Was passierte im Kinderhaus St. Josef in Bad Oldesloe? Ein heute 66-Jähriger erhebt schwere Vorwürfe. Es gibt weitere Verdachtsfälle.

Bad Oldesloe. Der Skandal um den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Geistliche in katholischen Einrichtungen hat jetzt auch Stormarn erreicht. Ein heute 66 Jahre alter Dresdener, der bis 1960 im Kinderhaus St. Josef in Bad Oldesloe gelebt hat, erhebt schwere Vorwürfe gegen den damaligen Kaplan. Ein weiteres Opfer hat sich vor einigen Tagen mit ähnlichen Vorwürfen beim Erzbistum Hamburg gemeldet. Das bestätigte Bistums-Sprecher Manfred Nielen. Und: Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Lübeck gibt es weitere Verdachtsfälle des sexuellen Missbrauchs und sexueller Übergriffe im Nordosten Hamburgs, die das Bistum an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet hat.

Auch im Schullandheim Neu-Börnsen (Kreis Herzogtum Lauenburg) soll ein bisher unbekannter Priester Anfang der 1950er Jahre eine Frau belästigt haben. Im Kloster Nütschau in Travenbrück (Kreis Stormarn) wird ebenfalls ermittelt. Das bestätigte Klaus-Dieter Schultz, leitender Oberstaatsanwalt aus Lübeck, auf Anfrage der Regionalausgabe Stormarn des Abendblattes. Nach Angaben des Erzbistums soll ein Mitarbeiter des Klosters 1998 eine Frau sexuell belästigt haben. Der Mann sei nicht Mitglied des Ordens gewesen und habe gegen sich selbst Anzeige erstattet.

Das mutmaßliche Dresdener Opfer möchte namentlich nicht genannt werden. Als 15-Jähriger kam der Junge Ende der 50er-Jahre in das Kinderheim in Bad Oldesloe. Dort sei der Junge im Pfarrhaus neben dem Heim an der Straße Wendum vom damaligen Kaplan sexuell missbraucht worden. Mehrere Male habe er sich in dessen Büro nackt ausziehen und auf den Schoß des Geistlichen setzen müssen. Dann habe ihn der Mann im Intimbereich berührt. Der Mann habe ihm damals erzählt, dass es sich dabei um eine hygienische Kontrolle handele. "Die Erlebnisse haben mich jahrzehntelang belastet. In den vergangenen Jahren kochte es in mir immer mehr hoch", sagt das Opfer während eines Telefongesprächs mit dieser Zeitung. Die bundesweiten Vorkommnisse in den vergangenen Wochen hätten ihn gestärkt, nun mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Ein anderer Heimbewohner aus dieser Zeit berichtet, dass der Kaplan Mitte der 60er-Jahre mit drei Jungen in Flensburg in einer Wohnung gewohnt habe. Zwei von ihnen seien ehemalige Oldesloer Heimkinder gewesen. Dass es sich bei den Taten im Kinderhaus in der Kreisstadt offenbar nicht um Einzelfälle handelt, bestätigt Pressesprecher Manfred Nielen. Er sagt: "Wir stehen mit einem weiteren ehemaligen Heimbewohner in Kontakt. Er erhebt ähnliche Vorwürfe. Auch dieser Mann war Ende der 50er-Jahre bis Anfang der 60er-Jahre in dem Kinderheim gewesen."

Dieses Opfer war kürzlich im Kinderheim St. Josef und sprach mit der heutigen Heimleiterin Birgit Brauer - mehr als 50 Jahre nach den Übergriffen. Die Leiterin, eine Psychologin, sagt: "Es sind langwierige Prozesse, die in den Opfern ablaufen. Einige brauchen Jahre, bis sie darüber sprechen können." Sie habe daher ein Versöhnungsgespräch angeboten und den Gast durch die jetzt freundlichen und gelb gestrichenen Gänge des mächtigen Backsteinbaus geführt. "Ich wollte zeigen, dass sich hier etwas verändert hat und dass diese Dinge sich nicht wiederholen. Von außen sieht das Gebäude zwar noch gleich aus, aber was hier drinnen passiert, ist etwas ganz anderes." Sie leitet das Haus erst seit 2006. Den ehemaligen Kaplan kenne sie nicht. Sie sagt: "Es ist alles so lange her. Das war eine ganz andere Zeit." Damals waren mehr als 250 Kinder in großen Schlafsälen untergebracht. Heute teilen sich mehrere Kinder und Jugendliche eine kleine Wohnung. Im mittlerweile umgebauten Pfarrhaus wohnt längst kein Geistlicher mehr. In den ehemaligen Büroräumen wohnen jetzt mehrere jugendliche Mädchen in einer Wohngruppe.

Die Leiterin geht davon aus, dass sich noch mehr Opfer melden werden. Es ist eine Befürchtung aber auch Hoffnung zugleich. "Die Vergangenheit gehört zu unserem Haus dazu." Birgit Brauer will sich dieser Vergangenheit stellen und sie aufarbeiten. Der Kaplan indes soll nach Angaben des Bistum-Pressesprechers mittlerweile in einem Altenheim wohnen. Zum 100-jährigen Jubiläum des Kinder- und Jugendhauses im Jahre 2002 wurde er für eine Infobroschüre befragt. Darin sagte er: "Das Josefhaus hat mich für mein ganzes weiteres Leben als Seelsorger geprägt."