Sein Stuhl in Oslo blieb leer. Doch der Friedensnobelpreisträger scheint sich nicht brechen zu lassen. China blockiert BBC und CNN.

Oslo. Elf Jahre Haft für einen Unbeugsamen, ein Stuhl, der unbenutzt blieb und Aufregung um den Friedensnobelpreis rund um die Erde: Liu Xiaobo hat die höchste Auszeichnung erhalten und sie doch nicht bekommen. Der Friedensnobelpreis ist in Abwesenheit vergeben worden. An der Zeremonie in Oslo konnte der inhaftierte chinesische Dissident Liu Xiaobo nicht teilnehmen. Er verbüßt eine Haftstrafe über elf Jahre und darf nicht ausreisen. Seine Frau und etliche seiner Anhänger wurden von den chinesischen Behörden unter Hausarrest gestellt, damit niemand den Preis an seiner Stelle entgegennehmen konnte. So blieb der für Liu vorgesehene Stuhl während der gesamten Zeremonie leer.

Der Sekretär des Nobelkomitees, Geir Lundestad, erklärte, der leere Stuhl bei der Zeremonie symbolisiere, wofür Liu den Preis erhalte. Es ist das erste Mal seit 1936, als Nazi-Deutschland Carl von Ossietzky eine Reise zur Entgegennahme des Preises verweigert, dass der Friedensnobelpreis nicht übergeben werden kann. „An dem Tag, der den Verteidigern der Menschenrechte gewidmet ist, sind meine Gedanken bei Liu Xiaobo“, erklärte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton. „Ich rufe abermals zu seiner sofortigen Freilassung auf.“ Der Friedensnobelpreisträger sei zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden, obwohl er nur friedlich seine Ansichten über politische Reformen in China kundgetan habe.

„Heute ist ein trauriger Tag für die Verteidiger der Menschenrechte“, sagte der Präsident des Europäischen Parlaments, Jerzy Buzek. „In Oslo gab es einen leeren Stuhl für Liu Xiaobo.“ Anstatt seinen Friedensnobelpreis zu empfangen, sei Liu noch immer im Gefängnis, und seine Frau stehe unter Hausarrest. „Sie müssen beide freigelassen werden, und zwar sofort und ohne Bedingungen“, sagte Buzek. Die beiden Nachrichtensender BBC und CNN waren in China vorübergehend nicht empfangbar. Von ihnen ausgestrahlte Berichte über Liu und die Übertragung der Verleihungszeremonie bekamen die chinesischen Fernsehzuschauer deshalb nicht zu sehen. Außerdem waren einige Nachrichtenseiten im Internet von China aus nicht mehr zugänglich.

Die chinesische Polizei umstellte schon am Donnerstag Lius Haus in Peking. Die Beamten kontrollierten die Ausweise von allen, die die Wohnanlage betreten wollten. Etliche Journalisten außerhalb der Anlage wurden von der Polizei in einen gesonderten Bereich gesperrt. Sicherheitskräfte haben zahlreiche, als Oppositionelle bekannte Aktivisten zum Verlassen der Hauptstadt gedrängt.

In der norwegischen Hauptstadt Oslo und an vielen Orten der Welt kam es zu antichinesischen Protesten. Etwa 100 Demonstranten zogen in Oslo in Richtung der chinesischen Botschaft und forderten die Freilassung des Regierungskritikers. Sie wollten in der Botschaft eine Petition mit über 100.000 Überschriften für Liu überreichen, wurden von der Polizei aber vor dem Botschaftsgelände abgedrängt. Die chinesischen Behörden haben außerdem Druck auf ausländische Diplomaten ausgeübt, nicht an der Zeremonie in Oslo teilzunehmen. China und 17 Länder haben eine Teilnahme abgelehnt, darunter Russland, Pakistan, der Iran, Venezuela und Kuba.

Bei der Zeremonie in Oslo las Schauspielerin Liv Ullmann aus einem Liu-Text vor. „Ich habe keine Feinde, keinen Hass“, hörten die Zuhörer. Er sei optimistisch für sein Land, hieß es in dem Text. Es gebe Fortschritte auf dem Weg zur Demokratie. Reformen und die Öffnung nach außen hätten „ein entspanntes Klima geschaffen“.

Verblüfft und auch bewegt vernahmen das die Zuhörer, unter ihnen Norwegens König Harald V. Denn Lius Wort wollten so gar nicht zum Verhalten der chinesischen Führung seit der Entscheidung des Nobelkomitees im Oktober passen. Immer härter und brutaler hatte Peking gegen Norwegen als „Verursacherland“ getobt. Am Ende zauberten die Machthaber in ihrer Wut auch noch einen „Alternativpreis“ gegen die unliebsame Osloer Vergabe aus dem Hut. Genauso hatten es auch die deutschen Nationalsozialisten 1936 nach der Vergabe des Friedensnobelpreises an den Publizisten Carl von Ossietzky gemacht, dem vorher nach langer Haft wie Liu die Annahme des Preises in Oslo verboten worden war.

Thorbjörn Jagland, Chef des norwegischen Nobelkomitees, hütete sich davor, Schlüsse aus den verblüffenden Parallelen zwischen dem Streit um Ossietzky und den um Liu 74 Jahre später zu ziehen. „Man darf die chinesische Führung ganz bestimmt nicht mit den Nazis vergleichen.“

Über seine eigene Frau Liu Xia sagte der inhaftierte Liu, ihre Lage sei viel schlimmer als die eigene. Sie sei in „nicht fassbaren“ Herzensqualen gefangen sei, während er in einem „fassbaren Gefängnis“ seine Strafe absitzen könne. Und dann direkt an die geliebte Frau gerichtet, der Peking ebenfalls die Ausreise nach Oslo verboten hatte: „Deine Liebe ist das Sonnenlicht, das über hohe Mauern springt und die Gitterstäbe meines Gefängnisfensters durchdringt, jeden Zentimeter meiner Haut streichelt, jede Zelle meines Körpers wärmt und mir erlaubt, immer Frieden, Offenheit und Helligkeit in meinem Herzen zu bewahren, und jede Minute meiner Zeit in Haft mit Bedeutung erfüllt.“