Hamburg. Ist ein Glas Wein am Tag okay? Ein Chefarzt klärt auf. Was das Organ noch krank macht – und was Betroffene tun können.

  • Ein Gläschen Wein am Abend wird doch schon nicht schaden, oder? Fehlanzeige!
  • Dr. Johannes Kluwe vom Evangelischen Amalie Sieveking Krankenhaus erklärt, wie viel Alkohol die Leber tatsächlich verträgt

Die Leber hat es nicht leicht. Das Organ hat mit einigen Vorurteilen zu kämpfen. Fängt ja schon mit der schlechten Laune an: „Dir ist wohl eine Laus über die Leber gelaufen“ sagt man zu jemandem, der sich über jede Kleinigkeit aufregt.

Die Redewendung stammt aus der Antike, damals dachten die Menschen, dass schlechte Gefühle wie Wut und Zorn aus der Leber stammen würden.

Und dann ist da natürlich der Alkohol. Wer Probleme mit der Leber hat, wird zu oft zu tief ins Glas geguckt haben. Selbst schuld. So eine weitere nicht ganz richtige Annahme – mit der Privatdozent Dr. Johannes Kluwe, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Gastroenterologie am Evangelischen Amalie Sieveking Krankenhaus im Abendblatt-Podcast „Hamburger Klinikhelden“ aufzuräumen weiß.

Krankenhaus Hamburg: Arzt erklärt, wie viel Alkohol die Leber in Wirklichkeit verträgt

„Lebererkrankungen werden häufig noch als stigmatisierend wahrgenommen, weil sie eben mit Alkohol in Verbindung gebracht werden. Alkohol ist sicherlich immer noch ein häufiger Auslöser, aber natürlich kann eine Leberzirrhose auch durch die nichtalkoholische Fettlebererkrankung verursacht werden“, sagt Dr. Kluwe, der als weitere mögliche Auslöser autoimmune Lebererkrankungen sowie virale Entzündungen der Leber, vor allem Hepatitis B und C, und Stoffwechselerkrankungen nennt.

Aber noch einmal einen Schritt zurück: Leberzirrhose ist eine Erkrankung, bei der die Architektur des Organs zerstört wird. Das gesunde Lebergewebe wird allmählich durch funktionsuntüchtiges Bindegewebe ersetzt – diesen Vorgang nennt man Leberfibrose.

Die Leber vernarbt Stück für Stück und kann nicht mehr richtig arbeiten, also Nährstoffe verarbeiten, Eiweiße herstellen und den Körper entgiften. In diesem schwersten Stadium spricht man von Leberzirrhose, umgangssprachlich auch „Schrumpfleber“ genannt.

Chefarzt vom Amalie Sieveking Krankenhaus: Moderne Lebensweise schädigt Leber

Richtig ist, dass hier – abgesehen von einer Autoimmunerkrankung – häufig der Lebenswandel der Betroffenen eine Rolle spielt – aber eben nicht zwangsläufig der Alkoholkonsum. „Die nichtalkoholische Fettlebererkrankung hängt mit unserer modernen Lebensweise mit wenig Bewegung und hyperkalorischer Ernährung zusammen“, erklärt der 48 Jahre alte Chefarzt.

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„Die Zunahme an Fettleibigkeit, die wir vor allem – aber nicht nur – in den Industrienationen erleben, und die Zunahme des Typ 2 Diabetes und der Fettstoffwechselstörungen, die damit einhergehen, können Lebererkrankungen auslösen.“

Fettleber: Erst ein Schutzmechanismus, dann eine ernsthafte Erkrankung

Der Name Fettleber rührt daher, dass die Leber anfängt, Fetttröpfchen in den Zellen zu speichern – ein Schutzmechanismus bei einem Überangebot an Nährstoffen im Körper. Ein häufiges Phänomen: „20 bis 25 Prozent der Weltbevölkerung haben eine Fettleber“, sagt der Experte, der rund 20 Jahre am UKE gearbeitet und zum Thema Leber geforscht hat, unterbrochen von einem dreijährigen Forschungsaufenthalt in New York, bevor er ans Amalie Sieveking Krankenhaus kam.

Bei einigen Menschen reagiere das Organ dann mit Entzündung und Narbenbildung.

Leber-Experte warnt: Krankheit macht zunächst meist keine Beschwerden

Allerdings: Was die Leber betrifft, reagiert jeder Mensch anders. „Es gibt Menschen, die leben sehr ungesund und deren Leber ist trotzdem gesund. Aber es gibt eben Menschen, die leben ungesund und haben dann schnell fortschreitende Organschädigungen.“

Wobei schnell relativ ist. Bis sich eine Leberzirrhose entwickelt, könnten Jahre, auch Jahrzehnte vergehen. Und hier sei die Leber dann doch ein fieses Organ: „Die Gemeinheit dabei ist, dass die Erkrankung zunächst überhaupt keine Beschwerden machen muss. Die Patienten sind häufig über viele Jahre symptomlos“, so Dr. Kluwe.

Doch dann komme es plötzlich über wenige Wochentage zu einem Verfall der körperlichen Kraft, bis oft aus heiterem Himmel ein neues Symptom auftauche.

