SPD-Landeschefin Kraft will sich mit den Grünen zu einer Minderheitsregierung zusammentun. Noch-Ministerpräsident Rüttgers übte Kritik.

Düsseldorf. Der amtierende nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers hat der SPD nach der Entscheidung zur Bildung einer Minderheitsregierung mit den Grünen Lüge und Wählertäuschung vorgeworfen. Rüttgers sagte am Donnerstagnachmittag in der Düsseldorfer Staatskanzlei, es gebe keine Rechtfertigung für den Schritt der SPD-Landesvorsitzenden Hannelore Kraft, sich an die Spitze einer rot-grünen Minderheitsregierung zu setzen.

Die SPD-Chefin werde sich nun von der Linkspartei zur Regierungschefin wählen lassen. „Das wird ihre Glaubwürdigkeit zerstören.“ Man könne die Übernahme des Amtes „nicht auf einer Lüge aufbauen“. Kraft mache sich mit ihrer Entscheidung zur Geisel einer Partei, „die nicht auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung steht“. „Jetzt droht die schlimmste Wählertäuschung, die es je in der Geschichte Nordrhein-Westfalens gegeben hat“, sagte Rüttgers. Er kündigte an, seine geschäftsführende Landesregierung werde ihre Arbeit fortsetzen.

Überraschend war dieser Schritt allemal, nachdem die Landes-SPD doch erst am Montag beschlossen hatte, dass sie „derzeit“ keine Minderheitsregierung mit den Grünen anstrebe. Und überraschend war auch die Begründung, die Kraft für den Kurswechsel der Landes-SPD anführte.

Dazu verwies sie auf zwei aktuelle Äußerungen von FDP-Landeschef Andreas Pinkwart und Rüttgers – Aussagen, durch die eine „sehr instabile Situation“ in der nordrhein-westfälischen Landespolitik entstanden sei. Zunächst zu Pinkwart: Der Liberale hatte sich in den Zeitungen der WAZ-Gruppe vom Donnerstag mit dem Satz zitieren lassen, die FDP als bisheriger Koalitionspartner der CDU werde nun im Landtag auf eigene Rechnung für „Mehrheitsentscheidungen im Interesse des Landes“ werben. Damit gebe es nun keine geschäftsführende Landesregierung mehr, befand Kraft, sondern nur noch einen geschäftsführenden Ministerpräsidenten und geschäftsführende Minister, die „einzeln unterwegs“ seien.

Diese Situation werde noch verschärft durch eine Rüttgers-Aussage vom Donnerstag. Er könne nicht zurücktreten, weil die Landesverfassung dies nicht erlaube, hatte der Regierungschef im ZDF-Morgenmagzin gesagt. Derart instabile Verhältnisse, sagte Kraft, „kann man so nicht stehen lassen“. Nachdem Pinkwart die abgewählte schwarz-gelbe Landesregierung aufgelöst habe, stünden nun 114 Stimmen der 181 Abgeordnetenstimmen im Düsseldorfer Landtag gegen den „Ministerpräsidenten auf Abruf“. Nordrhein-Westfalen aber brauche jetzt eine stabilere Regierung, als Rüttgers sie noch bieten könne. Diese „stabilere Regierung“ will die SPD nun in Form einer Minderheitsregierung mit den Grünen schmieden.

Genau dies hatten die Grünen in den vergangenen Tagen wiederholt gefordert. Und nicht nur von seiten des künftigen Koalitionspartners stand Kraft unter Druck. Auch innerhalb der eigenen Partei war der vorläufige Verzicht auf eine Minderheitsregierung nicht unumstritten – zumal dies auch den Fortbestand einer schwarz-gelben Mehrheit im Bundesrat bedeutet hätte. SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte Anfang der Woche, sollten in der Länderkammer Entscheidungen etwa über das Sparpaket der Bundesregierung oder eine Verlängerung der Akw-Laufzeiten anstehen, müsse sicher auch nochmal über eine Minderheitsregierung von SPD und Grünen geredet werden.

Grünen-Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann begrüßte nun den Schwenk der SPD. Ihre Partei sei zu Koalitionsverhandlungen mit den Sozialdemokraten „gerne bereit“. Der erwarteten Kritik zumindest von seiten der CDU wollte die nun als Landesschulministerin gehandelte Löhrmann schon einmal vorsorglich den Wind aus den Segeln nehmen: Es sei „absolut gerechtfertigt“, den Weg dieser Minderheitsregierung zu gehen. „Es ist ein neuer Weg, das ist uns klar.“ Aber SPD und Grüne glaubten, „dass wir das packen können“.

Wenn es nach den künftigen Minderheitskoalitionären in Düsseldorf geht, könnte sich Kraft nun womöglich schon bei den nächsten Landtagssitzung am 13. oder 14. Juli zur Ministerpräsidentin wählen lassen. Denn die nun beginnenden rot-grünen Koalitionsverhandlungen dürften alles andere als problematisch werden: Bereits kurz nach der NRW-Wahl vom 9. Mai hatten beide Parteien in zwei Sondierungsrunden so viele Gemeinsamkeiten gefunden, dass ihr Zusammengehen schnell feststand. Den für eine stabile Regierung notwendigen dritten Partner fanden SPD und Grüne allerdings nicht. „Rot-Grün plus X“ hatte damals Losung gelautet, mit der SPD und Grüne ein belastbares Landesbündnis auf die Beine stellen wollten. Nun lautet ihr Motto „Rot-Grün plus 0“ – mit unbekanntem Ausgang.