Am S-Bahnhof Wilhelmsburg gibt es während der Sanierung keinen Aufzug. Gehbehinderte stehen vor enormen Hürden.

Harburg. Von der Brücke aus haben die Wilhelmsburger einen guten Blick auf die große Baustelle neben dem Bahnhof. Das dort entstehende Verwaltungsgebäude der Stadt Hamburg soll 2013 fertig gestellt sein - und solange müssen auch die S-Bahn-Fahrer mit einer Baustelle leben. Der Bahnhof wird erneuert, zurzeit ist der Haupteingang geschlossen. Die Gleise sind seit zweieinhalb Monaten nur noch über eine provisorische Brücke zu erreichen, einen Aufzug gibt es nicht.

Das regt Stefanie Petzold auf, die Wilhelmsburgerin hat mit ihrem fünfjährigen Sohn Joshua einen Arzttermin in Winterhude. 32 steile Stufen muss sie mit ihrem Kind auf dem Arm den Buggy hoch zerren. Es ist warm, das Gesicht der 35-Jährige färbt sich vor Anstrengung rot. "Das ist wirklich blöd. Oft helfen mir andere Leute hier, aber nicht immer packt jemand mit an." In dem Moment biegt von oben ein Mann um die Ecke und bietet seine Hilfe an.

Auch zum Bahnsteig führt nur eine steile Treppe hinunter. Ein Informationsblatt der Deutschen Bahn, das laminiert am Bauzaun hängt, weist auf die Alternative am Bahnhof Veddel hin. "Dort ist der Aufzug aber oft kaputt", sagt Stefanie Petzold, die mehrmals in der Woche die S-Bahn nutzt. Außerdem dauere es rund eine halbe Stunde, um mit dem Bus der Linie 13 die nächste Haltestelle zu erreichen, sagt Sonja Schröder, 29. Deshalb trägt auch sie jetzt ihren Kinderwagen die Treppe hoch, unterstützt von ihrem Bruder Sebastian Schröder. "Allein schaffe ich das nicht, die Stufen sind auch sehr steil." Er habe hier schon oft Leuten geholfen, sagt der 17-Jährige. "Nicht nur Mütter mit Kinderwagen haben große Probleme, auch ältere Damen mit Gehwagen oder schweren Einkaufstrolleys."

Ein Zug hält am Gleis, Menschen strömen über die Treppen. Junge Männer schultern ihre Fahrräder, andere tragen Kinderwagen oder stützen ältere Menschen. Ingrid Köllner geht mit ihrem dreijährigen Enkel Yves vorsichtig die Stufen hinab. Ein junger Mann hat sich kurzerhand den Buggy gegriffen und trägt ihn bis zur Straße - obwohl er es offensichtlich eilig hat. Die 52-Jährige aus St. Pauli hatte den Bahnhof komfortabler in Erinnerung. "Ich dachte, dass bei dem Umbau wenigstens die Fahrstühle bleiben."

Einen Aufzug bräuchte auch Karin Geserick dringend. "Ich habe Arthrose und brauche immer Hilfe", sagt die Wilhelmsburgerin. Ganz langsam steigt sie die Stufen herab, sie hat gewartet, bis keine Menschen mehr links und rechts an ihr vorbei eilen. Ihr Nachbar begleitet sie vom Gleis nach Hause, er trägt auch den zusammengefalteten Gehwagen der 54-Jährigen über die Treppen. Neulich sei sie gestolpert, erzählt Karin Geserick. Mit dem Bus will sie trotzdem nicht fahren. "Das ist sehr umständlich." Deshalb nimmt sie lieber in Kauf, dass sie, seit der Bahnhof umgebaut wird, für den Weg von der Straße zum Gleis manchmal zehn Minuten braucht.

Seit vielen Jahren wohnt Elisabeth Fittkau in der Nähe des Bahnhofs, jetzt steht die Rentnerin, die gerade eine Knieoperation hinter sich hat, vor der Treppe. "Im Moment ist es fürchterlich hier", sagt sie, umgreift ihren Gehstock und macht sich an den Aufstieg. Die 83-Jährige will in der Wohnung ihrer Tochter in Heimfeld die Blumen gießen. "Sonst bin ich morgens hin und abends zurück. Aber die vielen Stufen schaffe ich nicht an einem Tag, deshalb komme ich erst morgen zurück." Viele Leute nähmen den Bus zum Bahnhof Veddel. Doch das würde für sie einen höheren Fahrpreis bedeuten. Auf die Modernisierung der Empfangshalle und der Aufzüge folgt im kommenden Jahr der zweite Bauabschnitt. Anfang 2013 sollen die Bauarbeiten abgeschlossen sein.