Innenrevision weist dem Jugendamt Hamburg-Mitte fünf Monate nach dem Methadontod der elfjährigen Chantal schwere Fehler nach.

Hamburg. Fünf Monate nach dem Methadontod der elfjährigen Chantal hat die Innenrevision der Finanzbehörde ihren Bericht vorgelegt. Sie kommt zu einem niederschmetternden Ergebnis für das zuständige Jugendamt Wilhelmsburg: Hätten die Mitarbeiter nach Vorschrift gearbeitet, wäre das Mädchen nie in der Familie als Pflegekind aufgenommen worden. Im Bericht heißt es: "Dem Jugendamt waren die Familienverhältnisse, die Drogenabhängigkeiten der Pflegeeltern, der Wohnungszustand, die Arbeitssituation (...) bekannt." Gleichzeitig hat der Sonderausschuss "Zum Tod des Mädchens Chantal" seine Arbeit aufgenommen.

Die Prüfer kommen in ihrem 72 Seiten langen Bericht, den die zuständige Finanzbehörde gestern im Internet veröffentlicht hat, zu einem klaren Ergebnis. Darin heißt es, dass es "nicht zum Pflegschaftsverhältnis" hätte kommen dürfen, wenn das Jugendamt das "Regelwerk" konsequent angewandt hätte. Damit stellen die Revisoren fest, dass das System für das Pflegefamilienwesen eigentlich ausreichend ist. Der Bericht, der wegen Datenschutzes an vielen Stellen geschwärzt ist, gleicht einem Protokoll des Versagens. Konkret heißt es: "Aufgrund (...) der bekannten schwierigen Lebensumstände der Pflegefamilie und zusätzlich der mängelbehafteten Eignungsprüfung und Betreuung hätte diese Pflegefamilie nach vorliegender Aktenlage keine Pflegekinder dauerhaft aufnehmen dürfen." Eine Überforderung der Pflegeeltern und eine Vernachlässigung der Pflegekinder seien bekannt gewesen.

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+++ Fall Chantal: Schwere Vorwürfe gegen das Jugendamt +++

Wie berichtet, war Chantal am 16. Januar dieses Jahres an einer Methadonvergiftung gestorben. Der Drogenersatzstoff stammte von ihren Pflegeeltern. Der Fall hatte bundesweit für Entsetzen gesorgt. Die damalige Jugendamtsleiterin und Mitte-Bezirksamtsleiter Markus Schreiber (SPD) mussten deshalb gehen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen fünf Mitarbeiter des Jugendamts sowie eine Sozialarbeiterin eines freien Trägers wegen des Verdachts der Verletzung der Fürsorgepflicht. Auch gegen die Pflegeeltern dauern die Ermittlungen an.

Die Verfasser des Revisionsberichts werfen den Verantwortlichen vor, wider besseres Wissens gehandelt zu haben. "Obwohl dem allgemeinen Sozialen Dienst die Lebensumstände der Pflegefamilie seit mindestens 2004 (...) bekannt waren, wurden diese Erkenntnisse (...) nicht für eine vollumfängliche Eignungsprüfung herangezogen." Die Verfasser bemängeln weiter, dass der Familie die Eignung als Pflegeeltern trotz allem bestätigt wurde.

+++ Fall Chantal - Jugendamt Wilhelmsburg hat versagt +++

Unterdessen kritisierte Christiane Blömeke, familienpolitische Sprecherin der GAL-Fraktion, gestern Nachmittag im Sonderausschuss Chantal, dass die Mitglieder des Sonderausschusses den Bericht der Innenrevision erst kurzfristig erhalten haben. Er war am Dienstagnachmittag, gut eine Stunde vor Beginn der Sitzung, im Internet veröffentlicht worden. "Es ist bei aller Zustimmung zur Transparenz befremdlich, dass die Öffentlichkeit vor uns informiert wurde. Wir hätten das Papier gern einen Tag früher erhalten." Es stellte sich aber heraus, dass die Ausschussmitglieder eine viel umfangreichere Version des Berichts erhalten. Die Regularien sehen dafür jedoch vor, dass dies wegen des Datenschutzes der Betroffenen lediglich in einer nicht öffentlichen Sitzung geschehen kann. Der Sonderausschuss zur Aufarbeitung des Falls Chantal ist bis Herbst 2013 terminiert.