Die günstigste Rundfahrt durch Hamburg kostet gerade einmal 2,75 Euro. Erklärungen und Lebenshilfe im Linienbus sind inklusive.

Hamburg. Auf der Lombardsbrücke verlangsamt der Linienbus plötzlich das Tempo. Auf Wunsch eines Fahrgastes. Nein, der Herr mit dem bayerischen Akzent möchte nicht auf offener Straße aussteigen. Er will nur ein Foto machen. Von der Binnenalster und der sprudelnden Fontäne.

Für Busfahrer Murat Tarbasar ist das nichts Ungewöhnliches. Wenn er am Steuer der Linie 112 sitzt, wird er unfreiwillig zum Touristenführer . Am Wochenende seien mindestens 70 Prozent der Gäste Touristen. "Und die haben viele Fragen zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt", sagt der 36-Jährige. Sein Tipp Nummer eins an die Touristen: "Bleiben Sie bei mir sitzen und genießen Sie die Fahrt. Günstiger bekommen Sie keine Stadtrundfahrt."

Für 2,75 Euro fahren die Gäste auf der Strecke von der Haltestelle Braune Brücke in Hamm-Süd bis zum Museumshafen Övelgönne an touristischen Attraktionen wie Alster, Laeiszhalle, Reeperbahn , Landungsbrücken und Fischmarkt entlang. Die vergangenen acht Jahre ist Murat Tarbasar die 13,49 Kilometer lange Route schon Hunderte Male abgefahren. "Aber jedes Mal ist es anders. Und immer wieder wunderschön." Die 112 - das sei eben seine Lieblingsstrecke. "Vor allem an dem beleuchteten Hafen in den Abendstunden kann ich mich gar nicht sattsehen."

Ein Blick, der Peter und Dagmar Bomm aus Remscheid auch am Tag begeistert. "Toll, diese Aussicht", sagt die 49-Jährige, während der Bus gemächlich die Hafenstraße entlang rollt. "Mit Busfahrten bei uns zu Hause ist das nicht zu vergleichen."

Das Ehepaar ist zum ersten Mal in der Hansestadt. "In der 112 sind wir nur durch Zufall gelandet. Weil wir zum Elbstrand wollen", sagt Peter Bomm und tippt mit dem Finger auf ein Foto im Reiseführer. "Dass wir bei der Fahrt gleich Hamburgs Attraktionen zu Gesicht bekommen, ist fantastisch."

Es ist Sonntagvormittag. Die rund 30 Sitzplätze sind fast alle besetzt. Stadtpläne, Fotoapparate und viele neugierige, nach draußen blickende Augenpaare verraten, dass die meisten Fahrgäste nur zu Besuch sind. Einige kommen gerade vom Fischmarkt und amüsieren sich jetzt noch über die Witze von Aale-Dieter. Auf dem Schoß türmen sich ihre Einkäufe. Der Geruch von frischem Fisch vermischt sich mit dem Duft von Blumen. Ein kleiner Junge drückt sich am Fenster die Nase platt. "Guck mal, das Meer", sagt er mit aufgeregter Stimme und deutet mit seinem kleinen Zeigefinger Richtung Elbe. Die Mitfahrenden schmunzeln.

So wie Erika und Rudolf Eckhard aus Kassel, die mit ihren Kindern Claudia und Marco ihren ältesten Sohn Michael besuchen. "Man sieht so wahnsinnig viel von dieser Weltstadt auf der Strecke", sagt die dreifache Mutter, die abwechselnd nach rechts und links schaut.

Sohn Michael nimmt zwar regelmäßig in der 112 Platz, aber auch er genießt die Aussicht. "Am liebsten fahre ich nachts", sagt der 23-Jährige, "wenn alles beleuchtet ist." Da bekomme die Busfahrt schon fast eine romantische Note. Das findet offenbar auch ein junges Pärchen, das schräg hinter Familie Eckhardt sitzt. Händchenhaltend schmiegen sich die zwei Verliebten aneinander. Aus dem Fenster schauen sie allerdings nicht - sie haben nur Augen füreinander.

Murat Tarbasar registriert die Szenerie mit einem Lächeln im Rückspiegel. "Am Sonntag ist die 112 proppenvoll, aber die Stimmung ist immer friedlich." Bei seiner ersten Sonntagsfahrt vor acht Jahren mit der Linie 112, die jedes Jahr rund 2,8 Millionen Fahrgäste befördert, sei er schon erstaunt über den Trubel im Bus gewesen. "Ich dachte, ich träume, als am Fischmarkt Menschen bepackt mit riesigen Palmen, Hühnern und Tauben einstiegen. Das war wie ein fahrender Zoo", erinnert er sich. "So was habe ich vorher noch nicht erlebt."

Jetzt gehört es für ihn zum Busfahren dazu. Und das ist für Murat Tarbasar mehr, als ein Fahrzeug von A nach B zu bewegen. "Mir ist es wichtig, für meine Fahrgäste da zu sein", sagt der vierfache Familienvater mit dem freundlichen Lächeln. So wie für den älteren Herrn, der seit Jahren fast täglich vom Altonaer Bahnhof zum Museumshafen fährt. "Er schwärmt gern von den alten Zeiten, in denen es noch nicht so viel Verkehr und weniger Häuser an der Elbe gab." Seit zwei Wochen steht der grauhaarige Mann nicht mehr an der Haltestelle. Murat Tarbasar macht sich Sorgen. Dass er als Fahrer der 112 häufig als Stadtführer herhalten muss, stört ihn nicht. Im Gegenteil. "Ich helfe gern", sagt er. Sei es der Frau, die nach der besten Einkaufsmeile fragt oder ihrem verzweifelten Ehemann, dem er den großen Elektronikmarkt an der Mönckebergstraße als Alternative ans Herz legt. So einfach sei es manchmal, Menschen glücklich zu machen, sagt Murat Tarbasar und zuckt mit den Schultern.

Überhaupt ist der Mann mit den türkischen Wurzeln ein pragmatischer Typ, den nichts so schnell aus der Ruhe zu bringen scheint. Weder der dichte Stadtverkehr ("Autobahn fahren ist doch viel langweiliger") noch eine Panne mit dem Bus. "Ich hoffe nur immer, dass der Bus in Neumühlen liegen bleibt", sagt der Busfahrer und schmunzelt. Der Ort, an dem der Wandsbeker seine Pausen am liebsten verbringt. "Wenn mir dort der Wind um die Nase weht und ich die Augen schließe, kommt es mir vor, als könne ich das Meer riechen", schwärmt Tarbasar. "Es ist wie Urlaub für zwei Minuten." Klar, dass der Museumshafen zu seinen Top-Ten-Tipps für die Touristen zählt. Für die will er schließlich nur das Beste. Schon als Kind sei Busfahrer sein Traumberuf gewesen. "Und das ist er heute noch", sagt Murat Tarbasar. Bis zur Rente möchte er nichts anderes machen als hinterm Steuer zu sitzen. In der 112.