Wie sehr ist Deutschland in den vergangenen Jahren zusammengewachsen? Das Abendblatt hat sich auf Spurensuche in Hamburg begeben.

Hamburg. Baden-Württemberg

1. Gregor Maihöfer, 49, Dehoga-Hauptgeschäftsführer, lebt seit neun Jahren in Hausbruch: Wahrscheinlich spricht man auch in zehn Jahren noch von "neuen" und "alten" Bundesländern. Natürlich gibt es Unterschiede, aber die gibt es auch zwischen Hamburg und meiner Heimat, aus der ich die schwäbischen Spezialitäten vermisse. In den Herzen wächst unser Land zusammen, das spürt man. Nie werde ich vergessen, wie wir mit ein paar Freunden, darunter auch ein Ostdeutscher, nach dem Mauerfall von Stuttgart nach Österreich gefahren sind. Der Mann hat sich so über seine neue Freiheit gefreut! Da habe ich erst gemerkt, dass wir dieses hohe Gut oft für zu selbstverständlich erachten.

Bayern

2. Maria Huber, 27, freie Journalistin, lebt seit einem Monat in Dulsberg: Der Wiedervereinigung habe ich persönlich das Beste überhaupt zu verdanken: meinen Freund Markus aus Weimar, den ich im vergangenen Jahr auf dem Oktoberfest kennengelernt habe. Einen Ost-West-Konflikt hat es zwischen uns noch nie gegeben. Klar, manchmal ziehe ich ihn mit seinem thüringischen Dialekt auf und er kontert mit einem Spruch über meine oberpfälzische Heimat. Aber über die DDR sprechen wir nie, mein Freund war erst zwei Jahre alt, als die Mauer fiel. Wir sind einfach nur Deutsche. Und Neu-Hamburger. Die Nähe zum Meer ist toll, das weltoffene Flair. Nur die Biergärten vermisse ich.

Berlin

3. Anke Jacobi, Ärztin, 45, lebt seit zwei Jahren in Nienstedten: Die Wiedervereinigung hat mir ein vereintes, wunderbares Berlin geschenkt. Dennoch bleiben 20 Jahre Zusammenwachsen unbestritten ein hartes Stück Arbeit. Mein schönstes Ost-West-Erlebnis hatte ich seltsamerweise in Vietnam. Dort habe ich mehrere Jahre gelebt und erfahren, dass die Einheimischen unglaublich viel über Deutschland wussten. Das hat mich beeindruckt und ist Folge des regen, sinnvollen Studentenaustausches mit der DDR. Auch an Hamburg mag ich das Kosmopolitische. Und als Berlinerin vermisse ich eigentlich nur die "Berliner Schnauze" und eine billige Currywurstbude.

Brandenburg

4. Thomas Ganswig, 36, Fachplaner für Elektro- und IT, wirkt seit neun Jahren in Eimsbüttel: Wie in Wittenberge habe ich auch in Hamburg die Elbe vor der Tür, viele Brandenburger leben hier, hier habe ich meine Frau Yvonne kennengelernt: Insofern vermisse ich aus meiner Heimat eigentlich nur meine Eltern. Meine Tochter Winona ist unterdessen eine schöne - meine schönste - Ost-West-Kooperation, denn sie ist Hamburgerin, während ihre Eltern aus dem Osten kommen. Insgesamt hat mir die Einheit nur Positives gebracht - beruflich wie privat -, wenngleich noch einiges im Argen liegt. Man denke nur an das Lohngefälle oder die Vorurteile in Teilen der Bevölkerung.

Bremen

5. Hannes Wellmann, 29, Redakteur, lebt seit vier Jahren in Eimsbüttel: Mein Arbeitsaufenthalt in Sachsen-Anhalt, bei dem nur wenige Ost-Vorurteile bestätigt wurden, war reich an Eindrücken und neuen Freundschaften. 20 Jahre Wiedervereinigung sind wohl dennoch weiter ein schwieriger, aber notwendiger Prozess. Doch das sollte es wert sein, in einem vereinten und freien Land zu leben. Hamburg ist da gutes Vorbild, weil keine andere Stadt auf so angenehme Art Weltoffenheit mit Lokalpatriotismus vereint. Außerdem liegt sie nur 100 Kilometer von der schönsten Stadt der Welt entfernt, aus der ich meine Freundin, das Weserstadion und echten Kohl und Pinkel vermisse.

