16.000 Menschen demonstrieren quer durch die Hamburger Innenstadt gegen die Einschnitte bei Sozialleistungen, Bildung und Kultur.

Hamburg. Was Martin Luther seiner Zeit konnte, konnten die Demonstranten auf dem Gänsemarkt schon lange. Gut, es waren keine 95 Thesen, die sie an die Tür der Finanzbehörde schlagen mussten, sondern nur zehn, und sie wurden auch nur aufgeklebt. Den Gewerkschaften, Sozialverbänden und Bürgerinitiativen ging es gestern ja aber auch nicht um das gesamte päpstliche Finanzsystem, sondern um die Sparpolitik des Senats.

Damit der Finanzsenator die Forderungen nicht ignorieren könne, so hieß es, gab es diese in Form der Thesenpapiere schriftlich: höhere Spitzensteuern, flächendeckende Mindestlöhne, Rücknahme der Kitagebühren-Erhöhung und der Studiengebühren, gesetzliche Krankenversicherung für alle ohne Zusatzbeiträge, Rücknahme der Rente mit 67 und eine Bundesratsinitiative für eine Vermögenssteuer gehörten dazu.

Das zu ignorieren wäre eh schwierig geworden - die Menschenkette der Demonstranten reichte quer durch die Innenstadt, von der HafenCity bis auf den Gänsemarkt. 16.000 Hamburger hatten sich laut Polizei unter dem Motto "Gerecht geht anders!" zusammengeschlossen, die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di sprach von 20.000 Teilnehmern.

"Hamburg ist nicht arm, Hamburg ist reich", sagte Ver.di-Landeschef Wolfgang Rose. "Der Reichtum muss nur endlich von oben nach unten umverteilt werden." Die Menschenkette sei deshalb symbolisch der Spur der Geldverschwendung in Hamburg gefolgt: von der Elbphilharmonie als Symbol für die falsche Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums, wo zu Beginn "Elphi-Millionen-Euro-Scheine" verbrannt wurden, bis zur Finanzbehörde, die dafür die Verantwortung trage.

Viele Streckenabschnitte wurden von einzelnen Interessensgruppen bevölkert. So sammelten sich die Schulzahnärzte am Hafen, auf der Kehrwiederbrücke demonstrierten die Mitstreiter des Landeselternausschusses Kindertagesbetreuung (LEA) für kostenlose Kita-Betreuung, und auf der Willy-Brandt-Straße stand die Grüne Jugend. "An uns zu sparen ist skandalös", sagte die Geschäftsführerin des Bundesverbands der Schulzahnärzte, Dr. Cornelia Wempe.

Jedes vierte Kind in Hamburg gehe nicht regelmäßig zum Zahnarzt, jedes fünfte habe ein erhöhtes Kariesrisiko - die Schulzahnärzte seien die Einzigen, die diese Kinder aufsuchten. Der Gewerkschaft der Polizei (GdP), die an der Deichstraße postiert war, ging es vor allem um eine Rücknahme der Weihnachtsgeldkürzung. "Damit verlieren wir alle fünf Prozent unseres Gehalts", sagte der Landesvorsitzende Uwe Koßel. Zudem befürchte man, durch weitere Einsparungen noch mehr Stellen einzubüßen.

Gegen drohende Schließungen setzten sich die Angestellten der Hamburger Bücherhallen auf der Bergstraße ein. "Wir sind die bestgenutzte Kultureinrichtung der Stadt", sagte Betriebsrätin Karin Werner. "Die ständigen Kürzungen nehmen wir nicht mehr hin." Nicht hinnehmen wollten auch die Angestellten der Stadtreinigung die Rente mit 67. Sie formierten sich auf dem Jungfernstieg, ausgestattet mit Rollatoren. Manche Berufsgruppen könnten ein so hohes Renteneintrittsalter einfach nicht leisten, so der Personalsratsvorsitzende Rainer Hahn. Die körperliche Belastung, bei jeder Wetterlage draußen zu sein, sei zu hoch.

Ab 17 Uhr wurde die Menschenkette zur Demo, Ver.di-Landeschef Rose sammelte die Protestierenden auf seinem Weg Richtung Gänsemarkt ein. Dort angekommen, griff er noch einmal den - allerdings nicht anwesenden - Finanzsenator Carsten Frigge (CDU) an, nannte ihn den "Schutzpatron der Reichen". Dieser müsse endlich einsehen, dass die Stadt ein Einnahmeproblem habe. Anstatt sich für eine Vermögens- und eine Finanztransaktionssteuer einzusetzen, nehme Frigge aber lieber Arbeiter und ihre Familien aus. "Die schwarz-grüne Regierung hat zugegeben, dass jeder neue Steuerprüfer eine Million Euro eintreiben würde", sagte Rose. "Dann sollen sie nicht sechs einstellen, sondern 200."