Weil das Bundesverfassungsgericht noch Klagen prüft, wartet Bundespräsident Joachim Gauck mit der Unterschrift unter das Gesetz.

Berlin. Der dauerhafte Euro-Rettungsschirm ESM kann trotz der Einigung zwischen Regierung und Opposition voraussichtlich nicht kurzfristig in Kraft treten, obwohl er am 29. Juni von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden soll. Ein Sprecher von Bundespräsident Joachim Gauck teilte mit, das Bundesverfassungsgericht habe den Präsidenten gebeten, das Gesetz vorerst nicht zu unterschreiben. "Der Bundespräsident beabsichtigt, dieser Bitte in Übereinstimmung mit der ständigen Staatspraxis zwischen den Verfassungsorganen und aus Respekt gegenüber dem Bundesverfassungsgericht stattzugeben." Ohne Gaucks Unterschrift gilt das Gesetz nicht.

Der Rettungsschirm sollte eigentlich am 1. Juli in Kraft treten, nun gerät auch der mittlerweile angepeilte 9. Juli in Gefahr. Grund für die Verzögerung sind Verfassungsklagen gegen den ESM und den Fiskalpakt. Die Linke und die ehemalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) haben Klagen in Karlsruhe angekündigt. Laut Verfassungsgericht ist eine solche Bitte an den Bundespräsidenten üblich. Damit werde verhindert, dass durch die Unterschrift des Staatsoberhaupts ein Gesetz in Kraft tritt, dessen Gültigkeit im Verhältnis zu anderen Staaten nicht mehr rückgängig zu machen ist. Eine Sprecherin sagte, die Richter bräuchten Zeit, um das Material zu sichten.

Bevor Gaucks Entscheidung bekannt wurde, mit der Unterschrift zu warten, hatte Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) ihn aufgefordert, das Gesetz trotz der drohenden Klagen zu unterschreiben. Bei den Grünen und der Linkspartei sorgte Kauder damit für Empörung. Aus der Unionsfraktion hieß es, man sehe keinen Anlass, den Zeitplan für die Verabschiedung von ESM und Fiskalpakt zu ändern. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) rügte die öffentlich gewordene Bitte der Richter als "nicht klug", bewertete sie inhaltlich aber nicht. Nach Ansicht des liberalen Centrums für Europäische Politik (CEP) ist es wahrscheinlich, dass Karlsruhe die Ratifizierung des Rettungsschirms aufgrund der Klagen aufhalten wird. Anlass für die Klagen gegen den ESM und Fiskalpakt sind die hohe Geschwindigkeit des Gesetzgebungsverfahrens und die Eingriffsmöglichkeiten des Fiskalpakts in das Budgetrecht des Parlaments.

Breite Mehrheit für Fiskalpakt - Aber Gauck will Klagen abwarten

Opposition hält im Fiskalpakt-Streit Druck hoch

Bevor die Entscheidung des Staatsoberhaupts bekannt wurde, hatten SPD und Grüne sich am Vormittag im Kanzleramt mit der schwarz-gelben Koalition darauf geeinigt, beiden Gesetzen im Bundestag zur nötigen Zweidrittelmehrheit zu verhelfen. Als Gegenleistung setzt sich die Bundesregierung dafür ein, in EU-Staaten eine Finanztransaktionssteuer einzuführen und im Rahmen eines Wachstumspakts Geld für Investitionen und gegen Jugendarbeitslosigkeit bereitzustellen.

Eine Finanztransaktionssteuer hatten Kanzlerin Angela Merkel und ihre Koalition lange abgelehnt. Gestern verabschiedeten Koalition, SPD und Grüne ein Papier, auf dessen erster Seite zu lesen ist: "Wir wollen eine Finanzmarkttransaktionssteuer einführen." Der Satz ist Teil des "Paktes für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung", den das Bundeskabinett am kommenden Mittwoch verabschieden will.

Das gemeinsame Papier ist das Ergebnis wochenlanger Verhandlungen. Der Wachstumspakt ermöglicht SPD und Grünen, den europäischen Fiskalpakt und den dauerhaften Rettungsschirm ESM zu ratifizieren. Noch offen ist die Zustimmung des Bundesrates, wo der Fiskalpakt ebenfalls mit einer Zweidrittelmehrheit verabschiedet werden muss. Die Länder verlangen vom Bund finanzielle Kompensationen für eine faktische Verschärfung der Schuldenbremse. Am Sonntag findet ein Spitzengespräch zwischen Bund und Ländern statt.

Die Finanzmarkttransaktionssteuer soll im Wege der verstärkten Zusammenarbeit in der EU beantragt werden. Hier müssen mindestens neun Staaten mitmachen. Wird dies nicht erreicht, peilt Deutschland eine zwischenstaatliche Lösung an. Als Mindeststeuersatz sind 0,1 Prozent für den Handel mit Anleihen und Anteilen und 0,01 Prozent für den Handel mit spekulativen Derivaten vorgesehen.

Darüber hinaus haben sich Koalition, SPD und Grüne unter anderem darauf verständigt, das Eigenkapital der Europäischen Investitionsbank (EIB) um zehn Milliarden Euro aufzustocken. Euro-Bonds, also gemeinsame Anleihen von Euro-Ländern, soll es nicht geben. Der von den Grünen geforderte Schuldentilgungsfonds ist in der Vereinbarung nicht enthalten. Wohl aber soll die Wirtschafts- und Finanzpolitik in der EU stärker aufeinander abgestimmt werden, um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Damit soll, so die Hoffnung, das Zinsgefälle zwischen den Euro-Staaten geringer werden.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel sprach von einem "erklecklichen Wachstumspaket". Mit dem Schritt zu einer gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzpolitik werde "ein Geburtsfehler der Währungsunion beseitigt". Auch die Grünen würdigten die Vereinbarungen. "Es gibt realistische Chancen, dass es tatsächlich zu dieser Finanztransaktionssteuer kommen wird", sagte ihr Vorsitzender Cem Özdemir.

Unions-Fraktionschef Kauder sprach von einer wichtigen Botschaft für Europa und einem Signal an die Märkte, "dass wir in Europa zusammenhalten". FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle betonte, die Koalition habe Fehlentwicklungen wie die Vergemeinschaftung von Schulden und Euro-Bonds verhindern können. Kauder versuchte, die üblichen Gewinner-Verlierer-Analysen nach derlei Verhandlungen zu relativieren. Den Punktsieg der rot-grünen Opposition im Blick, sagte Kauder: "Ich lasse mich auf Triumphgeheul, wer hat sich gegen wen durchgesetzt hat, nicht ein. Das Entscheidende ist, dass wir die richtigen Antworten auf die Finanzmärkte geben. Da haben wir allen Grund, parteipolitische Interessen zurückzustellen."