Hamburg

6. Lotto King Karl, 43, Sänger und Moderator, lebt von Geburt an in Hamburg. Erst in Barmbek, jetzt in Winterhude: Hamburg ist meine Perle, aber ich kenn auch nix anderes. Gut, in Kiel war ich bei der Marine, in Hannover bei Radio ffn. Mein Herz schlägt für Hamburg, hier kenne ich mich aus, hier leben meine Freunde. Mit einigen bin ich kurz nach dem Mauerfall spontan nach Berlin gefahren. Die Stimmung war sensationell! Es ist die Aufgabe meiner Generation und der Älteren, dieses Glücksgefühl von damals weiterzugeben. Unterschiede gibt es zwischen Ost und West, aber auch zwischen Nord und Süd. Mir hat die Wiedervereinigung ein noch größeres Tourgebiet beschert!

Hessen

7. Corinna Lampadius, 39, Moderatorin, lebt seit zehn Jahren in Harvestehude: Ich komme zwar aus Wiesbaden, spreche aber auch fast akzentfrei Sächsisch! Mein Vater stammt nämlich aus Rathen in der Sächsischen Schweiz, wo ich natürlich schon war. Mich schockiert bloß, dass sich so viele Deutsche die Mauer zurückwünschen. Warum nur? Ich verstehe weder die Ostalgie, die glorifizierte DDR, noch viele Vorurteile der "Wessis". Entscheidend ist, dass man einander offen und herzlich begegnet - wie die übrigens gar nicht so unterkühlten Hamburger es tun. Die Stadt ist super, aber den Rheingau mit seinen Schlössern und Winzern vermisse ich schon. Einmal im Monat muss ich dahin.

Mecklenburg-Vorpommern

8. Christian Scholz, 29, Landschaftsbauer, lebt seit neun Jahren in Harburg: Hamburg hat mich freundlich und zuvorkommend empfangen, ich kann gar nicht anders, als die Stadt zu mögen. Meine Herkunft ist mir eigentlich nie negativ ausgelegt worden. Dafür spricht auch, dass mein westdeutscher Kollege einer meiner besten Freunde geworden ist und den Osten mittlerweile so sehr mag wie ich den Westen. Familie, Freunde und das Baden in einem der zehn Seen fehlen mir trotzdem. Als Kind habe ich die Wiedervereinigung nicht bewusst wahrgenommen, aber 20 Jahre später kann ich sagen: Sie hat mir ein sehr gutes Leben ermöglicht - mit Hamburg als meinem Zuhause.

Niedersachsen

9. Susanne Preiss, 43, Anti-Stress-Trainerin, lebt seit fünf Jahren in Blankenese: Mein Vater ist Leipziger, ist aber vor dem Mauerbau in den Westen gegangen. Meine Tante Ursel ist mit ihrem Mann und den beiden Kindern dort geblieben. Ich weiß noch, wie ich als Kind immer Schokolade für meine Cousins in die Carepakete gepackt habe. Die Familienzusammenführung 1989 war einer der emotionalsten Momente meines Lebens! Hamburg liebe ich, weil ich mich durch die Containerschiffe mit der Welt verbunden fühle. Aber ich vermisse das Steinhuder Meer und die Calenberger Mettwurst, die der Vater meiner besten Freundin Frauke Ludowig in meiner Heimat Wunstorf herstellt.

Nordrhein-Westfalen

10. Tom Buhrow, 52, "Mr. Tagesthemen" und Autor (mit Ehefrau Sabine Stamer "Mein Deutschland - Dein Deutschland"), lebt seit vier Jahren in Othmarschen: Sicher, es ist nicht alles perfekt gelaufen, aber alles in allem ist die Wiedervereinigung ein unglaublicher Erfolg. Für Hamburg, wo sich Großstadtflair mit behaglicher Lebensqualität mischt, steht Osteuropa wieder offen. Nie vergessen werde ich, der aus NRW Freunde, Kölsch und die Heimspiele des 1. FC Köln vermisst, den Besuch bei meinen Schwiegereltern in Helmstedt kurz nach dem Mauerfall. Das niedersächsische Grenzstädtchen platzte aus allen Nähten und die DDR-Grenzer durften endlich auch mal lächeln.

Rheinland-Pfalz

11. Paul Wolf, 66, Auktionator, lebt seit 16 Jahren in Öjendorf: Ich bin dankbar, dass ich bei dem historischen Moment des Mauerfalls dabei war - wenn auch nur via TV. Meine Mutter, die einst aus Schlesien geflüchtet war und deren Schwester und Bruder bei Halle an der Saale geblieben waren, hatte immer davon geträumt, dass das Land irgendwann wiedervereinigt wird. Erlebt hat sie es leider nicht mehr. Dass es Schwierigkeiten gibt, wenn sich Menschen nach 40 Jahren DDR an ein neues System gewöhnen müssen, ist doch klar. Aber wir sind auf dem richtigen Weg. Meine Heimat ist Hamburg, Mainz ist mir mittlerweile zu kleinstädtisch. Aber die Fastnacht dort ist das Größte!

