Die Begrenzung des Ausländerzuzugs wird zur Kraftprobe zwischen Schweiz und EU

Nach dem knappen Votum der Schweizer für eine Begrenzung des Zuzugs von Ausländern schwirren Begriffe wie Abschottung und Fremdenfeindlichkeit wie scharfkantige Schrapnelle durch die Luft. Unstrittig ist, dass das Ergebnis des Referendums geeignet ist, für erhebliche Probleme im Verhältnis zur düpierten Europäischen Union zu sorgen. Denn die garantierte Freizügigkeit ist in einem Vertragspaket enthalten, das die Schweiz 1999 unterzeichnete. Die EU wird es kaum zulassen, dass das Exportland Schweiz einerseits Zugang zu einem Markt von 500 Millionen Menschen erhält – ohne Mitglied der EU zu sein – und andererseits nun die einzige ernsthafte Verpflichtung aufkündigen will.

Zudem kann das von der rechtslastigen Partei SVP initiierte Votum sehr böse Folgen für die Schweizer Wirtschaft haben. Nicht nur wegen des lebenswichtigen Handels mit der EU, sondern auch deshalb, weil viele Führungspositionen in Unternehmen und Krankenhäusern gar nicht mehr ausreichend mit Schweizern besetzt werden können. Obendrein spaltet das Ergebnis der Volksabstimmung die Schweiz politisch; denn fast jeder zweite Schweizer, der abstimmte, ist gegen eine Einschränkung der Freizügigkeit. Äußerst knapp durchgesetzt hat sich der konservative, beharrende Teil der Eidgenossen. Der Kampfbegriff Fremdenfeindlichkeit geht jedoch weitgehend fehl. So bedauerlich das Votum für ein gemeinsames Europa auch ist – es gibt nachvollziehbare Gründe für viele Schweizer, eine Kontingentierung des Zuzugs anzustreben. Für Europa kann das Referendum sogar gefährlich sein, weil es Wasser auf die Mühlen derjenigen ist, denen die ganze Richtung nicht passt und die sich wieder in den Krähwinkel der Nationalpolitik zurückziehen wollen. Doch nur vereint hat Europa langfristig eine Chance.

In der Schweiz hat die Politik lange die Sorgen der Bürger vor dem „Dichtestress“ mit einer Überlastung der Infrastruktur und einer Veränderung ihrer einzigartigen Kultur nicht ernst genug genommen. Als das Abkommen über die Freizügigkeit unterschrieben wurde, hat man den Schweizern einen Zuzug von jährlich rund 8000 Ausländern prognostiziert. Tatsächlich wurden es aber 80.000. Darauf waren weder die Bürger noch die eher behäbige Infrastruktur eingestellt. Der Anteil an Ausländern schwoll auf fast ein Viertel der Bevölkerung an. Auch in der Schweiz öffnete die Politik die Grenzen und ließ die Bürger dann mit den Folgen weitgehend allein. Umgerechnet auf Deutschland, würden Jahr für Jahr 800.000 Ausländer zu uns kommen und eine Bevölkerungsgruppe von rund 20 Millionen Menschen bilden. Man kann darauf wetten, dass ein Referendum für eine Reglementierung des Zuzugs dann auch in Deutschland positiv beschieden werden würde.

Hinzu kommt der ganz besondere Charakter des Bergvolkes, das sich in Jahrhunderten der Selbstfindung zur „Willensnation“ entwickelt hat. Anders etwa als viele Griechen oder Italiener, die den Staat eher als Gegner und Moloch empfinden, haben die Schweizer ein starkes Verantwortungsgefühl bezüglich ihres Gemeinwesens, das – einzigartig auf der Welt in dieser Ausprägung – plebiszitäre Elemente nutzt, um den Willen des Volkes unmittelbar wirksam werden zu lassen. Es ist Demokratie in ihrer ursprünglichsten und reinsten Form – und deshalb ist das Votum der Schweizer auch zu respektieren.

Es wird nun darauf ankommen, wie es durch die Politik umgesetzt wird. Einfach rückgängig zu machen ist es nicht; aber es gibt Gestaltungsspielräume. Um größere politische Flurschäden abzuwenden, müssen Politiker in der Schweiz und in der EU nun die Quadratur des Kreises in einer Lösung finden, die den Willen der Schweizer und die Forderungen der EU geschickt verbindet.