Mit dem Peruaner erhält ein Romancier von Weltrang den Literaturnobelpreis. Kritik kommt aus Kuba: Llosa gilt als scharfer Kritiker Castros.

Hamburg/Frankfurt. Der Anruf aus Schweden erreichte ihn um viertel vor sieben, da bereitete sich der neue Literaturnobelpreisträger bereits auf seine Vorlesung an der Princeton-Universität vor. Mario Vargas Llosa dürfte noch nie so früh am Morgen eine so umwerfende Nachricht erhalten haben: Der 74 Jahre alte Schriftsteller, der im Süden Perus geboren wurde, seit Längerem zumeist in Europa lebt und derzeit an verschiedenen amerikanischen Universitäten lateinamerikanische Literatur unterrichtet, erhält die höchste aller literarischen Auszeichnungen.

Eine Entscheidung, die beinahe überall begrüßt wurde: Vargas Llosa, den das schwedische Nobelpreis-Komitee vor allem für seine Analyse von Machtstrukturen mit "messerscharfen" Bildern lobte, ist weltweit bekannt und gilt seit vielen Jahren als einer der wichtigsten lateinamerikanischen Autoren. Und obwohl er seit Jahren zu den Favoriten auf den Gewinn des Nobelpreises gehörte, kam sein Sieg zumindest für die überraschend, die etwas auf die Notierungen der Wettbüros gaben.

In den vergangenen Jahren, als Herta Müller (2009) oder Orhan Pamuk (2006) den Preis gewannen, waren am Tag der Verkündung ihre Siegquoten sprunghaft nach oben geschnellt, gestern schien der US-Amerikaner Cormac McCarthy bei den Buchmachern die besten Karten zu haben. Und dann gewann doch Vargas Llosa, der Autor von "Der Geschichtenerzähler" und "Das Fest des Ziegenbocks", der Ende der Achtzigerjahre mal Präsident werden wollte, der eine humanistische Botschaft hat und politisch aussagefreudig ist. Seinen deutschen Verlag, Suhrkamp aus Berlin, überraschte die Ehrung zunächst - im Prenzlauer Berg machten die Mitarbeiter bei der Verkündung gerade Mittagspause. Und in Frankfurt, auf der Buchmesse, wo am Suhrkamp-Stand mit einem Male riesiges Gedränge herrschte, konnte Verlagschefin Ulla Unseld-Berkewicz zunächst lediglich Worte der Überwältigung sagen: "Wir sind alle im Glück." Dann hatte sie schnell Taschenbücher zur Hand, während der langjährige Lektor des neuen Nobelpreisträgers jubelte. "Ich kenne ihn seit 25 Jahren, für mich war völlig klar, dass er irgendwann diesen Preis bekommen würde", sagte Jürgen Dormagen. "Er hat es wie kein anderer verstanden, das Leben in Peru und die Gewalt, die das Leben bedeutet, in seinen Werken nachzuzeichnen." Besonders sein Buch "Das Fest des Ziegenbocks" lasse den Urtypus des lateinamerikanischen Diktators "derartig spürbar werden, dass es dem Leser unter die Haut geht".

Vargas Llosa ist der erste lateinamerikanische Preisträger seit dem Mexikaner Octavio Paz im Jahre 1990. Er entstammt einer großbürgerlichen Familie und entwickelte sich, unter dem Eindruck zweier linker Diktaturen in seiner Heimat und der Entwicklung von Fidel Castros Kuba, vom Rebellen zu einem Vertreter der bürgerlichen, liberalen Mitte; Vargas Llosa setzt sich seit Langem für die Einhaltung der Menschenrechte ein. Schlagartig bekannt wurde er 1963 mit seinem Roman "Die Stadt und die Hunde", in der er seine eigene Zeit in einer Kadettenanstalt literarisch verarbeitet, deren von Machtgefügen und Gewaltakten durchdrungenen Alltag. Der Erzählstil des Mario Vargas Llosa ist trotz raffinierter Schreibtechniken noch auf verhältnismäßig einfache Konsumierbarkeit angelegt, fünf seiner Romane wurden verfilmt. Literarisch am kunstvollsten ist "Das grüne Haus", wo Vargas Llosa das gesellschaftliche Leben Lateinamerikas anhand fünf miteinander verwobener Handlungsstränge schildert.

Kuba kritisiert Nobelpreis für Vargas Llosa

Lateinamerikaner ist der Romancier, Essayist, Reporter und Krimi-Autor der Herkunft nach, nomadischer Weltbürger dem Habitus nach, er lebte in über 40 Wohnungen. Seit 1993 besitzt er die spanische Staatsbürgerschaft. Anfang November soll sein neuer Roman "Der Traum des Kelten" erscheinen. Darin schildert er das Leben des Iren Roger Casement (1864-1916), der sich als britischer Diplomat in Afrika und Südamerika gegen die Ausbeutung der Urbevölkerung eingesetzt hat. Ein Roman mit historischer Tiefe und moralischer Aussage, der wie das Leben des Autors auf mehreren Kontinenten spielt. Der Blick des Mario Vargas Llosa auf seine Heimat ist kritisch, besonders der ultralinke Hugo Chávez aus Venezuela kann sich hämischer Kommentare des streitbaren Schriftstellers und Kommentatoren sicher sein. Dass die politischen Vorlieben des Romanciers von der Bewunderung Fidel Castros zu der Margaret Thatchers überwechselte, mag manche irritiert haben. Als "Kämpfer für die Freiheit" und als ein überzeugt und überzeugend für die Demokratie schreibender Autor kann der Peruaner aber fraglos gelten.

Die gestern verkündete Auszeichnung ist, möchte man meinen, eine typische Nobelpreis-Geschichte, in der alte Hoffnungen doch noch erfüllt werden: "Schon seit mehreren Jahren war mein Name nicht mehr im Zusammenhang mit dem Nobelpreis genannt worden", zitiert ihn "El Mundo". Und so ist es kein Wunder, dass der klarsichtige Beobachter des gesellschaftlichen und sozialen Lebens in Lateinamerika beim Anruf aus Stockholm zunächst an einen Scherz glaubte.