Friedensnobelpreisträger bleibt in Haft. China vergibt eine eigene Ehrung und behandelt Liu Xiaobo wie einst die Nazis Carl von Ossietzky.

Oslo/Peking. Ein leerer Stuhl in Oslo symbolisiert die Unterdrückung in China: Der Friedensnobelpreis kann in diesem Jahr weder an den Preisträger noch an seine Familie übergeben werden. Während der feierlichen Zeremonie am Freitag im Rathaus der norwegischen Hauptstadt sitzt der geehrte chinesische Bürgerrechtler Liu Xiaobo Tausende Kilometer entfernt in einer Zelle im Jinzhou-Gefängnis in Nordostchina. Seine Frau Liu Xia wird in ihrer Wohnung in Peking ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt unter Hausarrest gehalten.

Aber auch das ist der chinesischen Führung als Machtdemonstration noch nicht genug. Nach unverhohlenen Drohungen an andere Länder haben 19 Regierungen weltweit ihre Botschafter in Oslo angewiesen, nicht wie sonst üblich an der Verleihungszeremonie teilzunehmen. „Beispiellos“ nannte Geir Lundestad, Chef des Nobelinstitutes, diesen massiven Druck aus China.

Dabei wurden durchaus Erinnerungen wach an frühere Machthaber, die ihrem Unmut über eine Vergabe des Friedensnobelpreisträgers an unliebsame und deshalb auch eingekerkerte Kritiker freien Lauf gelassen haben: Adolf Hitler verbot 1936 dem seit Jahren inhaftierten Publizisten Carl von Ossietzky (1889-1938) die Reise nach Oslo.

Liu Xiaobo war vom Nobelkomitee in diesem Jahr für seinen „langen und gewaltlosen Kampf für fundamentale Menschenrechte in China“ ausgezeichnet worden. Aus China konnte auch kein anderer Bürgerrechtler nach Oslo reisen. Entweder sind sie in Haft, oder sie stehen unter Hausarrest, wurden eingeschüchtert oder einfach an der Ausreise gehindert. Immerhin kommen aus der exilchinesischen Dissidentengemeinde rund 40 Mitglieder in Oslo zusammen – ehemalige Studentenführer, Aktivisten, Dissidenten oder Opfer der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989.

„Das Nobelpreiskomitee hat eine große und lange überfällige Entscheidung getroffen, um Liu Xiaobo zu ehren, was auch unsere Bemühungen anerkennt und die Welt daran erinnert, dass es hier noch eine unerledigte Sache gibt“, sagte der heute in Taiwan lebende Ex-Studentenführer Wu'er Kaixi, Liu Xiaobos Mitstreiter von 1989, der Nachrichtenagentur dpa. „Wir verstehen, dass dieser Preis an Liu Xiaobo verliehen wurde, um seinen Mut und seine Bestrebungen zu würdigen. Gleichzeitig ist es auch eine Auszeichnung für alle Chinesen, die sich an diesem Kampf beteiligen“, sagte Wu'er. So hatte Liu Xiaobo den Preis sofort nach der Verkündung den Opfern des Massakers vom 4. Juni 1989 gewidmet. „Sie haben mit ihrem Leben dafür bezahlt, dass sie den Geist von Frieden, Demokratie, Freiheit und Gewaltlosigkeit praktiziert haben“, hatte seine Frau ihn zitiert.

Vergeblich hatten sich Regierungen, darunter auch die deutsche, sowie Menschenrechtler und frühere Nobelpreisträger für Liu Xiaobos Freilassung eingesetzt. „Auch wenn er nur einer von 1,3 Milliarden ist, steht die Geschichte des diesjährigen Preisträgers Liu Xiaobo traurigerweise sinnbildlich für die Intoleranz der chinesischen Regierung gegen individuelle Meinungsäußerung“, kritisieren Bischof Desmond Tutu und der ehemalige tschechische Präsident Václav Havel in einem Beitrag für das britische Blatt „Observer“. Der Welt dürfe das nicht egal sein, finden die beiden Friedensnobelpreisträger: „China verletzt nicht nur die Menschenrechte seiner Bürger, sondern verhätschelt und unterstützt auch brutale Diktaturen rund um die Welt.“ Ein klarer Hinweis auf Nordkorea, Birma und den Sudan.

China sieht derweil für seinen Boykott der Friedensnobelpreis-Verleihung einen breiten Rückhalt in der Weltgemeinschaft. Mehr als 100 Länder und Organisationen hätten bisher ihre Unterstützung für die chinesische Haltung geäußert, sagte eine Sprecherin des chinesischen Außenministeriums. „Das zeigt ganz klar, dass die internationale Gemeinschaft die Entscheidung des Nobelpreiskomitees nicht akzeptiert.“ Das Nobelkomitee sprach als Gastgeber von 19 Staaten, die ihre Teilnahme and der Feier am Freitag abgesagt haben.

Aktivisten und Dissidenten äußerten Zweifel an der Darstellung der chinesischen Regierung. „Was für ein totaler Blödsinn“, sagte die frühere Journalistin und Unterzeichnerin der Petition zur Freilassung Xiaobos, Li Datong, der Nachrichtenagentur Reuters. „Das ist eine Lüge, ganz klar.“ Die Namen der Länder und Organisationen, die der Zeremonie fernbleiben wollten, wollte China nicht nennen. Das norwegische Nobelpreiskomitee erklärte, neben China hätten folgende Staaten abgesagt: Russland, Kasachstan, Kolumbien, Tunesien, Saudi Arabien, Pakistan, Serbien, Irak, Iran, Vietnam, Afghanistan, Venezuela, die Philippinen, Ägypten, Sudan, die Ukraine, Kuba und Marokko. Vertreter von 44 Staaten sagten zu, Algerien und Sri Lanka reagierten nicht auf Einladungen.

China wird derweil einen konkurrierenden „Konfuzius-Friedenspreis“ vergeben. Der frühere taiwanische Vizepräsident Lien Chan soll am Donnerstag die Auszeichnung für seinen Einsatz zur Aussöhnung zwischen China und Taiwan erhalten. Das berichtete der Organisator Tan Changliu der Nachrichtenagentur dpa in Peking. Norwegen sei nur ein kleines Land und eine Minderheit, wenn es um Freiheit oder Demokratie gehe, heißt es in einer Erklärung. China hingegen sei „ein Symbol des Friedens“. Es müsse mit seinen 1,3 Milliarden Menschen „eine größere Stimme in Sachen Weltfrieden bekommen“. Das Vorgehen erinnert an nationalsozialistische Zeiten in Deutschland. Aus Protest gegen den Friedensnobelpreis für den wegen Landesverrats ebenfalls inhaftierten Carl von Ossietzky schuf Adolf Hitler im Januar 1937 einen eigenen Preis: Den Deutschen Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft. Kein Deutscher durfte fortan noch einen Nobelpreis entgegennehmen.