Das Modell des Richters Olof Masch stößt bei Hamburgs Justizsenator Till Steffen auf wenig Gegenliebe. Er setzt auf andere Maßnahmen.

Hamburg. Für Jugendrichter Olof Masch ist das Bergedorfer Modell ein Erfolgsmodell. Mehr als nur eine Modifikation der Abläufe in Jugendstrafverfahren, sondern ein komplett neuer Ansatz, der helfen könnte, jugendliche Intensivtäter "von ihrem verhängnisvollen Weg" abzubringen, wie Masch gestern im Abendblatt darlegte. Würde die Politik dem Modell nur eine Chance geben, sagte Masch.

+++ Perspektivlosigkeit, die sich überträgt +++

"Das Bergedorfer Modell" - dahinter steht die Frage, wie die Justiz jugendliche Straftäter besser in den Griff bekommen könnte. Nicht weniger als eine "Personalunion von Jugend- und Familienrichter" fordert Masch. Während das Familienrecht erzieherische und zeitnahe Maßnahmen - etwa den Einsatz eines Betreuers - erlaube, verstrichen im Jugendrecht nach der Tat schon mal "sechs bis sieben Monate" bis zur Verhandlung. Zudem würden im Bergedorfer Modell die Eltern direkt nach der Tat ins Verfahren eingebunden - für viele Jugendliche, so der Richter, sei allein das ein "Stoppzeichen".

Seit 2005 sammelt der Richter entsprechende Daten am Jugendgericht Bergedorf. Das Ergebnis ist eine Statistik, welche die Täter nach Herkunft, Wohnort und Straftat aufschlüsselt. Die nackten Zahlen scheinen ihm recht zu geben. Sie dokumentieren einen Rückgang der Verfahren vor dem Bergedorfer Jugendgericht: Kamen dort 2005 noch 452 Straftaten vor Gericht, sank die Zahl im Jahr 2009 auf 409 Straftaten.

Die Forderung, das Amt des Jugend- und Familienrichters von einer Person ausüben zu lassen, hält Justizsenator Till Steffen (GAL) jedoch für nicht sinnvoll. "Die enge Kooperation von Familien- und Jugendrichtern ist notwendig. Darum arbeiten sie sehr eng zusammen. Diese Verschränkung muss aber nicht zwingend bedeuten, dass Familien- und Jugendrichter ein und dieselbe Person sind", sagte Steffen dem Abendblatt. Zwar teile der Senator die Ziele von Jugendrichter Masch, nämlich eine schnelle Bearbeitung der Fälle, Informationsaustausch und Einbindung der Familiengerichte. "Aber ich bin mit Richtern und Staatsanwaltschaft zu dem Schluss gekommen, dass diese Ziele auf anderen Wegen besser erreicht werden können." Allerdings scheint dem Senator das schneidige Vorpreschen des Jugendrichters zu missfallen: "Ich habe mir Zeit für ein Gespräch mit Richter Masch genommen, weil mich sein Ansatz interessierte. Leider war in diesem Gespräch wenig Kompromissbereitschaft auf der anderen Seite zu erkennen", sagte Senator Steffen.

Allein zwischen 2008 und 2009 sank in Bergedorf die Zahl der angeklagten Gewalttäter zwischen 14 und 21 Jahren um 15 Prozent. Und Jugendrichter Masch geht davon aus, dass die Zahl der Straftaten in Bergedorf auch in diesem Jahr weiter sinken werde - obwohl sich die sozialen Strukturen des Stadtteils nicht verbessert hätten. Masch erkennt darin die Wirksamkeit des Bergedorfer Modells. Für Polizeisprecher Ralf Meyer ist das kein Beweis: "Kriminalität hat viele Ursachen."