Vorsorge: Ab 35 Jahren unbedingt die Leberwerte checken lassen

„Bei uns in der Klinik sehen wir dann Menschen mit Bauchwassersucht, also einem prall mit Wasser gefüllten Bauch, oder – hoch dramatisch – Patienten, die Blut erbrechen, nachdem eine Krampfader in der Speiseröhre geplatzt ist“, sagt der Leber-Experte. In diesen Fällen habe sich Blut vor der bereits vernarbten Leber gestaut. Ein echtes Alarmzeichen.

Die Warnzeichen sind dagegen, wie gesagt, in der Regel nicht zu spüren – hier muss man die Blutwerte testen und auf erhöhte Leberwerte achten.

„Das ist auch ein Grund, warum das jetzt in den Vorsorgecheck ab 35 Jahren mit aufgenommen worden ist und von den Krankenkassen bezahlt wird“, sagt der Vater von zwei 13 Jahre alten Zwillingsjungs. Wenn wiederholt erhöhte Leberwerte auftreten, sollte das in jedem Fall abgeklärt werden, auch wenn es den Patienten eigentlich gut geht.

Ernährung und Bewegung – Betroffene müssen Lebensstil ändern

Bei allem Übel gibt es aber etwas, das man der Leber sehr zugute halten muss: Betroffene können selbst etwas tun. „Es gibt wirksame Strategien gegen eine nichtalkoholische Fettleber, und zwar intensive Änderungen des Lebensstils“, sagt Dr. Kluwe.

„Ein Schlagwort dabei ist die mediterrane Ernährung, und das heißt nicht ausschließlich Pizza und Pasta, sondern dass wir nichtvorverarbeitete Nahrungsstoffe zu uns nehmen sollen: Viel Gemüse, pflanzliche Öle, keine tierischen Fette. Also generell Qualität beim Essen – aber auch Spaß.“

Darüber hinaus müsse der Patient regelmäßig körperlich aktiv werden, eine regelmäßige körperliche Aktivität. „Dreimal die Woche eine Dreiviertelstunde ist gut für die Leber.“

Amalie Sieveking Krankenhaus: Chefarzt will Patienten ermutigen und nicht belehren

Der Betroffene muss aber auch selbst ran, denn Medikamente gibt es für diese Fälle noch nicht. „Ich versuche, meinen Patientinnen und Patienten immer zu vermitteln, dass sie damit eigentlich ein Privileg haben, dass sie das Krankheitsbild auch selber mit beeinflussen können, das ist eine wirkliche Stärke“, sagt der Chefarzt, der seine Patienten nicht belehren, sondern ermutigen will.

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„Es ist kein Schicksal, das über sie hereingebrochen ist, sondern sie haben die Chance, selber mit dazu beizutragen, dass die Erkrankung einen besseren Verlauf nimmt.“

Denn, und hier wieder ein Hoch auf das mit bis zu zwei Kilo schwerste innere Organ: Die Vernarbung kann sich wieder zurückbilden. Je nach Schwere der Erkrankung könne das zwar Jahre bis Jahrzehnte dauern, so Dr. Kluwe, aber grundsätzlich könne sich die Leber regenerieren.

Leber: Warum Eingriffe nur im schwersten Stadium helfen können

Umso wichtiger sei es aber, die Erkrankung so früh wie möglich zu erkennen. Ist die Leberzirrhose zu weit fortgeschritten, kann in manchen Fällen nur noch eine Transplantation helfen. Zuvor gebe es aber auch in diesem schwersten Krankheitsstadium medikamentöse Maßnahmen, um die Lebenserwartung und die Lebensqualität der Patienten zu erhöhen.

Auch durch kleinere Eingriffe, zum Beispiel die Behandlung von Krampfadern in der Speiseröhre oder die Einlage eines Röhrchen in die Leber, würden die Situation des Patienten verbessern. Einfach rausschneiden könne man das vernarbte Gewebe hingegen nicht, so Johannes Kluwe, da alle Bereiche der Leber betroffen seien.

Aber wie ist das jetzt mit dem Alkoholkonsum – ab welcher Menge schadet man seiner Leber? An dieser Stelle gibt es wieder schlechte Nachrichten: Das kann man nicht pauschal sagen.

Krankenhaus Hamburg: Wie viel Alkohol schadet der Leber?

„Am liebsten hätte man gerne einen sicheren Wert, bei dem man sich keine Sorgen machen muss“, sagt Dr. Kluwe. „Doch jeder Mensch hat leider ein unterschiedliches Risiko, Leberschäden zu erleiden.“

Es gebe zwar grobe Schwellenwerte, bei Frauen liegt dieser unter zehn Gramm pro Tag, das heißt, etwa ein kleines Bier oder ein Achtel Wein, bei Männern unter 20 Gramm pro Tag. Doch eben auch unter diesen Werten kann das Risiko erhöht sein.

„Grundsätzlich ist es richtig, vorsichtig zu sein, und ein regelmäßiger täglicher Alkoholkonsum, auch wenn es eine geringe Menge ist, ist etwas, das man überdenken sollte.“