Tausende Hamburger Hartz-IV-Empfänger leben in Elendswohnungen zu Wuchermieten - die Stadt bezahlt. Behörden reagieren zu lasch.

Hamburg. Die Adresse ist nur auf den ersten Blick unverdächtig. Am Sood 5. Eine kleine Straße im angesagten Stadtteil Ottensen, zwischen Mercado-Einkaufszentrum und Zeise-Kino gelegen. Die nach vorne gehende Fassade des zweistöckigen Hauses ist - anders als die rissigen, Putz bröckelnden Seitengiebel und die Rückseite - sogar mal weiß gestrichen worden. Zwei Blumenkästen, aus denen Kirschlorbeer wild wuchert, säumen die Eingangstür.

Dahinter beginnt die "krank" und "wütend" machende "Wohnhölle", sagen die neun Mietparteien der als Apartmenthaus deklarierten Bruchbude unisono. Fast alle sind Hartz-IV-Empfänger: Ex-Obdachlose, Junkys, Knackis. Sie leben in winzigen, zwölf bis 16 Quadratmeter großen Wohnungen. Sie haben feuchte Wände, undichte Fenster, Modergeruch, wuchernden Schimmel, marode Wasserrohre und Elektroleitungen - und oft unfreiwillig Mitbewohner: Ratten.

Im ganzen Haus gibt es keine regulären Heizungen, kaum warmes Wasser und nicht immer Strom. Das Haus Am Sood 5 in Ottensen würde in einem Slum in Südamerika kaum auffallen. Nur würde es dann den Vermietern nicht monatlich über 3000 Euro Miete einbringen. Und den Steuerzahler dieselbe Summe kosten.

"Meine Wohnung ist ein Rattenloch", schimpft Jörg K., 42. Der Ex-Obdachlose haust seit einem Jahr in der Parzelle hinten rechts im Erdgeschoss. Jörg K. macht sich Sorgen um seine Gesundheit. "Ich würde gerne wegziehen, nur schnell raus hier", sagt er. Nachts kann er wegen der scharrenden Rattengeräusche kaum schlafen. Die Wände um das Küchenfenster und über seinem Bett schimmeln. Zwei Vormieter sind an Rachenkrebs erkrankt. Er hat Reizhusten und Ausschlag.

Für den Hartz-IV-Empfänger zahlt die Arge die Miete - 310 Euro im Monat für 15 Qudratmeter. Das macht eine Kaltmiete von gut 20 Euro pro Quadratmeter, die um fast 100 Prozent über den höchsten Wert des Mietspiegels liegt. Für diesen Quadratmeterpreis wohnen andere in Traumwohnungen mit Alsterblick oder in luxuriösen Neubauten in der HafenCity.

"Sowohl Bauprüfer als auch der Bereich Wohnraumschutz waren in den letzten Jahren in unregelmäßigen Abständen in dem Objekt Am Sood 5", versichert Kerstin Godenschwege. Es seien vornehmlich Mängel an den Elektroanlagen festgestellt und ein Strafgeld von 2000 Euro erhoben worden. "Es gab zudem verschiedene Anordnungen zur Herstellung ordnungsgemäßer Zustände und Nutzungsuntersagung für das Dachgeschoss", sagt Godenschwege. Sie ist die Sprecherin des zuständigen Bezirksamts Altona. Das sieht nach Handeln aus.

Was sie nicht weiß: Die beiden Dachgeschosswohnungen sind trotz behördlichen Verbots vermietet. Keiner kontrolliert offenbar, ob die Anordnungen befolgt werden.

Arge-Mitarbeiter waren vor ein paar Monaten mal kurz in Jörg K.s - und einigen anderen Wuchermiete-Wohnungen im Haus Am Sood. Sie vermaßen die Zimmer und stellten ansonsten kaum Fragen, sagen die Bewohner. "Sie wollten nichts hören und nichts sehen", sagt ein Mieter. "Nur messen und schnell wieder weg."

Im Frühjahr wurden die Mieten kurzzeitig gesenkt, um sie im Sommer wieder auf den alten Betrag zu erhöhen. "Hintergrund der Rücknahme der Mietkürzung war die Furcht vor Wohnungskündigung der Mieter, die Grundsicherung beziehen, mit der möglichen Folge von Obdachlosigkeit", sagt Horst Weise, Sprecher der Arge. Über Straf- und Zivilgerichte wolle man nun erstreiten, dass zu viel gezahlte Miete zurückgezahlt werde und die zukünftigen Zahlungen sich reduzieren.

Geld ist das eine, doch was ist mit den Wohnbedingungen, mit der Gesundheit der Bewohner? Beamte vom Gesundheitsamt oder der Baubehörde haben sich bis heute in Jörg K.s Wohnung nicht blicken lassen.

