ein Fünftel der Italiener unterstützt Berlusconi, denn sie teilen bis heute seinen immergleichen Ruf nach weniger Staat. Ein weiteres Fünftel lehnt ihn leidenschaftlich ab, sie sehen in ihm den Totengräber der Kultur oder gar der Demokratie. Doch mindestens drei Fünftel ist es ganz egal. Sie glauben ohnehin nicht mehr an den Gestaltungswillen der Politik und gehen höchstens noch aus Tradition zur Wahl. Noch nie gab es eine so geringe Wahlbeteiligung und so viele ungültige Wahlzettel wie bei den Regionalwahlen im März dieses Jahres. Im Jahr 1994, so meint De Mare, die immer noch auf ihrem Klappstuhl wartet, habe die Madonna sich Berlusconi als Heilsbringer gewünscht, als das italienische Parteiensystem unter Korruption zusammenbrach. "Meine Tochter", habe die Madonna damals gesagt, "Italien hat den Boden erreicht, und die Alten wollen die Herrschaft nicht lassen. Mach, dass mein Sohn Berlusconi von meinem Auftrag erfährt." Berlusconi sollte einige "Plagen" Italiens bewältigen - etwa "Arbeitslosigkeit" und "Obszönität" -, doch zumindest diese beiden hat ausgerechnet er in neue Höhen geführt.

Trotz Madonna vertraut Berlusconi eher auf irdische Mittel, um seinen Regierungsauftrag zu retten. Im Abgeordnetenhaus an der Piazza di Montecitorio findet bis zur Abstimmung das statt, was die Zeitungen in Anlehnung an den Fußball "Transfermarkt" nennen. Nur dass hier um Abgeordnete geworben wird. 314 Stimmen braucht Berlusconi, 310 hat er sicher, genauso viele die Opposition. Fünf Abgeordnete der Mitte sind noch unentschlossen, zwei Abgeordnete der Rechten hochschwanger, eine der Linken. Welche der Frauen kommt zur Abstimmung? Inzwischen suchen die Emissäre Berlusconis nun "ribaltoni", "Umkipper", die aus der Opposition ins Regierungslager wechseln. Domenico Scilipoti haben sie schon gefunden: Er ließ sich für die Anti-Berlusconi-Partei "Italien der Werte" wählen, aber will nun für Berlusconi stimmen. Der seriöse "Corriere della Sera" poltert, es sei eine "nie da gewesene Schwelle der Scham erreicht worden". Scilipoti rechtfertigte sich damit, in der Euro-Krise brauche Italien eine stabile Regierung und könne sich keine Neuwahlen leisten.

In den Palazzo Grazioli biegen gerade wieder zwei abgedunkelte Limousinen ein, durch das Licht in der Dämmerung ist schemenhaft Berlusconis Rechtsanwalt Niccolò Ghedini zu erkennen. Noch 24 Stunden bis zur Abstimmung, der Cavaliere hat zu einer weiteren Krisensitzung gerufen. Sie werden über Listen mit Namen brüten - welche Abgeordneten könnte man mit welchen Angeboten noch hinüberziehen? Talia De Mare sitzt in der Kälte auf dem Klappstuhl. Würde sie vorgelassen, sie könnte Berlusconi schon heute die frohe Botschaft von der Madonna vom Santuario di Gimigliano überbringen.