Mit “Sturz der Titanen“ stellt der Star-Autor Ken Follet heute bei der Buchmesse den ersten Band einer Trilogie über das 20. Jahrhundert vor.

Frankfurt am Main. Wer stundenlang liest, braucht zwischendurch auch mal Bewegung. Kein Problem, wenn man den neuen Ken Follett zur Hand hat. 1,1 Kilogramm wiegt der 1220 Seiten starke Roman "Sturz der Titanen", den der Autor heute bei der Frankfurter Buchmesse vorstellt. Ein solides Gewicht für leichte Bizepsübungen. Doch die schiere Masse an Seiten ist eine psychologische Hürde, bevor man dieses Epos in Angriff nimmt - zumal es sich nur um Teil eins einer Jahrhundert-Trilogie handelt. Die beiden Folgebände sind für 2012 und 2014 angekündigt. "Sturz der Titanen" startet mit einer Auflage von 400 000 Exemplaren und lässt beim Lübbe Verlag die Kassen klingeln .

Nachdem er zuletzt mit "Die Tore der Welt", der Fortsetzung seines opulenten Welterfolgs "Die Säulen der Erde", tief in die Welt des mittelalterlichen Kathedralenbaus und der Pestepidemie eingetaucht war, will der 61-Jährige nun in drei Romanen ein Panorama des 20. Jahrhunderts entwerfen.

Ein wahrlich ambitioniertes Vorhaben. Wer den Waliser Bestseller-Autor kennt, weiß, wie viel akribische Recherche er in die historischen Details investiert. Von Geschichtswissenschaftlern lässt er das Manuskript auf Fehler prüfen. Doch er überfrachtet die Handlung niemals mit endlosen Traktaten , sondern flicht Weltgeschichte beinahe beiläufig in seine Bücher ein.

Der Roman beginnt mit der ersten Schicht des 13-jährigen Waliser Jungen Billy Williams in der Kohlengrube von Aberowen. Es ist der Tag der Thronbesteigung von König George V. im Juni 1911. Die Handlung endet im britischen Parlament, kurz nach dem gescheiterten Hitler-Ludendorff-Putsch im November 1923 in München.

Innerhalb dieser Zeitspanne entsteht ein Patchwork von fünf Familien - Waliser Kohlenarbeiter, englische und deutsche Aristokraten, russische Revolutionäre und ein amerikanischer Diplomat. Ihre Lebenslinien werden von den großen Ereignissen der Epoche und dem Niedergang der Monarchien in Europa - dem "Sturz der Titanen" - bestimmt und miteinander verwoben.

Zeitgeschichte und historische Persönlichkeiten mit den Schicksalen von fiktiven Charakteren über drei Generationen intelligent zu verknüpfen und dieses Vorhaben auf am Ende vermutlich mehr als 3500 Seiten auszubreiten, das erfordert viel Mut und planerisches Genie. Follett muss beim Schreiben stets einen gigantischen Projektplan mit Zeitachsen, unzähligen Personen und Ereignissen im Blick haben, um dieses Puzzle passend zu machen. Kaum ein zeitgenössischer Autor ist wie Follett in der Lage, so viele Figuren auf ganz unterschiedlichen Schauplätzen der Weltgeschichte nahtlos zu einem organischen Ganzen zu amalgamieren.

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Wie der Autor historische Ereignisse dramatisch clever in den Alltag seiner Charaktere tröpfeln lässt, zeigt ein Beispiel: Die Somme in Frankreich war Schauplatz der verlustreichsten Schlacht des Ersten Weltkriegs; mehr als eine Million Tote kostete das viereinhalbmonatige Gemetzel, darunter 400 000 britische Soldaten. In Aberowen, dem erfundenen Waliser Bergarbeiterdorf des Romans, kennt niemand diesen kleinen Fluss jenseits des Kanals. Follett beschreibt mit nüchternen Worten, wie eines Tages Dutzende von Telegrammen mit Beileidsbekundungen die Familien erreichen. Die Ehefrauen und Mütter beten inständig, dass der Bote nicht an ihrer Haustür klopft.

Mit dichterischer Kühnheit lässt Follett seine Protagonisten auf historische Personen treffen. Earl Fitzherbert diskutiert mit Churchill und König George V.; Grigori Peschkow lernt Lenin und Trotzki kennen, und der Diplomat Gus Dewar ist ein enger Mitarbeiter von US-Präsident Woodrow Wilson.

Diese Annäherung an die Geschichte bereitet enormes Lesevergnügen - wie schon die legendäre Figur Pierre Besuchow in "Krieg und Frieden". Nun ist Follett nicht Tolstoi, und er macht auch keinen Versuch, sich auf literarische Kunstgriffe einzulassen. Follett ist ein begnadeter Geschichtenerzähler, der vor allem eines will: unterhalten.

Sein Roman liest sich daher trotz des Umfangs flüssig weg; mühelos spinnt er die multiplen Fäden seiner Handlung zu einem dichten Netz. Geschliffene Dialoge und subtile Charakterstudien sind dabei seine Sache nicht. Neben dem arg strapazierten Prinzip Zufall, das viele der Figuren zusammentreffen lässt, ist die Blutleere der Charaktere das große Manko des Romans.

Beides sind Konstruktionsfehler, dem Anspruch geschuldet, eine gewaltige Maschinerie aus zahllosen Ereignissen und Personen in Bewegung zu setzen und zu halten. "Sturz der Titanen" ist kein literarisches Meisterwerk und erhebt nicht diesen Anspruch. Aber es ist pralles, saftiges Drama - eine höchst unterhaltsame Geschichtslektion.

Ken Follett: Sturz der Titanen. Übers. v. Dietmar Schmidt und Rainer Schumacher. Lübbe, 1022 Seiten, 28 Euro