Die Vermieter Rauch & Veth GbR, ansässig in Berlin, reagieren nicht auf die Beschwerden der Hausbewohner. Die Strafgelder haben sie gezahlt - und weitergemacht wie bisher. Wenn mal Handwerker anrücken, dann höchstens, um den Schimmel zu überstreichen. Eine Abendblatt-Anfrage bei Rauch & Veth wird abgebügelt: "Wir haben kein Interesse an Öffentlichkeit."

"Als ich vor sechs Jahren in dieses schimmlige Wohnklo gezogen bin, hat Herr Rauch mir in die Hand versprochen, dass saniert wird", sagt Ex-Knacki Martin Oremek, 40, der die 14-Quadratmeter-Wohnung im Erdgeschoss vorne links zur Straße raus bewohnt. "Darauf warte ich bis heute. Ebenso auf Hilfe vom Bezirksamt oder von der Arge. Dort weiß man Bescheid, doch keiner tut was für unsere Gesundheit und gegen die Vermieter-Mafia. Das kotzt mich an." Für Oremeks feuchte vier Wände überweist die Arge monatlich sogar 435 Euro. Das macht gut 31 Euro pro Quadratmeter. Damit dürfte Oremeks desolate Mietwohnung vom Quadratmeterpreis her zu den teuersten ganz Hamburgs gehören.

Hartz-IV-Empfänger sind schon lange die Zielgruppe von unseriösen Vermietern und Hausbesitzern. Weil die oft Kranken und Gestrauchelten meist froh sind, überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben. Weil sie via Arge die Wuchermieten pünktlich zahlen. Monat für Monat. Jahr für Jahr.

Hartz-IV-Wohnungen mit Wuchermieten gibt es fast überall in Hamburg: in Ottensen, Eilbek, Altona, Wandsbek, Billstedt, Hamm oder Rothenburgsort. Zum Beispiel an der Billstedter Hauptstraße 106 a und b. Vermieter ist dort die Kuhlmann Grundstücks GmbH - der Ex-CDU-Deputierte Thorsten Kuhlmann vermietet in Hamburg 500 bis 600 Wohneinheiten, sein spezieller Trick sind zu hohe Quadratmeterangaben. Gegen drei Vermieter wurde Strafanzeige erstattet, gegen drei weitere sind Zivilklagen anhängig. Auch gegen Kuhlmann. "Wir haben bislang 45 Kuhlmann-Wohnungen vermessen. In 35 Fällen wurden dabei von uns Größenabweichungen festgestellt, die mietrechtlich relevant sind. Teilweise sind die Wohnungen nur etwa halb so groß wie in den Mietverträgen angegeben", sagt Tobias Beckmann, 37, Rechtsanwalt der Arge.

Die Probleme um Mietwucher und Mietmissbrauch sind keineswegs neu. Schon 2002 hatte die damalige Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) die Missstände zur Chefsache erklärt, nachdem das Abendblatt skandalöse Fälle aufgedeckt hatte. Den Worten sind kaum Taten gefolgt. Immerhin will man jetzt Höchstmieten festlegen und weitere Wohnungen vermessen.

"Wir können keine Wohnungen aus dem Hut zaubern", sagt ein Mitarbeiter der Arge, der anonym bleiben möchte. "Wenn wir alle an einem Strang ziehen und wirklich hart durchgreifen würden, würden viele Hartz-IV-Empfänger auf der Straße landen. Mehr, als der Arge, den Bezirken, dem Sozialsenator und der ganzen Stadt lieb sein kann. Daher gehen bis heute alle dieses Problem um Mietwucher mit Samthandschuhen an. Und einige Abzocker reiben sich noch immer die Hände. Leider."

Es müssten in einer Hauruck-Aktion sofort 1500 bis 2000 Wohnungen für die Ärmsten der Armen zur Verfügung gestellt werden, meint Siegmund Chychla, 55, Geschäftsführer vom Mieterverein zu Hamburg, der wie der Verein Mieter helfen Mietern einige von der Abzocke Betroffene unterstützt: "Seit fast zehn Jahren wird in Hamburg der soziale Wohnungsbau sträflich vernachlässigt. Das rächt sich jetzt. Aber es stehen so viele Bürohäuser leer. So manche könnten doch Unterkunft für Arme werden."

Michael Lessow, 43, von vielen Krankheiten geplagt, wohnt seit vier Jahren an der Ifflandstraße 70, nur wenige Gehminuten von der Außenalster entfernt. Mit ihm etwa 35 weitere Mietparteien, fast durchweg Hilfeempfänger. Alle "Apartments" (12 bis 15 Quadratmeter klein, um die 400 Euro teuer, die jährlichen Nebenkosten-Nachzahlungen gehen bis in den vierstelligen Bereich) sind in einem schlimmen Zustand, gemacht wurde seit Jahren nichts. Die alte Masche. Der Vermieter wurde von der Arge wegen Mietbetrugs angezeigt. Er konterte prompt mit Räumungsklagen und hüllt sich ansonsten in Schweigen. Michael Lessow hat wie die meisten seiner Nachbarn Angst vor Obdachlosigkeit. Und keiner kann sie ihm nehmen.