„Ich habe seinen Puls gefühlt – es war nichts mehr.“ Zeuge brach jahrzehntelanges Schweigen im RAF-Prozess gegen Verena Becker.

Stuttgart. Mehr als dreißig Jahre hat der Mann aus Bruchsal geschwiegen – am Donnerstag wagte er die Aussage vor Gericht. Im Prozess gegen die frühere RAF-Terroristin Verena Becker vor dem Oberlandesgericht Stuttgart schildert er seine Erinnerungen an den blutigen Anschlag 1977 auf den damaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback. Becker ist als Mittäterin angeklagt. Der Sohn des Ermordeten, Michael Buback, glaubt, dass Becker seinen Vater erschossen hat. Mit hochrotem Kopf sitzt der 57 Jahre alte Zeitungsredakteur auf dem Zeugenstuhl. Drei Jahrzehnte hatte er sich nicht zu einer Aussage überwinden können. „Ich habe das mit mir rumgeschleppt. Jedes Detail, jeder Geruch ist gespeichert“, erzählt er. Nach der Tat habe er „absolut Muffensausen“ gehabt. Die Angst vor der RAF habe ihn von einer Aussage abgehalten. Erst nach der Berichterstattung zum Prozess gegen Becker meldete er sich als Zeuge.

Als damals 23-jähriger Student war er am 7 April 1977 zufällig mit seinem Auto wenige Meter vom Tatort entfernt, schilderte er dem Gericht. „Es knatterte. Und ich dachte, das ist ein Presslufthammer.“ Kurz darauf habe er einen Mann auf der Straße liegen sehen, vermutete einen Unfall. Als ausgebildeter Rettungssanitäter habe er den Menschen zu Hilfe kommen wollen. Auf dem Beifahrersitz des schwarzen Mercedes fand er den ermordeten Generalbundesanwalt – ohne zu wissen, um wen es sich handelte. „Er war nach vorne gebeugt, vollkommen in sich zusammengesunken. Der Arm hing nach unten. Ich habe seinen Puls gefühlt – es war nichts mehr“, sagt der 57-Jährige. Am Rücken Bubacks habe er zwei Einschusslöcher bemerkt. „Da hat es bei mir Klick gemacht.“

Der Mann auf dem Rücksitz, der Leiter der Fahrbereitschaft, Georg Wurster, sei noch am Leben gewesen. „Er war leichenblass und hatte Schweiß auf der Stirn.“ Wurster erlag Tage später seinen Verletzungen. Minutenlang habe er versucht, den auf der Straße liegenden Mann zu reanimieren – den Fahrer Wolfgang Göbel. „Ich bin zum Schluss in einer Blutlache gekniet. Ich hatte Socken und Sandalen, die waren voller Blut.“

Die Reanimationsversuche blieben erfolglos. Göbel starb am Tatort. Der Redakteur schilderte dem Gericht, wie er schließlich von einem Polizisten mit den Worten „verschwinden Sie sofort hinter der Absperrung“ verscheucht wurde. Die Personalien des blutüberströmten Mannes wurden nicht festgestellt. Die Tat selbst konnte der 57-Jährige damals nicht beobachten. Siegfried Buback und seine Begleiter waren von einem Motorrad aus erschossen worden. Wer die Täter waren, ist weiter unklar. (dpa)