Seitdem die Schließung der Einrichtung verkündet wurde, entdecken die Hamburger plötzlich die Liebe zum Altonaer Museum neu.

Altona. Es ist ein Oktoberwochenende, wie es schöner nicht sein kann. Jedenfalls scheint endlich mal wieder die Sonne, höchstens der scharfe Wind, der das Herbstlaub über die Museumstraße wirbelt, nervt. Und deshalb ist es gut, dass die renovierte Eingangshalle des Altonaer Museums ordentlich geheizt ist, wie überhaupt die insgesamt 7200 Quadratmeter Ausstellungsfläche. Vielleicht bräuchte es das aber nicht mal, denn drinnen brennt die Luft.

Am Freitag haben sie die 40.000er-Marke geknackt - 40.000 Unterschriften gegen die beabsichtigte Schließung des knapp 110 Jahre alten "historischen norddeutschen Landesmuseums". Und so ganz allmählich weicht nun auch die lähmende Fassungslosigkeit der Museumsangestellten einer kämpferischen Jetzt-erst-recht-Haltung.

Von wegen "täglich gerade mal 17 bis 25 zahlende Besucher im Durchschnitt ", was der neue Kultursenator Reinhard Stuth gesagt haben soll, um die beabsichtigte Schließung des Hauses zu rechtfertigen: Am gestrigen Sonnabend sind es über 500 gewesen, davon sogar fast die Hälfte "Vollzahler", und heute, am Sonntag, hat man sogar über 800 registriert. Joachim Ranc, 64 Jahre, Leiter des Aufsichtspersonals, hütet diese Zahlen, die er hoch oben unterm Dach, in einem der ehemaligen Künstlerzimmer mit Excel-Tabellen verwaltet, wie einen Schatz. Sie stimmen. Sie dokumentieren die neue Solidarität der Bevölkerung, man kann mit ihnen argumentieren, aber sie sind auch so ungefähr das einzig Verlässliche. "Dabei bräuchten wir nicht mal neue Ausstellungen von draußen zu kaufen", sagt Ranc, "unsere Magazine sind doch voll." Nur etwa drei Prozent der insgesamt 640.000 Objekte seien zurzeit ausgestellt. Doch für Innovationen fehle es schlicht an Geld. Und für Reparaturen sowieso. Da es weder einen Hausmeister noch Hausarbeiter gibt, müssen die Restauratoren ran, wenn was kaputt geht.

Erika und Peter Schwarz, zwei gebürtige St. Paulianer, beide 68 Jahre alt, die aber schon vor vielen Jahren nach Rellingen gezogen sind, besuchen das Museum regelmäßig. Sie kennen es aus Kindertagen und schwelgen gerne in Erinnerungen. "Der Einbaum unten in der Eingangshalle stand schon immer da", glaubt Peter Schwarz sich zu erinnern. Damit spricht er unbeabsichtigt das Grundproblem des Museums an: Es wirkt in großen Teilen verstaubt und altbacken, häufig auch marode und halb fertig. Die meisten Exponate hängen oder stehen zwar in einer sicherlich beabsichtigten, logischen Anordnung, aber sie hängen oder stehen eben nur herum, denn die publikumswirksame Inszenierung fehlt; so etwas wie ein roter Faden, lesbare Beschreibungen oder wenigstens genügend Wegweiser.

Museumsgäste wie Kirsten Eggers, 43, die sich mit ihrer Familie aus dem fernen Poppenbüttel auf den Weg nach Altona gemacht hat, um sich "einen persönlichen Eindruck zu verschaffen, warum um dieses Museum so ein Wind gemacht wird", fühlen sich etwas verloren. An der wunderschönen Sammlung gusseiserner Ofenplatten im Treppenhaus zwischen den Schiffsmodellen und dem Bootsbau ist die Familie vorbeigelaufen und nun auf der Suche nach dem beworbenen Eidophusikon, dem Nachbau eines Illusionstheaters aus dem 18. Jahrhundert. Eher zufällig trifft die Familie auf Joachim Ranc, der ihnen den Weg durch das verschachtelte Gebäude erklären kann. Zum Glück.

"Ein Besuch in unserem Museum hat sicherlich ein bisschen was von Schatzsuche", sagt er mit verblüffender Offenheit, "denn wenn der Etat nicht mal mehr für einen Eimer Farbe reicht, wie soll man dann eine vernünftige Beschilderung finanzieren?" Nicht von ungefähr heißt eine der zahlreichen Sonderausstellungen "Knappe Zeiten". Dort, in der ersten Etage, haben die Ausstellungsmacher aus der finanziellen Not eine kulturrevolutionäre Tugend gemacht und die ruhigen Bilder der Malerin Gisela Bührmann mit der Vorschau der generationenübergreifenden Unterwäschenschau "Leib-haftig" in einen gemeinsamen Ausstellungsraum verfrachtet.

Leider passt nicht so recht zusammen, was nicht zusammengehört. "Ich weiß das und alle anderen, die hier arbeiten, wissen das auch", sagt Ranc verschmitzt lächelnd und vergisst nicht zu erwähnen, dass mittlerweile 270 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer in ihrer Freizeit vor und hinter den Kulissen dafür sorgen, dass der Museumsbetrieb aufrechterhalten werden kann. Dass zum Beispiel auch die Möbel in den original erhaltenen Bauernstuben abgestaubt werden sowie die Exponate in Dufkes Gemischtwarenladen und der Lauenburger Rathsapotheke, die fest installierten Schausammlungen des Museums, die man bei einer Schließung kaum oder schlimmstenfalls gar nicht ausbauen könnte.

An mannshohen Vitrinen voller alter Kinderspielzeuge aus Blech und Holz vorbei nähert man sich schließlich dem "Kinderolymp". Dieses multimediale Lern-und Tobezentrum, für pädagogisch besorgte Eltern längst eine Institution, ist das Pfund, mit dem die streitbaren Museaner wuchern können. "Na klar sind wir jetzt auch hier, um das Haus zu unterstützen", sagt Jeanette Stenhäuser, 46, die mit ihrem Sohn Aaron die "Fremden Wasserwelten" erkundet. Hier zeigt das Altonaer Museum, was es noch besser kann als protestieren: Kinder, die häufig noch nicht mal lesen können, für Neues und Unbekanntes zu begeistern, ihnen etwas beizubringen, und das ohne oberlehrerhafte Attitüden. Denn Anfassen und Ausprobieren ist ausdrücklich erlaubt.

Die Buchungen für Kindergeburtstage laufen wie geschnitten Brot und alle in der Vierländer Kate zusammen, dem Museumsrestaurant, das Susanne Ramm, 47, in zweiter Generation führt. "Den Kultursenator Stuth könnt ich küssen", sagt die Gastronomin, "so eine gute Werbung hatten wir noch nie." Die Bierbänke sind voll besetzt, am besten geht der Obstkuchen vom Blech für zwei Euro das Stück, Sahne kostet 50 Cent extra. Hinten, im Aufenthaltsraum, sitzen die Mitarbeiter bei einer Pausenzigarette zusammen und sinnieren, wie es nun weitergeht mit dem Museum. Und mit ihnen. "Das Museum wurde jahrelang konsequent kaputt gespart. Den Schwung, der jetzt da ist, müsste man bloß in die Zukunft mitnehmen", sagt Susanne Ramm, "fragt sich bloß, welche Zukunft?"