Hamburg. Unterschiedlich lange Beine und Co. bei Kindern: Der Hamburger Oberarzt Dr. Thomas Weßling klärt über spezielle Therapien auf.

Manchmal sieht man es schon im Ultraschall, doch häufig stellt es sich erst im Laufe der Kindheit heraus, dass ein Mädchen oder ein Junge Probleme mit seinem Bewegungsapparat hat. Manche haben unterschiedlich lange Beine oder eine Fehlstellung der Füße – oder es fehlt ihnen gar ein ganzer Knochen im Bein.

Dann sind sie in der Abteilung von Dr. Thomas Weßling in der richtigen Obhut. Weßling ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie mit dem speziellen Zusatz Kinderorthopädie am Katholischen Kinderkrankenhaus Wilhelmstift in Hamburg-Rahlstedt, einer relativ neuen Abteilung, die es erst seit zweieinhalb Jahren gibt.

Krankenhaus Hamburg: Wie man bei Kindern zu kurze Knochen verlängert

Kinder seien eben keine kleinen Erwachsenen, sagt der 44-Jährige im Podcast „Hamburger Klinikhelden“. „Das fängt in der Sprechstunde an – man muss die Kinder für sich gewinnen. Erwachsene kommen allein, sind aufgeklärt, man kann sie dezidiert fragen: Wie sind die Schmerzen, seit wann sind die Schmerzen? Bei Kindern wird es mitunter schwierig“, sagt Weßling.

Da müsse man auch die Eltern miteinbeziehen, aber oft auch Geschwisterkinder und manchmal auch die Kuscheltiere. „Und dann muss man zu den Kindern erst mal einen Draht finden und herausfiltern: Was genau ist denn jetzt das Symptom? Was sind die Schmerzen, die sie beklagen? Seit wann sind sie da? Wo sind die Schmerzen?“

Kinderorthopädische Abteilung gibt es erst seit 2021 am Wilhelmstift

Dass seine Abteilung 2021 gegründet wurde, sei eine logische Entscheidung der Geschäftsführung gewesen: „Das Wilhelmstift, das größte Kinderkrankenhaus in Hamburg, hat insgesamt 23 Fachabteilungen. Darunter eine Handchirurgie, die sich um Fehlbildungen kümmert. Eine kinderorthopädische Abteilung komplettiert dieses Gesamtspektrum der medizinischen Behandlung und schafft einen interdisziplinären Austausch.“

Seine Abteilung behandelt sehr häufig Hüftprobleme – von der Hüftdysplasie über eine Durchblutungsstörung des Hüftkopfes (Morbus Perthes) bis hin zu Hüftausrenkungen. Das betreffe nicht nur gesunde Kinder, sondern vor allem auch Kinder mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung jeglicher Art, sagt Weßling.

Hüftprobleme werden meist schon bei kleinen Babys erkannt

Hüftdysplasien würden häufig auch von den niedergelassenen Kinderärzten oder Orthopäden im Rahmen der U3 im Alter von vier bis sechs Wochen diagnostiziert und auch therapiert. Diese behandelten Hüftgelenke müssten dann „nachreifen“.

„Wenn diese ,Nachreifung’ ausbleibt, werden die Kinder bei uns vorstellig“, so Weßling. „Wir haben einen Hüftkopf und eine Hüftpfanne. Wenn diese Hüftpfanne, die man sich wie eine Schale vorstellen kann, nicht rund genug ist, um diesen Kopf aufzunehmen, kann es passieren, dass die Schale an bestimmten Stellen zu stark belastet wird oder aber der Kopf im schlimmsten Fall komplett aus dieser Schale rausrutscht – was bei Kindern mit Grunderkrankungen ein großes Risiko darstellt und verhindert werden sollte.“

Kinderorthopäde: 90 Prozent der Hüften können konservativ behandelt werden

Dann würden Operationen notwendig, um die „Schale“ zu korrigieren oder den Hüftkopf wieder in die Pfanne zu bringen. Der Kinderorthopäde sagt: „Diese Behandlung ist einer unserer Schwerpunkte. Sie macht einen Großteil unserer Patienten aus.“

Etwa 90 Prozent der Hüften könnten gut konservativ behandelt werden. In anderen Fällen sollte man operativ nachhelfen, um Folgeschäden – also einen frühzeitigen Gelenkverschleiß – zu verhindern. Im Vorschulalter könne man eine Dysplasie durch eine relativ kleine Operation gut korrigieren.

Fehlbildungen wie Klumpfüße kommen recht häufig vor

Recht häufig seien auch angeborene Fehlbildungen, beispielsweise Klumpfüße, aber auch die fibulare Hemimelie – die häufigste kinderorthopädische Fehlbildung.

