Morgen läuft die 20 000. Hauptausgabe der “Tagesschau“. Zur Freude der Zuschauer ist die Dramaturgie der Sendung seit 50 Jahren dieselbe.

Hamburg. Es soll vorkommen, dass Menschen, die bisher keine Sehhilfe benötigten oder aber Kontaktlinsen vertrauten, sich eine Brille zulegen. Das ist keine große Sache. Handelt es sich bei dem neuen Brillenträger aber um einen Sprecher der "Tagesschau", ist das Medienecho enorm - und zwar nicht nur auf dem Boulevard. "Die herrlich Uneitle", titelte die "Bunte", als Judith Rakers unlängst mit randlosen Gläsern vor die Kamera trat. Ihre Brille sei "ein unauffälliges Modell", befand "Bild". Und das Abendblatt attestierte der Sprecherin " modischen Durchblick ".

Eine Sprecherin der "Tagesschau" ist eben nicht einfach das Gesicht irgendeiner Nachrichtensendung. Das Aushängeschild des Ersten ist viel mehr: Es ist ein Hochamt. Das jedenfalls schreiben dieser Tage die Zeitungen landauf und landab, denn morgen um 20 Uhr wird die 20 000. Hauptausgabe der "Tagesschau" ausgestrahlt.

Das mit dem Hochamt ist übrigens richtig. Keine Nachrichtensendung hat auch nur annähernd so gute Quoten wie die "Tagesschau", die in diesem Jahr im Schnitt auf 9,08 Millionen Zuschauer kommt. Die "heute"-Sendung des ZDF und "RTL Aktuell" belegen mit 3,92 Millionen beziehungsweise 3,86 Millionen Zuschauern die Plätze zwei und drei. Erstaunlich daran ist, dass es sich bei der "Tagesschau", die erstmals am 26. Dezember 1952 über die Bildschirme flimmerte, um das Gegenteil einer modernen News-Show handelt. Streng genommen hat sich ihre Dramaturgie seit Ende 1960 kaum verändert: Damals wurde der Mix aus Filmbeiträgen und den von einem Sprecher verlesenen Nachrichten eingeführt.

Launige Moderationen gibt es bei der "Tagesschau" ebenso wenig wie flotte Überleitungen zum Kollegen vom Wetter oder vom Sport. Im Studio der "Tagesschau" sitzt nur einer. Und das ist der Sprecher, der in getragenem Ton die Nachrichten verliest. Die Sendung wirkt mehr als nur seriös.

Die Zuschauer schätzen das. Als 2004 die "Tagesschau" berichtete, der heute zu Recht vergessene Sänger Daniel Küblböck sei mit einem Gurkenlaster kollidiert, war die Empörung groß. Seither haben die Redakteure der Nachrichtensendungen die Finger von solch boulevardesken Meldungen gelassen. Die "Tagesschau" ist die große Unberührbare des deutschen Fernsehens. Doch, so etwas gibt es noch.

Dennoch könnte sich 2012 einiges ändern: Dann bekommt die "Tagesschau" ein neues Studio. Von 3-D-Effekten und Touchscreen-Moderationstischen ist die Rede, die auf Berührung der Moderatoren reagieren. Doch derlei Schnickschnack soll nur bei den "Tagesthemen" zum Einsatz kommen, die sich das Studio mit der "Tagesschau" teilen.

So wird die Sendung ein Hochamt bleiben mit ihren Sprechern als Priestern. Und die Fernsehgemeinde, die einst rätselte, warum Karl-Heinz Köpcke mit einem Bart aus dem Urlaub kam oder Dagmar Berghoff mal wieder ihre Frisur verändert hatte, staunt nun über die neue Brille von Judith Rakers.