Die 52-jährige Hamburgerin Dorit Denecke muss gegen ihren Willen ihren Hauptwohnsitz nach Marl verlegen, nur weil ihr Ehemann dort lebt.

Hamburg. "Aus Hamburg ausgebürgert!" Wenn Dorit Denecke darüber nachdenkt, wird sie wütend. Wütend, weil sie seit einigen Wochen auf dem Papier Westfälin ist und keine Hamburgerin mehr sein darf. Und das nur, weil sie einen Trauschein unterschrieb.

"Das klingt brutal, da stellen sich alle Haare bei mir auf", sagt die 52-Jährige. Und für Dorit Denecke, eine bekennende Lokalpatriotin, "ist das wirklich etwas, das an die Substanz geht. Das nimmt mich emotional sehr mit und verletzt über alle Maßen. Hamburg ist meine Heimat. Und das ist mir jetzt aufgrund eines uralten Gesetzes weggenommen worden." Die zuständigen Meldebehörden in Hamburg und Nordrhein-Westfalen sind sich einig: Ehepaare müssen einen gemeinsamen Hauptwohnsitz haben.

Dorit Denecke ist Hamburgerin mit Leib und Seele - schon immer, denn ihre Familie lebt seit drei Generationen in der Hansestadt. Ihre Kindheit verbrachte sie in Eidelstedt, lange Jahre war sie im Schanzenviertel zu Hause. Mittlerweile lebt sie in Barmbek. In ihren heutigen Ehemann verliebte sie sich im Jahr 2007, und das Paar war sich von Anfang an bewusst, dass es eine Wochenendbeziehung führen muss.

Thomas Denecke lebt in Marl, arbeitet in Münster. Dorit Denecke, damals noch Dorit Schlaad, arbeitet bei Airbus in Finkenwerder. "Wir beide haben einen Job, den wir sehr lieben und den wir nicht einfach aufgeben wollen", sagt der Ehemann. "Zudem habe ich zwei Kinder, die dort leben. Ein Grund mehr, meinen Lebensmittelpunkt nicht nach Hamburg zu verlegen."

Trotz räumlicher Distanz entscheidet sich das Paar, im Herbst 2010 zu heiraten. Etwas, das scheinbar nach deutschem Gesetz nicht normal ist. Denn: Eheleute müssen nach Angaben der zuständigen Meldebehörden einen gemeinsamen Hauptwohnsitz haben - auf ihre Lebensumstände wird da keine Rücksicht genommen.

"Rückständig ist das", findet Dorit Denecke. "Im deutschen Gesetz geht man wohl immer noch davon aus, dass es lediglich einen Ernährer in einer Familie gibt, im Normalfall der Mann. Dass es Paare gibt, bei denen beide einen guten Job haben und ihn nicht einfach so hinschmeißen wollen, ist scheinbar nicht normal."

Besonders ärgerlich findet die Hamburgerin, dass auch ihre Steuergelder in Zukunft nach Nordrhein-Westfalen fließen werden. "Ich arbeite hier in der Hansestadt, ich fahre auf Hamburgs Straßen und nutze viele andere Angebote, die mir meine Heimatstadt bietet. Da wäre es nur fair, dass ich hier mein Geld bezahle." Das Ehepaar hätte sich sogar bereit erklärt, eine andere Steuerklasse zu wählen, aber das Meldegesetz ist dem übergeordnet. Auch eine Zweitwohnungssteuer muss die Airbus-Angestellte nicht bezahlen, solange sie den Hamburger Behörden einen festen Arbeitsplatz nachweisen kann.

Als politisch aktive und engagierte Frau findet es Dorit Denecke zudem unmöglich, dass es ihr trotz permanenten Aufenthalts in Hamburg nicht erlaubt sei, ein politisches Amt in der Hansestadt auszuüben. Sie ist eben offiziell keine Hamburgerin mehr. "Ich würde mich gerne mehr engagieren, aber ich könnte mich höchstens in den Marler Stadtrat wählen lassen - und was soll ich um Himmels Willen da?"

Solange ihr Mann sich nicht in Hamburg anmeldet, muss Dorit Denecke nach Auslegung der Behörden in jedem Fall die Stadt in Nordrhein-Westfalen als ihren Hauptwohnsitz angeben. "Später, wenn die Kinder groß sind, habe ich gar kein Problem damit, mich umzumelden", sagt Thomas Denecke und lacht. "Ich bin zwar in Nordrhein-Westfalen geboren, aber auf keinen Fall so lokalpatriotisch wie meine Frau."

Auf Anfrage des Abendblatts bei der Hamburger Innenbehörde reagiert man zunächst verwundert über die Annahme, man könne als Ehepaar keine getrennten Wohnsitze haben. In Ausnahmefällen sei das nämlich möglich. Die Innenbehörde: "Ob eine Ausnahmesituation besteht, bedarf einer Prüfung im Einzelfall durch die betreffende Meldebehörde." Zu dieser Prüfung waren im Fall Dorit Denecke bisher weder die Meldeämter in Hamburg noch in Nordrhein-Westfalen bereit.