Tausende Polen haben in der offiziellen Trauerfeier Abschied von den Opfern des Flugzeugabsturzes genommen. Die meisten trugen Schwarz.

Warschau. Der strahlende Sonnenschein und der blaue Himmel passen nicht recht zur beklemmenden Stimmung in Warschau. Polen trauert. Aus allen Richtungen strömen am Sonnabend hunderttausende Menschen in Richtung Pilsudski-Platz, wo eine Woche nach dem tragischen Flugzeugabsturz bei Smolensk mit 96 Toten die offizielle Trauerfeier stattfindet. Dieser Ort war oft Schauplatz historischer Ereignisse.

Hier hatte Papst Johannes Paul II. 1979 mit einer wegweisenden Predigt seinen Landsleuten Mut zum Widerstand gegen das kommunistische Regime eingeflößt. Hier beweinten tausende Polen den vom Geheimdienst brutal ermordeten Priester Jerzy Popieluszko. Neben der Stelle, wo ein Kreuz an den selig gesprochenen Märtyrer erinnert, steht nun ein Altar für die Toten der Flugkatastrophe.

Gezeichnet setzen sich die verwaiste Präsidententochter Marta und der Zwillingsbruder des Verstorbenen, Jaroslaw Kaczynski, auf ihre Plätze vor der Bühne. Sie blicken direkt auf eine schwarze Leinwand mit Bildern aller Opfer. Ebenfalls in der ersten Reihe sitzen Angehörige anderer Opfer – Eltern, Ehepartner und Kinder – weinend oder erstarrt im Schmerz.

Kaczynskis Mutter weiß nichts von totem Sohn

Nur eine fehlt: die Mutter der Zwillingsbrüder. Die 84-jährige Jadwiga Kaczynska liegt seit Wochen krank in einem Hospital. Sie wisse nichts vom Tode des Sohnes, berichten die Medien. Als das Glockengeläut den Beginn des Staatsaktes ankündigt, warten im benachbarten Präsidentenpalast unzählige Trauernde in einer kilometerlangen Schlange immer noch auf Einlass. Dort wollen sie einen letzten Blick auf die aufgebahrten Särge von Lech Kaczynski und dessen Frau Maria werfen und Abschied nehmen.

Die ganze Stadt scheint auf den Beinen

Erst am Nachmittag wird das Gittertor des Palastes endgültig geschlossen. Rund 180 000 Menschen erwiesen in den vergangenen Tagen dem Staatsoberhaupt persönlich die letzte Ehre. Eine Gelegenheit besteht immer noch: Am Nachmittag stehen die Särge in die Warschauer Johannes-Kathedrale. In der Nacht zum Sonntag können sich die Anhänger des konservativen Politikers vor ihrem Idol verbeugen, bevor die Särge des Präsidentenpaares zur Beisetzung am Sonntag nach Krakau gebracht werden.

Es scheint, als sind an diesem Tag alle in der 1,7 Millionen Menschen zählenden Metropole unterwegs. Hinzu kommen tausende Trauernde aus allen Landesteilen, die in Nachtzügen und Reisebussen angereist sind. Auch viele freiwillige Helfer, darunter rund 2000 polnische Pfadfinder, bevölkern die Hauptstadt. Die Cafés bleiben an diesem Tag leer. Die meisten Geschäfte sind geschlossen.

Trotz der Menschenmassen herrscht auf den für Privatwagen gesperrten Straßen in der Innenstadt beklemmende Stille. Unterbrochen wird sie nur hin und wieder nur von fliegenden Händlern, die versuchen Flaggen, Blumen und Kerzen unter die Trauernden zu bringen. „Bitte, bitte, Fähnchen für fünf Zloty!“ ruft einer von ihnen vorsichtig, doch niemand reagiert.

Sirenen erinnern an das Unglück

Gänzliche Stille herrscht an diesem Tag zwei Mal: Um 8.56 Uhr heulen sämtliche Sirenen, genau sieben Tage nach dem Unglück. Eine Delegation ranghoher Regierungs- und Wirtschaftsvertreter war auf dem Weg zur Gedenkstätte Katyn, als sie in den Morgenstunden bei dichtem Nebel verunglückte.

Unter die Haut geht der Klang der Sirenen von Polizei und Feuerwehr auf dem weitläufigen Pilsudski-Platz. Dort setzen sie nach und nach aus unterschiedlichen Richtungen ein und vermischen sich zu einem bedrückenden Klang.

Um 12 Uhr, zu Beginn der Trauerfeier, wiederholt sich diese Szene. Gespräche verstummen. Alle bleiben stehen. Männer nehmen ihre Mützen ab, polnische Flaggen werden in die Höhe gehalten. Selbst im geschäftigen Pressezentrum ruht die Arbeit für zwei Minuten und die Journalisten erheben sich von ihren Plätzen.

Stimmung wie beim Tod des Papstes

Als die Namen der Verstorbenen verlesen werden, können viele Menschen die Tränen auch hinter den Sonnenbrillen nicht mehr verbergen. Die meisten tragen Schwarz, andere haben Trauerschleifen am Revers. „Die Stimmung und das Gefühl der Solidarität und Geschlossenheit der Polen erinnern sehr an die Trauer vor fünf Jahren, als der Papst starb“, sagt Michal Sztomkpe, der den Einsatz der Pfadfinder auf dem Pilsudski-Platz koordiniert. Auch damals hätten hunderttausende Menschen getrauert.

Der 26-Jährige, der hauptberuflich im Parlament arbeitet, ist auch persönlich betroffen. „Ich kannte zwei der verunglückten Senatorinnen. Das waren starke Frauen und gute Politikerinnen.“ Lech Kaczynski habe er nicht gewählt. „Er war kein großartiger Politiker und seine Ideen waren nicht die besten“, sagt der Warschauer. „Aber dennoch: Er war der Erste Mann im Lande und wir sollten ihm unseren Respekt erweisen“, fügt er hinzu.

Nun wird der „Erste Mann“ in der alten Königsresidenz auf dem Wawel-Hügel in Krakau beigesetzt. Kaczynski wird in einer Gruft, wo auch Marschall Jozef Pilsudski – Namensgeber des Warschauer Platzes - begraben ist, seine letzte Ruhe finden.