Von den 147 jugendlichen Gewaltkriminellen (2008: 185), die sich 2009 in Bergedorf verantworten mussten, hatten 95 einen Migrationshintergrund. 35 von ihnen stammen aus Russland, 19 aus Polen, 16 aus der Türkei. Der Anteil von Jugendlichen aus islamischen Familien beträgt 29 Prozent. Einen traurigen Rekord verzeichnet die Statistik bei den "besonderen Gewalttätern", die wegen gefährlicher Körperverletzung oder schwerem Raub mit Waffen vor Gericht standen: 72 Prozent von ihnen haben einen Migrationshintergrund. "Man kann es nicht anders sagen: Je gefährlicher die Tat, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Angeklagten einen Migrationshintergrund haben", sagt Masch.

Zum Vorwurf des Jugendrichters, die Grünen würden "aus Angst vor dem Ergebnis" eine Statistik verhindern, die auch die Abstammung der Straftäter erfasse, erwiderte Justizsenator Steffen: "Ich bin skeptisch, ob wir mit einer allgemeinen Statistik über den Migrationshintergrund einen relevanten Informationsgewinn erzielen können." Häufige Ursachen krimineller Karrieren seien jedoch Gewalt in Familien, Drogen- und Alkoholkonsum, sprachliche Barrieren und niedriges Bildungsniveau.

Masch hatte im Abendblatt auch kritisiert, die Innenbehörde verhindere, dass bei Urteilen auf Bewährung ausgesprochene Auflagen auch der Polizei bekannt werden. "Der Innenbehörde ist von angeblichen Verboten gegenüber der Polizei nichts bekannt. Wir können die von Richter Masch erhobenen Vorwürfe nicht nachvollziehen", sagt Ralf Kunz, Sprecher der Innenbehörde. Laut Gesetz dürfe jedoch nur die Staatsanwaltschaft der Polizei entsprechende Informationen weiterleiten. "Doch so wird eine zeitnahe Kontrolle unmöglich", sagt Masch.

Beispiel: Der Richter hat einem Jugendlichen per Bewährungsbeschluss das Mitführen von Messern verboten. Außerhalb der Wohnung darf er nicht mal ein Schälmesser tragen. "Wenn der Betreffende weiß, dass er bei einer positiven Kontrolle einen Bewährungswiderruf riskiert, wird er es sich vermutlich dreimal überlegen, ein Messer mit auf den Kiez zu nehmen." Denn aus gerichtlich verhängten Verboten würden im Zweifelsfall Strafen.

Die Justizbehörde setzte auf die Projekte "PriJus" und "Protäkt", sagte Justizsenator Steffen. Ziel von "PriJus" ist eine schnelle Reaktion des Staates auf "jugendliche Schwellentäter" zwischen 14 und 16 Jahren. Protäkt (Projekt täterorientierte Kriminalitätsbekämpfung) ist das 2007 gestartete Projekt, die Gewaltkriminalität von 14- bis 21-Jährigen in den Griff zu kriegen.

Seit August sind 1811 Ermittlungsverfahren gegen 533 Intensivtäter geführt worden. Heraus kamen 160 Verurteilungen - eine Quote von 8,8 Prozent. Das antwortete der Senat auf Anfrage von Andreas Dressel (SPD). "Ich bin schon erstaunt, dass bei diesen vielen Ermittlungsverfahren vergleichsweise wenig Verurteilungen herauskommen", sagte der Innenpolitiker. Er will mit weiteren Anfragen die Konsequenz der Justiz klären. Sicher sei für ihn, dass das Senatsziel "keine neuen Straftaten" nicht erreicht worden sei. "Die 1811 Ermittlungsverfahren gegen Protäkt-Täter sprechen eine klare Sprache."

Aus der Senatsantwort geht auch hervor, dass die zuständigen Staatsanwälte nur selten bei den Gerichtsverhandlungen der ihnen zugewiesenen Täter dabei waren - was eigentlich erklärtes Ziel des Programms ist. "Das aber ist nicht immer möglich", sagt Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers. Es gebe nur 200 Staatsanwälte. In vielen Fällen seien die Protäkt-Staatsanwälte für mehrere Jugendliche zuständig. Wenn gegen zwei Beschuldigte zur selben Zeit verhandelt würde, werde ein Vertreter bestellt.