Eigentlich zähle ich zu den Menschen, die gerne mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. In jeder fremden Stadt setze ich mich zuerst in U-Bahn, S-Bahn, Bus. So mache ich mir ein Bild von den Menschen, die dort leben, fange die Blicke auf, höre Gesprächen zu, erspüre so die Atmosphäre um mich herum. Seit gut vier Wochen ist das S-Bahn-Fahren Teil meines Alltags.

Ich steige in Pinneberg in die S 3, lasse mich in die Stadt fahren, abends wieder raus. In Woche eins war ich am Vormittag gegen 11.30 Uhr Zeugin einer Episode, die an der Station Elbgaustraße ihren Lauf nahm. Dort stiegen zwei Brüder, geschätzte Anfang 20, in die Bahn. Sie unterhielten sich abwechselnd auf Deutsch und einer mir unbekannten Sprache. In diesem Moment freute ich mich noch über das Multikulti-Flair der Hansestadt. Alles war gut, bis in Langenfelde ein schwer alkoholisierter Mann zustieg, der den beiden jungen Männern den Mittelfinger zeigte, sich lallend und schimpfend auf eine Bank sacken ließ. Einer der Beleidigten sprang blitzschnell auf, packte den Betrunkenen, riss ihn aus seinem Sitz, fing gleichzeitig meinen panischen Blick auf. Er brachte sein Gesicht Millimeter vor das Gesicht des Alkoholisierten und forderte ihn aggressiv auf, seine Schimpfwörter zu wiederholen. Die Episode endete friedlich. Der Betrunkene lallte Unverständliches. Der Beleidigte verlor die Lust an der Rache, gab ihm einen Tritt und dem Bruder Zeichen, an der Reeperbahn auszusteigen.

In Woche zwei durfte ich einmal morgens und einmal abends unerfreuliche Szenen beobachten. In der ersten gefiel einer Gruppe betrunkener junger Männer der Hut eines Herrn nicht. Einer preschte schließlich vor und schlug die Kopfbedeckung kurzerhand herunter. Der Hutträger bekam schnell Beistand von einigen Mitfahrern, ich rettete zumindest den Hut, die Randalierer stiegen aus und gleich gegenüber in die nächste S-Bahn. In einer anderen Fahrt bekam ich sonntags abends Gesellschaft von schwer alkoholisierten Fußballfans, die von anderen Fahrgästen Sitzplätze einforderten oder sich einfach auf die Personen setzten. Die Meute verließ die Bahn irgendwo vor Halstenbek, vergaß einen am Boden liegenden Kumpel. Der erbrach sich zwischen Thesdorf und Pinneberg drei Zentimeter vor meinen Füßen und kroch an der Endstation aus dem Wagen.

Woche drei verlief erfreulich friedlich, bis freitags abends stadtauswärts drei Typen Gefallen an einem Mädchen fanden, das allerdings einen Begleiter dabeihatte. Es kam zu einer kurzen Prügelei in der Bahn. Am Ende blutete einer der gockelnden Jungs aus der Nase, das Mädchen heulte. Das Pärchen stieg Eidelstedt aus.

Woche vier war ruhig. Vielleicht war es nur ein schlechter Start. An Gegröle, Sektflaschen leerende Girlies und in Bierflaschen rülpsende Männer habe ich mich gewöhnt. Aber ich habe gelernt, aufmerksam zu sein. Ich hoffe, Gefahren schnell erkennen zu können, setze mich gerne in den ersten Wagen hinter dem Fahrer und dann in die Nähe des Ausgangs, um schnell aussteigen zu können, falls ein Konflikt eskalieren sollte. Ich schaue mich nach Notrufschalter um und versichere mich vor Antritt meiner Bahnfahrt meines griffbereiten Handys, um einen Notruf absetzen zu können. Mein naiv-romantisches Verhältnis zu S-Bahn-Fahrten ist mir zumindest auf der Strecke Pinneberg-Hamburg und zurück vergangen.