Nun fordern alle Fraktionen höhere Spitzensteuersätze zur Sanierung des Haushaltes. Ole von Beust ist gegen Rückzug des Sozialstaats.

Hamburg. Als Bürgermeister Ole von Beust (CDU) um 15.25 Uhr zu seiner zweiten Regierungserklärung in dieser Legislaturperiode an das Rednerpult der Bürgerschaft trat, wirkte er angespannt. Als der Regierungschef nach 45 Minuten unter dem kräftigen, aber nicht enthusiastischen Beifall der Regierungsfraktionen auf seinen Platz auf der Senatsbank zurückgekehrt war, blieben viele Fragen offen.

Am konkretesten wurde von Beust in der Analyse der katastrophalen Finanzlage. Eindringlich plädierte der Regierungschef für einen Neuanfang als Folge der globalen Finanz- und der Euro-Krise. "Hamburg kann und wird sich den Herausforderungen des Neuanfangs nicht entziehen", sagte von Beust. Fachleute würden nicht weiterhelfen, weil sie bisweilen innerhalb weniger Wochen ihre Meinung änderten. Überzeugt zeigte sich von Beust jedoch davon, per Initiative im Bundesrat die Spitzensteuersätze anzuheben: "Wer mehr verdient, muss auch einen angemessenen Beitrag leisten."

+++ Senat kürzt Mitarbeitern das Weihnachtsgeld +++

Besonders präzise war der CDU-Politiker aber vor allem in dem, was die schwarz-grüne Koalition nicht machen wolle: kein Einstellungsstopp in der öffentlichen Verwaltung, keine Heraufsetzung des Pensionsalters für Polizeibeamte und keine betriebsbedingten Kündigungen im öffentlichen Dienst.

Auch weiteren Privatisierungen erteilte von Beust eine Absage. Weder Saga/GWG noch die Flughafen-Beteiligung oder Hamburg Wasser stünden zur Disposition. Als aus den Reihen der Opposition darauf hingewiesen wurde, was der Senat unter seiner Verantwortung schon alles "versilbert" hatte, entlud sich die Anspannung in einem Zornesgewitter. "Wer hat denn die HEW verkauft? Das waren Sie, die SPD. Statt dicke Backen zu machen, sollten Sie sich Ihrer Verantwortung stellen", rief von Beust Richtung Sozialdemokraten.

Allein im kommenden Jahr muss der Senat Einsparungen in Höhe von 510 Millionen Euro im Betriebshaushalt erwirtschaften. "Wir schaffen das mit einer gewaltigen Kraftanstrengung", so von Beust. Rund die Hälfte des Betrags sollen die Senatoren in ihren Behörden einsparen - bis zum Herbst sollen Vorschläge vorliegen.

Die andere Hälfte soll durch "Abbau von Doppelarbeit und durch Effizienzsteigerungen" innerhalb der Hamburger Verwaltung, aber auch zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein erbracht werden. Der Senat erwartet 50 Millionen Euro Einsparungen von den öffentlichen Unternehmen. Noch einmal rund 100 Millionen Euro soll die drastische Reduzierung des Weihnachtsgeldes für Beamte und öffentlich Beschäftigte (siehe Text unten) bringen.

Eine Angriffsfläche für die Opposition bot der Bürgermeister indes nicht: Ungewöhnlich deutlich für einen Christdemokraten plädierte von Beust für den Erhalt des Sozialstaates: "Viele, und ich habe auch dazugehört, waren dem Trugschluss erlegen, dass wirtschaftliches Wachstum automatisch die Zahl derer mindert, die staatliche Hilfen benötigen." Auch in Hamburg würden immer mehr Menschen in prekäre Verhältnisse geraten. "Diese Menschen brauchen Verlässlichkeit, und deshalb darf es keinen Rückzug geben", sagte von Beust. Auch GAL-Fraktionschef Jens Kerstan sprach von "wachsenden Aufgaben" des Staates und plädierte für höhere Steuern: "Starke Schultern müssen auch mehr tragen."

SPD-Fraktionschef Michael Neumann kritisierte folgerichtig keinen "Sozialabbau", sondern ging zum persönlichen Angriff über. Zur Äußerung des Bürgermeisters, die Stadt habe über ihre Verhältnisse gelebt, sagte Neumann: "Sie sitzen seit 1978 in der Bürgerschaft und tragen seitdem Verantwortung." Nicht die Bürger hätten über ihre Verhältnisse gelebt, sondern der CDU-geführte Senat. "Sie sind in wirtschaftlich guten Zeiten mit Luxusprojekten in die Schulden marschiert", so Neumann, der allerdings auch nicht abstritt, dass schon die Sozialdemokraten einen "ordentlichen Batzen" Schulden hinterlassen hatten - was Finanzsena-tor Carsten Frigge (CDU) zu offenherzigen Worten verleitete: "Alle Senate haben zu viel Geld ausgegeben."

Versöhnlicher wurde die Debatte jedoch nicht. Mit dem Verzicht auf Uni-Umzug und die Horner Galopprennbahn spreche der Bürgermeister "Selbstverständlichkeiten aus, die klar denkende Menschen schon lange erkannt haben", sagte Neumann. Und Worte wie "Effizienzsteigerungen in Behörden", die viele Millionen Euro einsparen sollen, seien nichts als "ungedeckte Schecks, denen mal wieder keine Taten folgen werden". SPD-Finanzexperte Peter Tschentscher attackierte Aussagen des Bürgermeisters, nach denen das Ausmaß der Finanzkrise erst durch die jüngsten Steuerschätzungen im Mai bekannt wurde. "Die waren offenbar nur für den Bürgermeister überraschend", sagte Tschentscher: "Wir haben schon lange gesagt, dass der Haushalt gegen die Wand fährt."

Wie die SPD begrüßte auch die Linke, dass die CDU die Spitzensteuersätze erhöhen will. Fraktionschefin Dora Heyenn kritisierte jedoch die Sparmaßnahmen: "Dadurch lassen sich die fehlenden Millionen Euro nicht aufbringen, sondern es treibt die soziale Spaltung der Stadt voran." Dazu CDU-Finanzexperte Thies Goldberg: "Frau Heyenn, Sie wollten am liebsten zwei Milliarden Euro neue Schulden im Betriebshaushalt verbrennen. Dass Sie sich bei diesem Thema heute nach vorne wagen, ist beinahe niedlich."

Gewerkschaften kritisierten die Sparpläne als Willkürund kündigten scharfe Proteste an. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) warfen Ole von Beust am Donnerstag einen Missbrauch des Beamtenrechts und Wortbruch vor.