„Das heißt, ein Teil des Wadenbeins fehlt an einem Bein oder das Wadenbein fehlt komplett. Und damit einhergehend sind auch noch mehrere weitere Fehlstellungen – also der Fuß kann fehlgestellt sein, der Fuß kann spitzfüßig sein, das betroffene Bein kann zu kurz sein, das Kreuzband kann fehlen, der Oberschenkel kann verbogen sein.“

Manche Fehlbildungen lassen sich schon in der Schwangerschaft feststellen

Manchmal falle so eine Fehlbildung schon während der Schwangerschaft im Ultraschall auf. Man müsse dann die verunsicherten Eltern beruhigen, sagt der zweifache Vater. „Diese Erkrankung geht nicht mit einer Intelligenzminderung einher. Das sind gesunde Kinder, die völlig normal durchs Leben gehen können, völlig liebenswert sind“, so Weßling. „Das Einzige, was sie haben, ist ein Defizit am Bein. Da geht es erst mal um die Aufklärung der Eltern.“

Das sei sicherlich ein Schock, aber es sei therapierbar. Und dann plane man mit den Eltern gemeinsam die nächsten Therapieschritte oder sogar einen lebenslangen Behandlungsplan.

Klinikheld: Bei einem Mädchen wurde das Bein fünf Zentimeter verlängert

Er berichtet von einem Mädchen, dem ein Wadenbein komplett fehlte, seine Fußwurzelknochen waren zudem miteinander verbunden. Im Alter von drei Jahren hätten sie die Fußwurzelknochen voneinander getrennt. Die anschließende Beinverlängerung sei eine langfristige Behandlung.

„Man bringt ein Gestell von außen an den Knochen, trennt ihn durch, und dann zieht man den Knochen sukzessive in einer bestimmten Geschwindigkeit auseinander – das kann man nicht zu schnell machen. Dann entsteht da eine Lücke in dem Bereich, wo man es auseinanderzieht – und da bildet sich dann neuer Knochen“, erklärt Weßling.

Nicht ungewöhnlich, dass Menschen unterschiedlich lange Beine haben

Dass Menschen unterschiedlich lange Beine haben, sei dagegen keineswegs selten. Viele wüssten das gar nicht und hätten damit auch keine Probleme. Aber ab zwei Zentimeter Unterschied sollte man den Unterschied ausgleichen, sagt der Kinderorthopäde. Und bei den wirklich schweren Fällen könne man durch operative Maßnahmen recht gut eingreifen.

Weßling erzählt von seiner kleinen Patientin, deren Bein im Vorschulalter verlängert wurde. Die Behandlung sei zwischen Januar und August erfolgt, danach sei das Bein fünf Zentimeter länger gewesen.

Krankenhaus Hamburg: Gründe für Fehlstellungen in vielen Fällen unklar

Woher solche Fehlstellungen kommen, ist seinen Angaben zufolge in vielen Fällen unklar. Bei Hüftdysplasien sei die Gefahr sehr hoch, wenn es eine familiäre Häufung gibt – wenn also etwa Mutter oder Schwester schon betroffen waren. Und dann gebe es syndromale Erkrankungen, die mit bestimmten Fehlstellungen einhergehen.

Er habe großes Verständnis für Eltern, die sich um ihre Kinder – seine kleinen Patienten – Sorgen machen, sagt Weßling. „Ich nehme mir viel Zeit. Ich versuche, den Eltern zu erklären, was wir genau machen.“ Er erkläre ihnen auch den Zeitplan der Behandlung sehr genau. Und er gebe ihnen seine Mailadresse, damit er für sie gut erreichbar sei.

Dr. Weßling kam über die Erwachsenenorthopädie zu den Kindern

Weßlings Spezialgebiet sind angeborene Fehlbildungen bzw. Deformitäten der unteren Extremitäten – also alles, was mit Beinlängenunterschieden und krummen Beinen zu tun hat, wie er selbst sagt, sowie Sportverletzungen.

Dass er in der Kinderorthopädie gelandet sei, habe sich so ergeben, sagt Weßling. Er habe erst in der Erwachsenenorthopädie gearbeitet und dann in eine Kinderorthopädie-Abteilung rotiert. Das habe ihm Spaß gemacht. „Kinder kommen mit ihrem Teddy da an – und dann muss man erst mal fragen, wie der Teddy heißt. Die Arbeit mit den Kindern macht einfach Spaß.“

Er lobt auch die Arbeit mit seinem Team: „Wir kennen uns schon viele Jahre, operieren seit etwa fünf Jahren in der jetzigen Konstellation zusammen. Wir kennen unsere Stärken und Schwächen. Zum Teil stehen wir auch mit zwei Fachärzten, zum Teil auch mit vier Fachärzten, im Operationssaal und gucken uns gegenseitig auf die Finger beziehungsweise kontrollieren uns. Das gibt uns eine unheimliche Sicherheit beim Operieren.“

Weitere Infos: https://www.kkh-wilhelmstift.de/fachbereiche-experten/kinderorthopaedie/