Hamburg. Die 37-Jährige Bürgerpreiskandidatin ist Stadtteilmutter, ehrenamtliche Sekretärin, Projektgründerin. Was sie noch plant.

Wo nimmt die Frau bloß ihre Energie her? Wann hat sie neben vier Kindern und einem Job als Verkehrsüberwacherin auch noch Zeit für die vielen Ehrenämter? Das fragen sich viele Menschen, die Jenna Fahala kennen – und somit ist die 37-Jährige für den nunmehr 23. Bergedorfer Bürgerpreis nominiert, der am 21. September im Spiegelsaal des Rathauses verliehen wird. Gemeinsam können die Volksbank Bergedorf und die Bergedorfer Zeitung dem oder den Gewinnern insgesamt 6000 Euro überreichen.

In Neuallermöhe lebt Jenna Fahala mit ihrer Familie, wo sie sich seit 2017 als Stadtteilmutter engagiert: „Ich begleite Flüchtlinge zu Ämtern und Ärzten, übersetze Briefe und diene in den Schulen als Sprachmittler, damit die Eltern dort präsenter für ihre Kinder sein können.“ Dazu arbeitet sie ehrenamtlich als Sekretärin in ihrer afrikanischen Kirchengemeinde „Les Elús de Dieu“, die sich jeden Sonntag am Brookdeich 16 b trifft und bereits vor 30 Jahren in Hamburg gegründet wurde.

Bergedorfer Bürgerpreis: Integration ist das Ziel von Jenna Fahala

Mirjam Hartmann, die Integrationsbeauftragte des Bezirksamtes, ist von der Gemeinde angetan. Sie weiß, dass sich die Afrikaner nicht nur gegenseitig helfen, sondern auch Hausaufgabenhilfe anbieten oder zu Weihnachten Plätzchen für Bergedorfer Obdachlose backen: „Es gibt viel mehr bürgerschaftliches Engagement als offen sichtbar wird. Die machen das einfach, man hilft sich in der Community“, sagt Hartmann.

„Aber außerhalb von Kirche gibt es in Bergedorf keinen Treffpunkt für Afrikaner. Die leben alle sehr zurückgezogen, das ist schade. Dabei sind wir nach den Deutsch-Russen und den Türken immerhin die größte Gruppe von Einwanderern im Bezirk“, sagt Fahala, die gern Mitglied im Integrationsbeirat werden will, sobald dieser neu gegründet wird: „Da will ich mitmischen, damit da ein bisschen Farbe reinkommt“, meint sie schmunzelnd.

Treffpunkt im Spielhaus Blaue Welle: Bürgerpreis-Kandidatin Jenna Fahala mit ihren jüngsten Kindern, der sechsjährigen Faith und dem siebenjährigen Elyon.
Treffpunkt im Spielhaus Blaue Welle: Bürgerpreis-Kandidatin Jenna Fahala mit ihren jüngsten Kindern, der sechsjährigen Faith und dem siebenjährigen Elyon. © BGZ | strickstrock

Mit der Farbe war das so eine Sache, als ein Schmuggler sie als Achtjährige nach Deutschland brachte: „Das war ein Schock, auf einmal waren alle Menschen weiß.“ Das kannte sie aus Kinshasa natürlich nicht. Die Geschichte ist kunterbunt: Drei Kinder waren schon geboren, als der Vater den Kongo verließ, die ehemals belgische Kolonie. Da das Geld nur für ein Visum reichte, ging er zunächst allein nach Brüssel und arbeitete als Buchhalter. Zwar konnte er Französisch sprechen, aber er fühlte sich nicht wohl und fand schließlich einen Job als Warenannahmekontrolleur im norddeutschen Plön. Als die Familie nachkommen wollte, wurde sie zunächst in ein Lübecker Asylbewerberheim gebracht.

Ihre Tante verbrannte beim Brandanschlag 1996 in Lübeck

Dort kamen in der Nacht auf den 18. Januar 1996 nach einem Brandanschlag zehn Menschen ums Leben. „Dabei ist auch meine Tante mit fünf Kindern verstorben“, erzählt Jenna Fahala. Als die Stadt das Heim auflöste, wurde ihre Familie endlich zusammengeführt: In Plön kamen zwei weitere Geschwister auf die Welt. „Wir waren dort die einzigen Schwarzen und fühlten uns beobachtet. Wir waren exotisch, wurden ständig gehänselt und bepöbelt“, erinnert sie sich – und war froh, als ihre Mutter lieber in eine größere Stadt ziehen wollte.

In Kiel schließlich machte Jenna ihren Hauptschulabschluss, bevor sie bei Schuh Kay in Hamburg eine Lehre zur Einzelhandelskauffrau absolvierte. „Ich hatte sogar die Note eins und hab viel gelernt, obwohl ich mit 20 schon meine erste Tochter geboren hatte“, erzählt sie. Und von dem großen Zufall ihrer Liebe: „Meinen Mann habe ich in der Wandelhalle am Hauptbahnhof bei McDonald’s kennengelernt. Und wir sind tatsächlich seit 23 Jahren glücklich.“

Projekt „Ohema together“ für Familien mit afrikanischen Wurzeln

Der Vater von inzwischen vier Kindern (17, 12, 7 und 6 Jahre) arbeitet als Kommissionierer bei H&M. Im vergangenen Oktober besuchten sie seine Heimat, den Togo, eine ehemals deutsche Kolonie: „Ich war das erste Mal wieder in Afrika. Es war toll, und wir konnten auf dem Markt Deutsch sprechen“, erzählt die 37-Jährige: „Alle haben sofort gemerkt, dass ich aus Europa komme. Weil ich so hektisch sei.“

