Hamburg. Die Szene erinnert an einen Freistoß beim Fußball: Wie eine Art Mauer haben sich an diesem Vormittag auch die Fahrkartenkontrolleure am Ausgang der S-Bahn am Jungfernstieg aufgebaut, bedacht darauf niemand durchschlüpfen zu lassen. Sie lassen sich die Tickets zeigen, Abokarten, Zeitkarten, auch einmal einen Ausweis dazu. Schnell, freundlich, professionell . Dann kommt ein Mann mittleren Altes die Treppe vom Bahnsteig hoch. Er trägt schmutzige Jeans, einen Zopf und hat einen kleinen Hund dabei. „Fahrkarte? Er zuckt mit der Schulter. „Nur zum Einkaufen“ sei er hier, sagt er mit starkem, osteuropäischen Akzent. Einen Ausweis will er nicht zeigen. „Okay, der schaltet jetzt auf stur“, sagt einer der Prüfer. Eigentlich ist es nun eine Alltagsituation für sie. Sie können zwar nicht auf dem Ausweis bestehen, das darf nur die Polizei. Aber man habe einen „zivilrechtlichen Anspruch“ auf Bezahlung und dürfe den mutmaßlichen Schwarzfahrer zunächst festhalten, bis die Bahnpolizei dazu kommt.
Auf rund 20 Millionen Euro Einnahmeverlust schätzt der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) die Folgen des Schwarzfahrens in den Bussen und Bahnen in der Hansestadt. Die acht angeschlossenen Verkehrsbetriebe reagieren seit einigen Jahren daher mit verstärkten Kontrollen und neuen Prüfkonzepten. Der Höhepunkt dieser Aktionen war am Montag: Nach dem Vorbild der Blitz-Marathons der Polizei hatte der HVV seine erste Großkontrolle organisiert. 150 Kontrolleure waren von sechs bis 18 Uhr in den HVV-Fahrzeugen unterwegs. Wie am Jungfernstieg gab es zudem an etlichen Bahnhöfen zusätzliche Kontrollen an den Ausgängen der Bahnsteige. Ein „Prüf-Marathon“ mit Ansage: Schon vorab hatte der HVV diese erste Großkontrolle in Hamburg bekannt gegeben. Aufmerksamkeit und Abschreckung zugleich waren dabei das Ziel. „Wir wollen unseren ehrlichen Fahrgästen auch die Notwendigkeit der Kontrollen verdeutlichen“, sagte HVV-Geschäftsführer Lutz Aigner. Tatsächlich zeigte die Ankündigung Wirkung: 15.715 Fahrgäste wurde überprüft, 346 hatten keine gültige Fahrkarte dabei. Das entspricht einer Quote von 2,2 Prozent. Wobei es durchaus Unterschiede gab: Am U-Bahnhof Eppendorfer Baum hatten 6,5 Prozent der Fahrgäste kein Ticket, am Bus-Bahnhof Harburg waren es nur 0,8 Prozent.
Normalerweise beträgt die Quote im HVV knapp drei Prozent und liegt damit im bundesdeutschen Durchschnitt. Das war allerdings nicht immer so. Noch vor wenigen Jahren hatte dieser Anteil der Fahrgäste ohne Fahrausweis nach HVV-Angaben mehr als drei Prozent betragen, in den Bussen sogar gut fünf Prozent, in der S-Bahn etwa vier Prozent. Der HVV reagierte laut Aigner mit geänderten Konzepten. Auf eine Formel gebracht: Die insgesamt rund 350 im HVV beschäftigten Kontrolleure arbeiten heute deutlich flexibler. Einsatzgruppen wechseln häufiger als früher ihren Standort.
Das ist unter anderem eine Reaktion auf soziale Netzwerke wie Facebook, über die schnell herum ist, wo gerade geprüft wird. Die hohe Schwarzfahrerquote in den Bussen ging der HVV mit einem anderen Konzept an: Seit 2012 müssen Fahrgäste auf den meisten Linien vorne einsteigen und das Ticket vorzeigen. Eine Maßnahme, die die Verluste durch Schwarzfahren um jährlich rund zehn Millionen Euro gesenkt habe. Und eine Maßnahme, die in Zukunft noch ausgeweitet werden soll. So sollen von August an Kontrolleure in Zivil in den Bussen mitfahren und gezielt Fahrgäste überprüfen, die dennoch hinten einsteigen.
Eine neue Technik im Kampf gegen das Schwarzfahren setzt der HVV seit ein paar Tagen ein: Weil in jüngerer Zeit immer häufiger gefälschte Fahrkarten aufgefallen waren, gibt es nun ein neues Papier für die Tickets. Mit einer kleinen UV-Lampe können die Prüfer diese Fahrscheine durchleuchten und ein Wasserzeichen erkennen. Und: Zum 1. August wird das Schwarzfahren in Hamburg teurer, dann kostet das „erhöhte Beförderungsentgelt“ nicht mehr 40, sondern 60 Euro.
Dieses schärfere Vorgehen findet allerdings nicht nur Zustimmung. Scharfe Kritik an den Kontrollen übte am Montag die Bürgerschaftsfraktion Die Linke: „Kaum jemand fährt einfach so aus Spaß schwarz. Gerade für Menschen mit wenig Einkommen sind die ständig steigenden Fahrpreise kaum noch bezahlen“, sagte Linke-Politikerin Heike Sudmann. Statt Großkontrollen zu organisieren, sei es wichtiger, den HVV preisgünstiger und für Menschen mit wenig Einkommen kostenlos zu machen.
Allerdings ist der HVV auch mit Kontrollen kein Rendite-Unternehmen, jährlich muss die Stadt das Verbundsystem mit rund 300 Millionen Euro subventionieren. Und: Schwarzfahren ist offensichtlich kein soziales Problem. Laut HVV-Chef Aigner gibt es in Hamburg keine besonders auffälligen Stadtteile mit erhöhten Aufkommen. Vielmehr habe man festgestellt, dass auch dort gern mal auf den Ticketkauf verzichtet wird, wo man es früher nicht so vermutet habe. Aigner: „Auch deshalb haben wir die Kontrollen ja ausgeweitet.“
Die Quoten im Einzelnen
U Lohmühlenstraße: 2,2 Prozent
S Stadthausbrücke: 1,5 Prozent
U/S Jungfernstieg 2,2 Prozent
S/ZOB Bergedorf: 3,1 Prozent
ZOB Harburg: 0,8 Prozent
A/ZOB Elmshorn: 0,7 Prozent
U Eppendorfer Baum: 6,5 Prozent
S Othmarschen: 4,8 Prozent
Uetersen Ostbahnhof: 0,0 Prozent
Treffpunkt Buchholz: 0,0 Prozent
Buslinien 3, 12, 15, 8810: 2,3 Prozent
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