Die Chinesen sind begeistert - und diskutieren mit einer Geheimsprache im Netz. So umgehen sie die Zensur des chinesischen Regimes.

Hamburg. „Lachs“ statt „ Norwegen“, „Reis und Wein“ statt „ Feierlichkeitsbankett“. Wenn die Chinesen die Zensur im Internet austricksen wollen, dann benutzen sie einfach fantasievolle Ersatzwörter. Es ist ihre Geheimsprache, um in Foren und Chats ihre Meinung zu sagen über den c hinesischen Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo . Und es ist der Weg der Chinesen, die "sensiblen Wörter" der staatlichen Internetsperre zu umgehen. Seit dem 8. Oktober - dem Tag der Verleihung des Preises in Norwegen - sind auch "Friedensnobelpreis" und "Liu Xiaobo" sensible Wörter. "Die Sprache ist harmonisiert“, sagen die Menschen in China zur Zensur. Und je mehr sensible Wörter gesperrt sind, desto mehr neue fantasievolle Ersatzwörter kursieren im Internet - dafür muss man lernfähig sein. Sowohl der Nutzer als auch die staatlichen Behörden.

Auf der größten Suchmaschine Chinas "Baidu" steht bis auf eine offizielle Stellungnahme des chinesischen Außenministeriums zur Preisvergabe nichts mehr über den 54 Jahre alten Liu. Auch die Artikel über die Preisverleihung werden von den Startseiten der chinesischen Medien genommen und an irgendeine unauffällige Stelle gesetzt. Auf Frage von Nutzern, wer endlich den Friedenspreis gewonnen hat, wurde in Foren scherzhaft geantwortet, dass der US-Präsident Barack Obama den Preis dieses Jahr erneut gewonnen hat. Virtueller Zynismus im Alltag der Meinungsdiktatur.

Im Vergleich zu Wortspielen und staatlich beaufsichtigten Berichten in chinesischen Foren tobt es schon in dem Kurznachrichtendienst "Twitter". Knapp eine Minute nach der Bekanntgabe des Friedensnobelpreises an Liu ist das Twitter-Konto von Liu Xia, die Ehefrau von Liu voll von Glückwünschen. Ganz schnell sammelten sich die Menschen über Twitter auf der Straße, um diesen „Erfolg der freiheitsliebenden Chinesen mit Banketten" zu feiern. Um ihr Dankschön an Norwegen zum Ausdruck zu bringen, steht Lachs hoch in ihrer Speisekarte. Begeisterte Menschen halten Plakate mit Fotos von Liu hoch und fordern seine sofortige Freilassung. Manche wurden von Polizisten wegen „Ordnungsstörung“ inhaftiert, die inzwischen aber wieder freigelassen sind. Zweifelnde Stimmen sind auch zu hören. Der Dissident Wei Jingsheng, der in den USA im Exil lebt, warnt davor, dass die Preisvergabe an Liu die politische Lage Chinas eher stabilisieren werde – und deswegen die Diktatur so länger am Leben gehalten wird. Aber sowohl Pro als auch Kontra in Frage Liu Xiaobos sind zurzeit in chinesischen Medien absolut tabu. Es sind einfach zu viele "sensible Wörter" darin. Die Zensur geht sogar soweit, dass das kürzlich geführte Interview mit dem amtierenden Ministerpräsidenten Wen Jiabao und dem amerikanischen Fernsehsender CNN gefiltert wurde, bevor es in China gesendet wurde.

Liu Xiaobo selbst hat seinen Friedensnobelpreis unterdessen den Opfern des Massakers vom Platz des Himmlischen Friedens aus dem Jahr 1989 gewidmet. Nach einem Treffen unter Tränen im Gefängnis zitierte seine Frau Liu Xia ihren Mann, der Preis gehöre „den Seelen der Getöteten“ der niedergeschlagenen Demokratiebewegung vom 4. Juni 1989. Die Polizei hielt die 50-Jährige unter Hausarrest in ihrer Pekinger Wohnung fest. Menschenrechtsgruppen forderten Freiheit für Liu und seine Frau. Aus Protest gegen den Friedensnobelpreis sagte China kurzfristig ein Ministertreffen mit Norwegen ab.

Der 54-Jährige, der 1989 Teil der Demokratiebewegung war, habe tief bewegt der Opfer gedacht, berichtete Liu Xia im Internet via Kurzmitteilungsdienst Twitter. „Sie haben mit ihrem Leben dafür bezahlt, dass sie den Geist von Frieden, Demokratie, Freiheit und Gewaltlosigkeit praktiziert haben“, zitierte Liu Xia ihren Mann. Nach ihrer Rückkehr nach Peking war es Liu Xia weiter verwehrt, Freunde oder Journalisten zu kontaktieren. Auch ihr Handy war unbrauchbar. Sicherheitsleute hatten das Wohngebiet abgeriegelt.