Wuselig ist es irgendwie immer, weil es so viel zu tun gibt: In Bergedorfs AG Migration stellte sie jüngst ihr 2019 gegründetes Projekt in Neuallermöhe vor: Das „Ohema together“ bietet Familienaktivitäten für families of color – jeden Freitag, etwa 17.30 bis 19 Uhr im Spielhaus Blaue Welle am Wilhelm-Osterhold-Stieg 23. „Das mache ich zusammen mit meiner Freundin, die auch vier Kinder hat“, sagt Jenna und freut sich stets auf Linda Osei-Bonsu. Die alleinerziehende Mutter ist gelernte Krankenschwester und arbeitet heute als Platzwartin am Sportplatz 2000. Mit zehn Jahren kam sie aus Ghana nach Deutschland: „In Ghana heißt Ohema Königin“, erklärt die 42-Jährige.

Jenna Fahala gründete 2019 mit ihrer Freundin Linda Osei-Bonsu den Freitagstreff für afrikanische Familien in Neuallermöhe: „Dafür wollen wir keinen Verein gründen, sondern einfach nur Hilfe geben, wo sie gebraucht wird.“
Jenna Fahala gründete 2019 mit ihrer Freundin Linda Osei-Bonsu den Freitagstreff für afrikanische Familien in Neuallermöhe: „Dafür wollen wir keinen Verein gründen, sondern einfach nur Hilfe geben, wo sie gebraucht wird.“ © BGZ | strickstrock

Bis zu zwölf Mütter kommen wöchentlich mit ihrem Nachwuchs vorbei, spielen traditionelle Spiele, tauschen sich aus. „Die sind noch nicht so integriert, haben sich mit dem deutschen Lebensstil noch nicht auseinandergesetzt“, meint Linda: „Bei uns erzieht ein ganzes Dort die Kinder. Die Mütter geben ihnen nur Essen und Kleidung. Das ist ihre Art, Liebe zu zeigen“, sagt die Frau, die sich gerade zusätzlich zur Kindergärtnerin ausbilden lässt mit dem Schwerpunkt Heilerziehung.

Dass man aber auch aktiv werden kann, zum Spielplatz gehen, Osterfeuer und Laternelauf mitmachen kann, lernen sie bei „Ohema together“. „Und natürlich bringen die Mütter auch Briefe von den Behörden mit, die wir ihnen übersetzen“, ergänzt Jenna Fahala. Zuletzt hatte sie beim Bezirksamt Fördermittel beantragt, um nach Corona eine Hausaufgabenhilfe für Kinder mit afrikanischen Wurzeln anbieten zu können. Jetzt steht das nächste Projekt in den Startlöchern: „Wir suchen Geld für ein Anti-Aggressionstraining. Denn wenn unsere Jungs in der Schule oder anderswo das N-Wort hören, wird erwartet, dass sie ruhig bleiben. Wo aber können sie ihre Wut herauslassen?“

„Deine Haare sehen aus wie verbrannte Nudeln“

Als die Kinder noch klein waren, was das kein Problem: „Meine Tochter ist in der zweiten Klasse zu Fasching als Pipi Langstrumpf gegangen, zusammen mit ihrer besten Freundin. Die hatte orange Punkte im weißen Gesicht, wir mussten einen schwarzen Kajal für die Sommersprossen nehmen“, erzählt sie grinsend und zeigt ein süßes Foto. Aber seit der vierten Klasse wird der Rassismus dann doch wahrgenommen, wenn es etwa heißt: „Deine Haare sehen aus wie verbrannte Nudeln.“

So entstehe Aggression, gebe es einen Eintrag im Zeugnis, folgten schlechte Noten. „Wenn man sich immer schuldig fühlt, ist das wie eine Spirale, die irgendwann in Kriminalität enden kann, wenn man sich nicht zugehörig fühlt“, meint die vierfache Mutter: „Ich will unsere schwarzen Kinder stark und selbstbewusst machen. Sie sind hier geboren und gehören hier hin“, betont Jenna Fahala, die „diese Kette unterbrechen will, für die nächste Generation“.

Dass sie selbst stark ist, hat sie allein mit dem Jobwechsel bewiesen: Von der Schuhverkäuferin wechselte sie zur kaufmännischen Assistentin mit den Fremdsprachen Englisch und Französisch. Inzwischen aber ist sie im Außendienst der Hamburger Verwaltung, arbeitet beim Landesbetrieb Verkehr im Parkraummanagement: „Wenn ich von blöden Leuten als ‘Knöllchen-Nazi’ beschimpft werde, fühle ich mich richtig integriert. Denn wir werden eigentlich alle gehasst, ab schwarz oder weiß“, meint die Bürgerpreis-Kandidatin.

Und doch kann sie sich einen Innendienst vorstellen, bewirbt sich etwa im Hamburger Welcome-Center an der Süderstraße: „Da bekäme ich sogar noch Geld dafür, was ich jetzt ehrenamtlich mache.“ Und wenn das nicht klappt? „Die TSG sucht gerade ehrenamtliche Betreuer als Migrationsbeauftragte für Bergedorfs Flüchtlingsunterkünfte. So ein Minijob würde mich auch noch interessieren.“