Die höchsten Richter in den USA stehen vor einer schwere Entscheidung: Es geht um die umstrittene Gesundheitsreform und die politische Zukunft Obamas.

Washington. Der Supreme Court in Washington ist ein bombastisches Gebäude. Als Vorbild standen antike Tempel. Sechzehn Säulen säumen den Eingang, darüber der Wahlspruch „Equal Justice Under Law“. Gleichheit, Gerechtigkeit vor dem Gesetz. Unabhängig, unbestechlich soll das höchste Gericht des Landes sein, frei von politischen Erwägungen und dem Druck der Lobbys. Oberstes Bollwerk der Justiz, Wächter über die Verfassung – soweit die Theorie.

Doch mit dem Thema, das an diesem Montag ansteht, wird das Gericht zweifellos auch ein Stück weit Politik machen. Eigentlich geht es lediglich darum, ob die Gesundheitsreform des Präsidenten mit der Verfassung übereinstimmt oder nicht. Doch in Wirklichkeit steht auch etwas Anderes auf dem Spiel: Das Votum der Richter könnte das politische Schicksal Barack Obamas beeinflussen.

"Drei Tage, die Amerika umformen könnten“, titelt denn die Zeitung „USA Today“ zu Beginn der Anhörungen. Seit Jahrzehnten habe das Gericht nicht mehr ein derart heißes Thema gehabt. Justizgeschichte wird geschrieben – und ein Stück Sozialgeschichte.

Tatsächlich war die Gesundheitsreform nicht nur eines der wichtigsten Versprechen in Obamas Wahlkampf gewesen. Seit Jahrzehnten ist es eines der höchsten Ziele der Demokraten, den Schandfleck von gut 30 Millionen unversicherten Amerikanern auszumerzen und allen oder wenigstens fast allen Amerikanern eine Krankenversicherung zu garantieren. Noch Bill Clinton hat sich daran in den 90er Jahren die Zähne ausgebissen – erst Obama hat den Traum erfüllt.

Das Eigenartige: Kaum war Obama gewählt, drehte sich der Wind. Vor allem die Rechtsaußen der „Tea Party Bewegung“ mobilisierten gegen „Obamacare“ – mit erstaunlichem Erfolg. Als das Gesetz im Frühjahr 2010 verabschiedet wurde, war es bereits eher zur Bürde der Regierung geworden. Ein halbes Jahr später fuhren die Demokraten bei den Kongresswahlen eine krachende Niederlage ein.

Selten, meinen Experten, hat sich die politische Stimmung im Land so schnell und derart gründlich gewandelt. Heute wollen laut Umfragen weit über die Hälfte der Amerikaner, dass die Reform gekippt wird.

Für Europäer, die an den Gedanken des Sozialstaats gewöhnt sind, schwer verständlich: Ausgerechnet das „individual health care mandate“, im Kern also die Garantie einer Krankenversicherung für alle, ist den Kritikern der entscheidende Dorn im Auge.

Doch Europa ist nicht Amerika, zwischen der „sozialen Marktwirtschaft“ nach deutschem Muster und dem Kapitalismus pur in den USA liegen Welten.

Das Gesetz sieht vor, dass alle Bürger, die es sich leisten können, eine Krankenversicherung abschließen. Wer das nicht tut, muss von 2014 an mit einer Steuerstrafe von bis zu 3000 Dollar pro Jahr rechnen. Das betrachten vor allem viele Konservative als eine Zwangsmaßnahme, als Einschränkung ihrer Freiheit. Kurz: als „unamerikanisch“.

"Wir wollen keinen Wohlfahrtsstaat nach europäischen Muster“, sagt ein 50-jähriger Amerikaner in Bethesda vor den Toren Washingtons. Er sei zwar Obama Wähler. "Aber das "individual mandate“ ist einfach unamerikanisch.“

Wehret den Anfängen, meinen Kritiker. Die Regierung in Washington habe kein Recht, Bürger zu zwingen, irgendetwas zu kaufen, auch keine Krankenversicherung. Wenn die Regierung unter Androhung von Strafe die Bürger zwingen kann, etwas zu erwerben, "gibt es dann überhaupt etwas, zu dem die Zentralregierung die Bürger nicht zwingen kann?“, fragt der konservative Starkolumnist Charles Krauthammer.