Die Katholische Kirche wusste schon 2002 von Vorwürfen gegen den Geistlichen. Die Staatsanwaltschaft prüft Verjährung der Straftaten.

Hamburg. Die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche haben offenbar im Erzbistum Hamburg für ein Umdenken gesorgt. Es geht nun neue Wege, nachdem jahrzehntelang verschwiegen worden ist. Das Erzbistum nimmt Kontakt mit der Staatsanwaltschaft auf und versetzt einen unter Verdacht stehenden Geistlichen in den Ruhestand. Doch die aktuellen Vorwürfe von Übergriffen des heute 67 Jahre alten Priesters auf zwei Mädchen im niedersächsischen Lingen zeigen auch, wie schwer sich das Erzbistum mit der Aufarbeitung solcher Fälle tut. Zwischen 1976 und 1983 soll der katholische Geistliche die beiden Mädchen sexuell missbraucht haben. Das zeigte eines der Opfer sowie eine Schwester des anderen Opfers dem zuständigen Bistum Osnabrück im Februar dieses Jahres an. Das wiederum informierte daraufhin das Hamburger Erzbistum. Dieses ist seit 15 Jahren für den Priester zuständig.

Doch im Frühjahr 2010 waren den Hamburger Kirchenoberen bereits weitere Vorwürfe gegen den Geistlichen längst bekannt. So hatte sich dort im Jahr 2004 ein Mann gemeldet, der angab, ebenfalls von ihm, diesmal in Bremen, in den Jahren 1972 oder 1973 missbraucht worden zu sein. Über beide Fälle informierte das Erzbistum jetzt die zuständigen Staatsanwaltschaften Osnabrück und Bremen.

Laut Oberstaatsanwalt Jörn Hauschild sei der Hamburger wegen schwieriger Familienverhältnisse von seiner Tante nach Bremen geholt worden. Dort habe sie ihn im Haus des damaligen Kaplans untergebracht, wo er mindestens einmal übernachtete. Dies habe der Kaplan ausgenutzt und den Jungen sexuell belästigt. "Es ist aber nicht zu schwerwiegenden Aktionen gekommen", sagt Hauschild.

Erstmals erfuhr das Erzbistum Hamburg schon 2002 von Missbrauchsvorwürfen gegen den Priester. Damals berichteten zwei Frauen, dass sie Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahre ebenfalls in Lingen von dem Mann sexuell missbraucht wurden. Doch sowohl 2002 als auch 2004 überließ das Erzbistum jeweils den Opfern die Entscheidung, die Taten juristisch verfolgen zu lassen. Vielmehr versuchten die katholischen Verantwortlichen, die Fälle intern zu lösen. "2004 bestand der Wunsch eines Opfers, Kontakt mit dem Priester aufzunehmen", sagt Bistumssprecher Manfred Nielen. Diesen habe man vermittelt. Ob es zu diesem Kontakt gekommen ist, sei aber nicht bekannt.

Nach den Missbrauchsvorwürfen 2002 habe das Erzbistum dem Priester eine Therapie auferlegt. Nach deren Ende urteilte die Therapeutin, dass dieser wieder "im pastoralen Dienst" arbeiten könne. Als Auflage sei ihm erteilt worden, nicht mehr allein zu arbeiten und nicht mehr mit Jugendlichen. Der Geistliche sei 2003 dann auf eigenen Wunsch nach Albanien gegangen. Der zuständige Bischof des Bistums Tirana sei über die Vorkommnisse informiert worden. "Wir sind uns aber nicht sicher, ob der Priester die Auflagen erfüllt hat", gesteht Bistumssprecher Nielen heute ein.

Der 67-Jährige, der in Hamburg nie seelsorgerisch tätig war, lebt seit seiner Pensionierung im März wieder in Deutschland. Bei der Beantwortung der Frage, warum der 2004 bekannt gewordene Fall erst jetzt der Staatsanwaltschaft mitgeteilt worden ist, gesteht Manfred Nielen indirekt einen Fehler ein. "Wir haben das damals anders gesehen. Das war ein Lernprozess." Heute wolle man Transparenz zeigen.

Doch bei der Antwort auf die Frage, warum der Fall aus dem Jahr 2002 nicht angezeigt worden ist, tut sich Nielen schwer. "Es ist nicht klar, ob die Opfer womöglich Diskretion wünschten." Hinzu kommt, dass das Erzbistum Hamburg keine förmliche Strafanzeige erstattet hat. "Es ging um eine Prüfung einer möglichen Verjährung der Taten", bestätigte der Osnabrücker Oberstaatsanwalt Alexander Retemeyer dem Abendblatt. Der Staatsanwaltschaft sei lediglich der abgekürzte Name des 67-jährigen Geistlichen mitgeteilt worden. Mittlerweile hätten die Staatsanwälte die Personalien aber selbstständig ermittelt. Und noch immer seien die Namen der Opfer nicht bekannt. "Nach vorläufiger Einschätzung sind die Taten allerdings verjährt."

Zum selben Ergebnis könnten auch die Bremer Ermittler kommen. "Sexueller Missbrauch an Kindern ist zehn Jahre nach dem 18. Lebensjahr verjährt", sagt Oberstaatsanwalt Jörn Hauschild. Unterdessen hat das Hamburger Erzbistum die Staatsanwaltschaften Hamburg, Neubrandenburg, Schwerin und Rostock über weitere Missbrauchsfälle von Geistlichen an Kindern informiert. Diese Taten stammen aus den 60er- bis 90er-Jahren. Verfolgt werden diese aber nicht mehr. Alle vier beschuldigten Priester sind in der Zwischenzeit verstorben.