Saarland

12. Christian Rach, 53, Koch, lebt seit 23 Jahren in Othmarschen: 20 Jahre Wiedervereinigung bewerte ich als das Beste in unserer Geschichte. Ich habe viele wunderbare Mitarbeiter aus den neuen Bundesländern. Was Hamburg angeht, erlebe ich es als progressiv mit konservativen Werten, als weltoffen und trotzdem provinziell - ein bisschen wie in meiner Heimat, wo man draußen sitzt, isst und trinkt, grillt und schwenkt und mit allen eng verbunden ist. Man hat eine funktionierende Nachbarschaftlichkeit. Persönlich habe ich durch die Wiedervereinigung gelernt, dass wir wieder stolz sein dürfen auf Deutschland, da wir es geschafft haben, friedlich ein so gewaltiges "Projekt" zu meistern.

Sachsen

13. Victor Eiser, 56, Wirt und Galerist, lebt seit 21 Jahren in Niendorf: Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte, als die Mauer fiel. Ich war nämlich mit meiner Familie ein halbes Jahr vorher ausgereist - nachdem ich dreieinhalb Jahre auf die Genehmigung gewartet hatte und dafür gekämpft hatte, aus der DDR herauszukommen. Im Westen habe ich bei null angefangen, habe auf dem Bau gearbeitet und als Trainer. Denn im Osten war ich Handballer bei BSG Motor Eisenach. Meine Heimat ist Hamburg, obwohl ich in Görlitz geboren und aufgewachsen bin. Eine Traumstadt, in der aber leider nur noch alte Menschen leben. "Blühende Landschaften" gibt es dort, aber keine Jobs.

Sachsen-Anhalt

14. Susanne Grosse, 31, Redakteurin, lebt seit drei Jahren in Hoheluft: Hamburg bedeutet für mich zelebriertes Großstadtleben, weshalb mir aus meiner Heimat nur die Nachricht fehlt, dass der 1. FC Magdeburg endlich aufsteigt. An die Wiedervereinigung erinnere ich mich gern, weil mir meine Mutter bei angenehmen Verwandtschaftsbesuchen in Niedersachsen das lang ersehnte weiße Barbie-Pferd gekauft hat. 20 Jahre später erscheint mir die Vereinigung als nicht enden wollende Herausforderung. Aber sie war richtig: Ich konnte Politik studieren und ohne Zensur arbeiten. Nebenbei erfüllte ich mir einen Kindheitstraum - Zelten im Krüger-Nationalpark in Südafrika.

Schleswig-Holstein

15. Jörg Kröger, 34, Informatiker, lebt seit 14 Jahren auf St. Pauli: Nach der Wende war ich zum Schüleraustausch in Bad Kleinen und mein ostdeutscher "Leihvater" hat mich mit einem BMW abgeholt. Dann fuhr er mit Tempo 180 Überholmanöver und es war ein schöner Moment, als wir wieder einscherten ... Genauso heilsam ist es, mit der Einheit wieder zusammenwachsen zu lassen, was gewaltsam getrennt wurde. Schöne Wochenenden mit meiner Freundin an der Müritz verbinde ich mit den Vorzügen der Einheit, die Brise und die Schiffe, die mich mit Föhr verbinden, machen Hamburg wiederum lebenswert. Wobei: Die Selbstverständlichkeit, mal längere Zeit zu schweigen - das fehlt.

Thüringen

16. Iris Rausch, 52, Bauingenieurin, lebt seit 21 Jahren in Heimfeld: Aus meiner Heimat vermisse ich die Berge und den Besuch beim Fleischer. Echte Thüringer Wurst ist eben unschlagbar, was nichts an der Tatsache ändert, das Hamburg meine Stadt ist. Meine Oma ist hier geboren und das Flair, das Grüne dieser Stadt, macht für mich den Reiz aus. Als größten Gewinn der Wiedervereinigung sehe ich, dass ich leben kann, wo ich will. Die Begegnungen mit dem anderen Teil Deutschlands direkt nach dem Mauerfall waren mit das Schönste, was ich bisher erlebt habe. Was den Prozess angeht: Da sind wir nach 20 Jahren wohl dem Jugendalter entwachsen und werden langsam vernünftig.