Viele Abgeordnete des Parlaments sind verärgert darüber, dass die Ereignisse der vergangenen Wochen völlig an ihnen vorübergingen.

Der 28. Februar 2007 war ein historischer Tag. Seinerzeit beschloss die Bürgerschaft einstimmig den Bau der Elbphilharmonie, und sogar die Opposition war auf Harmonie gestimmt: "Teilhabe an Kultur ist die beste Sozialpolitik", lobte die heutige Zweite Bürgermeisterin Dorothee Stapelfeldt (SPD) das Projekt.

Zwei Jahre später war ein ähnlich historischer, aber nur noch halb so harmonischer Tag. Am 4. März 2009 segnete die Bürgerschaft nur noch mit den Stimmen von CDU und GAL die Verdreifachung der städtischen Kosten auf 323 Millionen Euro ab. Es war SPD-Haushaltsexperte Peter Tschentscher, heute Finanzsenator, der den schwarz-grünen Senat seinerzeit heftig dafür kritisierte, dass er "nach Gutdünken des Bürgermeisters" Ole von Beust (CDU) 209 Millionen Euro mehr ausgebe.

Endgültig Schluss mit Harmonie war am 5. Mai 2010, als die Bürgerschaft einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zur Elbphilharmonie einsetzte - zwar einstimmig, was aber nur schwach übertünchte, dass die CDU die Aufarbeitung des Dramas eigentlich für überflüssig hielt.

Der Blick in die Vergangenheit mag verdeutlichen, dass das Jahrhundertprojekt immer auch ein Kind des Parlaments war. In guten wie in schlechten Tagen setzte sich die Bürgerschaft leidenschaftlich mit "ihrer" Elbphilharmonie auseinander. So werden die PUA-Mitglieder - inzwischen übrigens auch die der CDU - nicht müde, oft bis spät in die Nacht Zeugen zu befragen, die Licht in das Projekt bringen könnten.

Umso verärgerter sind viele Abgeordnete, dass die Ereignisse der vergangenen Wochen völlig an ihnen vorübergingen. Immerhin hatte der Senat dem Baukonzern Hochtief ein dramatisches Ultimatum gesetzt und dann kurz vor Ablauf am Mittwoch nicht weniger als eine "Neuordnung" des Projekts vereinbart. Ein neuer Fertigstellungstermin - Mitte 2015 - wurde vereinbart, eine Neuaufteilung der Planungsverantwortung und nicht zuletzt ein Schiedsgerichtsverfahren, das über zwei- bis dreistellige Millionensummen entscheiden soll. Darüber möchten Parlamentarier, die immerhin das Geld zu bewilligen haben, schon mal informiert werden - oder besser noch: daran beteiligt werden. Doch davon konnte kaum die Rede sein. Erst kurz vor Veröffentlichung der Einigung versuchten Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos) und ihr Staatsrat Nikolas Hill (CDU), die Fraktionsspitzen zu informieren - nicht in allen Fällen mit Erfolg.

Bei der Vize-Fraktionschefin der Grünen, Anja Hajduk, war jedenfalls keine Nachricht angekommen - dabei hatte sie sich erst am 27. Juni in einem Brief persönlich an die Kultursenatorin gewandt und sie gebeten, zumindest den PUA-Mitgliedern die Analyse des Senats zur Verfügung zu stellen, inwiefern Hochtief gegen den Vertrag verstoßen haben könnte. Auch nach der Einigung von Stadt und Baukonzern legten Hajduk und andere Haushaltsexperten schnell den Finger in die wohl entscheidende Wunde: die möglichen Mehrkosten. Was ist, wenn das Schiedsgericht, das spätestens 2016 entscheiden soll, zu dem Ergebnis kommt, dass die Elbphilharmonie die Stadt noch einmal 50 oder gar 100 Millionen Euro mehr kostet? Gemäß Verfassung müsste die Bürgerschaft dann Haushaltsmittel nachbewilligen. Doch was ist, wenn sie das verweigert? Ist das ganze Schiedsgericht dann hinfällig?

Einen ähnlichen Fall hat es in Hamburg in jüngerer Vergangenheit nicht gegeben, und so herrscht selbst in Senatskreisen eine gewisse Unsicherheit. "Wenn die Bürgerschaft beteiligt werden muss, werden wir das selbstverständlich tun", stellte Senatssprecher Christoph Holstein aber klar. SPD-Fraktionschef Andreas Dressel ist sich sicher, dass es bislang keiner Beteiligung des Parlaments bedurfte.

Bei der Opposition stößt das Regierungsverhalten auf Kritik. CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich forderte eine umgehende Information der Bürgerschaft, Norbert Hackbusch (Linke) beklagte das Fehlen "jeglicher Kostentransparenz", und die Grüne Anja Hajduk forderte, dass der Senat das Parlament noch vor den Etatberatungen im Spätsommer über alle Kostenrisiken informieren muss. Sonst sehe sie ein "inakzeptables Transparenzproblem".

Eine bemerkenswerte Debatte. Denn erst vor vier Wochen hatte die Bürgerschaft einstimmig ein bundesweit einmaliges Transparenzgesetz beschlossen. Wenn es im Herbst in Kraft tritt, muss der Senat Drucksachen, Beschlüsse, Gutachten und vieles mehr veröffentlichen. Im Fall der Elbphilharmonie wird das eine echte Herausforderung, kommt der Senat doch kaum seinen bisherigen Pflichten nach.

Denn schon 2005 hatte die Bürgerschaft ihm auferlegt, halbjährlich Bericht über das Projekt zu erstatten. Seitdem waren alle Senate - schwarze, schwarz-grüne und rote - regelmäßig in Verzug damit. Der bislang letzte Bericht wurde im Oktober vorgelegt und bildete den Sachstand per 30. September 2011 ab, der Abstand zu seinem "Vorgänger" betrug mehr als ein Jahr. Auch derzeit ist der Bericht wieder mehr als überfällig. Zwar kursiert in der Kulturbehörde bereits eine Fassung, die aber unglücklicherweise kurz vor der Einigung mit Hochtief fertig wurde. Dieses Papier soll nun auf den aktuellen Stand gebracht und "so schnell wie möglich" den Abgeordneten zugeleitet werden, so die Kulturbehörde. "Mit diesem Sachstandsbericht ist dann auch die Beteiligung des Parlaments gewährleistet", betont SPD-Fraktionschef Dressel.

Ob die Opposition damit zufrieden sein wird, ist mindestens fraglich. Einig sind sich der Senat und seine Kritiker aber in einer Einschätzung über die Elbphilharmonie, die Bürgermeister Olaf Scholz zuletzt so formulierte: "Die Wahrheit liegt jetzt auf der Baustelle."