Es ist noch ein Jahr Zeit bis zur nächsten Bürgerschaftswahl. Die jährliche Umfrage der Meinungsforscher von Gess im Auftrag des Abendblatts ergab zwar Verluste für die SPD, die aber dennoch weiter alleine regieren könnte. Wie aber sieht es in den einzelnen Politikbereichen aus? Und hat der Senat seine Wahlversprechen gehalten? Ein „Realitäts-Check“ von Sascha Balasko, Franziska Coesfeld, Andreas Dey und Peter Ulrich Meyer mit einer Grafik von Julian Rentzsch

Ein Jahr vor der Bürgerschaftswahl ist die politische Stimmung in der Stadt eindeutig. Wenn am Sonntag gewählt würde, käme die allein regierende SPD auf 48 Prozent der Stimmen und könnte ihre absolute Mehrheit halten, die sie 2011 mit 48,4 Prozent errungen hatte. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gess im Auftrag des Abendblatts.

Die CDU käme danach auf 24 Prozent und könnte sich leicht gegenüber 2011 verbessern, als sie bei 21,9 Prozent landete. Nahezu unverändert sind die Sympathien für die Grünen, die elf Prozent der Befragten wählen würden (2011: 11,2 Prozent). Nach dem Rauswurf aus dem Bundestag droht der FDP in der Bürgerschaft das gleiche Schicksal: Die Liberalen sacken von 6,7 auf drei Prozent ab. Die Linken schneiden besser ab als 2011 mit 6,4 Prozent und kommen jetzt auf acht Prozent.

Bemerkenswert ist, dass sich ein Jahr vor der Wahlentscheidung offensichtlich schon viele Menschen festgelegt haben. 78 Prozent der Befragten gaben ihre Wahlabsicht an, nur 14 Prozent bezeichneten sich als noch unentschlossen. Lediglich zwei Prozent würden nicht wählen, der Rest machte keine Angabe. Allerdings: Vor drei Jahren hatte die Wahlbeteiligung nur bei 57,3 Prozent gelegen.

Die starke Stellung der SPD ist nicht zuletzt auf die hohe Akzeptanz zurückzuführen, die Bürgermeister Olaf Scholz genießt. Der Sozialdemokrat kann den direkten Vergleich mit seinem mutmaßlichem Herausforderer von der CDU, Bürgerschafts-Fraktionschef Dietrich Wersich, klar für sich entscheiden. Für Scholz votierten 66 Prozent der Befragten, für Wersich lediglich 13 Prozent. Für keinen von beiden mochten sich 15 Prozent aussprechen.

Bei SPD-Wählern kommt der Bürgermeister auf eine ungewöhnlich hohe Zustimmung von 95 Prozent. Für Scholz sprechen sich aber auch die Anhänger von Grünen, FDP und Linken mit deutlicher Mehrheit aus. Nur bei den CDU-Wählern liegt Wersich mit 54 zu 28 Prozent vorn. Bei den Männern kommt der CDU-Politiker mit 15 Prozent geringfügig besser an als bei den Frauen, von denen nur elf Prozent ihm ihre Stimme geben würden.

Dafür, dass es derzeit keine Wechselstimmung in Hamburg gibt, spricht auch eine andere Zahl. 72 Prozent der Befragten bewerten die Arbeit des Senats mit gut (17 Prozent) oder überwiegend gut (55 Prozent). Diese Quote hat sich seit der Wahl 2011 kaum verändert. Dass 86 Prozent der SPD-Anhänger mit der Arbeit der SPD-geführten Landesregierung zufrieden sind, liegt nahe. Aber auch bei den Anhängern des Oppositionslagers überwiegt die Zustimmung. So sind 64 Prozent der Befragten, die bei der CDU ihr Kreuz machen würden, mit den Leistungen des Senats zufrieden oder sogar sehr zufrieden. Deutlich höher ist die positive Bewertung mit 82 Prozent bei FDP-Wählern, während die Zustimmung im Grünen-Spektrum bei 63 Prozent liegt. Die größte Distanz gibt es im Lager der Linken, wo nur 46 Prozent mit der Arbeit des Senats zufrieden sind.

Durchaus gemischt fällt die Bilanz des SPD-Senats in den einzelnen Politikfeldern aus. Von den Befragten wird die Situation des öffentlichen Personennahverkehrs in der Stadt am höchsten bewertet: 80 Prozent sind mit den Angeboten von Bussen und Bahnen zufrieden. Nur vier Prozent sind völlig unzufrieden, elf Prozent immerhin noch überwiegend unzufrieden. Deutlich positiv werden auch die Leistungen des Senats in der Wirtschafts- und Kulturpolitik bewertet.

Die zum Teil heftige Kritik am Umgang des Senats mit den Flüchtlingen der Lampedusa-Gruppe, mit den Problemen rund um die Rote Flora und die Esso-Häuser auf St.Pauli sowie den Gefahrengebieten hat der SPD politisch offensichtlich nicht geschadet. Eine knappe Mehrheit von 53 Prozent der Befragten ist mit dem Kurs des Senats in der inneren Sicherheit zufrieden, 39 Prozent lehnen ihn ab. Zu den Schwachpunkten der Senatspolitik zählt laut Umfrage der Zustand der Straßen, mit dem eine Mehrheit von 55 Prozent unzufrieden ist.

Auch der gesamte Bildungsbereich stößt auf Kritik: Mit der Schulpolitik des Senats sind nur 28 Prozent der Befragten zufrieden. Überwiegend oder völlig unzufrieden sind hingegen 44 Prozent. Geringfügig besser sieht es in der Hochschulpolitik mit 29 Prozent Zustimmung und im Bereich Kita mit 36 Prozent aus. Aber der Anteil derjenigen, die sich von diesen Bereichen nicht betroffen fühlen, ist mit 22 Prozent (Schule), 28 Prozent (Kita) und 31 Prozent (Wissenschaft) relativ hoch.

Parallel zur Meinungsumfrage stellt das Abendblatt Olaf Scholz und seinen Senat einmal im Jahr auf den Prüfstand. Der SPD-Politiker hatte selbst im Bürgerschaftswahlkampf immer wieder erklärt, er wolle sich im Falle seiner Wahl zum Bürgermeister an seinen Worten messen lassen. „Was ich versprochen habe, das halte ich. Was ich nicht versprochen habe, habe ich nicht versprochen“, erklärte er ein ums andere Mal recht markig. Selten hat ein Politiker die Wähler eindringlicher zur Überprüfung seiner Arbeit und die seiner Mitstreiter eingeladen als Scholz.

Den Anlass für den „Realitäts-Check“ des Abendblatts hat also Olaf Scholz selbst geliefert. Es gilt das gesprochene und geschriebene Wort. Gesprochen vom Ersten Bürgermeister in seiner Regierungserklärung am 23.März 2011, geschrieben im Arbeitsprogramm des SPD-Senats vom 10.Mai 2011. Versprechen aus elf Politikbereichen haben wir ausgewählt – von der festen Zusage, jährlich 6000 zusätzliche Wohnungen zu schaffen, über die Ankündigung, das modernste Bussystem Deutschlands zu installieren und den Haushalt zu konsolidieren, bis hin zu dem Anspruch, dass jeder Jugendliche einen Schulabschluss machen soll.

Wir haben die Versprechen danach ausgewählt, ob sie eine gewisse politische Bedeutung haben und ob es messbare Kriterien gibt, anhand derer sie überprüft werden können. Eine Ausnahme bildet die Ankündigung von Scholz, ordentlich regieren zu wollen – diesem Anspruch hatte er im Wahlkampf eine so zentrale Bedeutung gegeben, dass auch ohne messbare Kriterien eine Wertung vorgenommen wird. Jetzt – ein Jahr vor der Bürgerschaftswahl – fragen wir zum vorletzten Mal danach, ob oder wie weit die politischen Versprechen bereits umgesetzt sind.

Selbstverständlich beschäftigte sich der Senat mit sehr viel mehr Themen, als auf einer Doppelseite behandelt werden können. Fast alle großen Problemfälle der Landespolitik blieben auf der Agenda: Nach wie vor gibt es keine Gewissheit in der wichtigen Frage der Elbvertiefung. Immerhin hat das Bundesverwaltungsgericht eine Entscheidung für den Sommer in Aussicht gestellt. Auch das mehr als 400 Millionen Euro teure Engagement der Stadt bei der Traditionsreederei Hapag-Lloyd ist noch nicht von Erfolg gekrönt. Vom Dauer-Krisenfall HSH Nordbank ganz zu schweigen. Nur beim Thema Elbphilharmonie ist eine gewisse Entspannung eingetreten, weil die mit dem Baukonzern Hochtief vereinbarten Terminpläne nun eingehalten werden.

In der Montagausgabe des Abendblatts werden wir die Berichterstattung über die große Meinungsumfrage fortsetzen. Dann geht es unter anderem um die Volksinitiative zur Schulzeitverlängerung am Gymnasium.