Als Jugendlicher begann Herbert Oetting 1963 auf Steinwerder, kämpfte dann für die Jobs der Kollegen - nun hofft er auf die Zukunft mit dem neuen Eigentümer.

Hamburg. Die Furchen in seinem Gesicht sind tief. Die Augen blicken müde. Die Hände gestikulieren unruhig. Man sieht Herbert Oetting an, dass er keine einfachen Monate hinter sich hat. Die vielen nächtlichen Krisensitzungen, die Diskussionen mit den Kollegen, die Verhandlungen über den Verkauf der Hamburger Traditionswerft Blohm + Voss an die Araber von Abu Dhabi Mar (ADM) haben Spuren hinterlassen. "Die Zeit hat mich schon mitgenommen. Diese Probleme streift man nicht einfach im Betrieb ab, nimmt sie mit nach Hause", sagt Oetting. Der 62-Jährige hat als Betriebsratschef die Interessen der rund 1700 Beschäftigten bei dem Poker um den Schiffbaubetrieb an der Elbe vertreten. Dabei ging es ihm nicht nur um die Arbeitsplätze in seiner Heimatstadt. Denn Blohm + Voss ist für Oetting mehr als ein Arbeitgeber. Seit 47 Jahren arbeitet er auf Steinwerder. Es ging um seine Werft.

Rückblende: Im Frühjahr 1963 trifft der 16-jährige Oetting einen Nachbarn seiner Eltern, die in Eppendorf ein kleines Lebensmittelgeschäft führen. Der Mann arbeitet in der Buchhaltung von Blohm + Voss und nimmt den Jungen mit auf die Werft, damals eine von 17 in der Stadt. "Ich habe mich im technischen Büro umgesehen, danach eine Bewerbung geschrieben", erzählt er. Es bleibt seine einzige. Denn schon wenige Tage später bekommt er eine Zusage.

Oetting wird technischer Zeichner und fühlt sich von Anfang an wohl. "Ich wollte auf eine Werft, weil mich der Schiffbau immer fasziniert hat." Schon früh lernt er das typische Auf und Ab im Schiffbau kennen. Größere Aufträge bleiben zunächst aus, dann herrscht Aufbruchstimmung, als die Hamburger Reederei Bruns vier moderne Kühlschiffe bestellt. Der erste Frachter, den er mit konstruiert, heißt "Brunshausen". Er steht noch heute als Modell in seinem Büro.

Doch die Technik allein bestimmt nicht die Zukunft des jungen Zeichners auf der Werft. Mit 20 Jahren tritt er in die IG Metall ein und kurz darauf überzeugt ihn ein Vertrauensmann, für den Betriebsrat zu kandidieren. "Wenn du etwas erreichen willst, musst du dich mit anderen solidarisieren", sagt er zu ihm. Oetting lässt sich zwei Jahre später zur Wahl aufstellen und ahnt noch nicht, wie diese Entscheidung sein Leben prägen wird. 1972 zieht er mit 26 anderen Kollegen in den Betriebsrat ein und wird für die Arbeit freigestellt - bis heute.

Als Vertreter der Belegschaft muss er in den folgenden Jahren immer wieder gegen den Abbau von Arbeitsplätzen kämpfen. So steht er im März 1996 mit 2000 Gleichgesinnten auf dem Tor des Trockendocks Elbe 17 gegenüber den Landungsbrücken. Rote Fahnen werden geschwenkt, Trillerpfeifen ertönen und über der Dockwand prangt ein großes Poster mit dem Wort "Protest". Vor allem die Reparatur mit 1250 der damals knapp 5000 Stellen steht zur Disposition. "Schließlich mussten 700 Beschäftigte gehen, aber es hätten noch deutlich mehr werden können", erinnert sich Oetting.

Auch einen ganz persönlichen Kampf muss er ausfechten. Ein Jahr lang, von 2006 bis 2007, bringt er wegen einer schweren Infektion zu Hause und in Krankenhäusern zu. "Was mir am meisten wehtat, war aber die Tatsache, dass ich meinen Kollegen nicht helfen konnte", sagt der gerade mit 80 Prozent der Stimmen wiedergewählte Betriebsrat. Hilflos muss er während seiner langen Krankheit mit ansehen, wie erneut rund 200 Stellen wegfallen.

Denn aufhalten können auch die Kompromisse der Belegschaften in Hamburg und an anderen deutschen Standorten das Werftensterben seit Beginn der 1980er-Jahre nicht. Der Schiffbau hierzulande führt trotz seiner zunächst führenden Stellung bei den Containerfrachtern einen aussichtlosen Kampf gegen die hohen Subventionen und niedrigen Löhne in Asien, der nicht zu gewinnen ist. Zunächst erobern die Japaner die Weltspitze, später die Koreaner, deren Großwerften heute über die gleiche Kapazität verfügen wie alle deutschen Betriebe zusammen. Und jetzt greifen die Chinesen an.

Sechs deutsche Werften sind derzeit in der Insolvenz. In Wismar und Warnemünde bangen die Belegschaften um die Finanzierung eines rettenden Tankerauftrags und auch Deutschlands älteste Werft, die 1635 gegründete Sietas in Neuenfelde, schaffte die Wende nur mit neuer Führung und neuem Konzept.

Nun verlor auch der Industriekonzern ThyssenKrupp - trotz der Übernahme der Kieler HDW und des Aufbaus der Werftenholding ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) - die Lust am Schiffbau. Mit dem Verkauf des größten Teils der Nordseewerke in Emden, dem Überwassergeschäft von HDW und Blohm + Voss hat sich der Düsseldorfer Stahlkonzern jetzt weitgehend aus dem zivilen Schiffbau verabschiedet, setzt nur noch auf die Marine. Doch auch dort konnte in den vergangenen elf Jahren nicht eine Korvette oder Fregatte exportiert werden. Oetting macht sich nichts vor: "In zwei bis drei Jahren wird es wohl nur noch die Hälfte der Arbeitsplätze im Schiffbau geben." Das wären dann gut 10 000. "Die Kollegen erwarten aber, dass Blohm + Voss zu der überlebenden Hälfte zählt", sagt er. "Ich natürlich auch."

Seinen Optimismus stützt er auf die neuen Eigentümer, die Araber. Zweimal hat er Iskandar Safa, den Partner des Käufers Scheich Hamdan bin Zayed Al Nahyan, getroffen. Der Libanese, der auch an der Spitze der beiden von ADM übernommenen Werften in Cherbourg und Rendsburg steht, hat dabei einen guten Eindruck hinterlassen. "Wir kaufen als Schiffbauer einen anderen Schiffbauer", habe Safa versichert. Einer Übernahme durch einen Finanzinvestor hätten Betriebsräte und Gewerkschafter ohnehin nicht zugestimmt.

Nun soll der Libanese seine Kontakte in den Nahen Osten und nach Nordafrika spielen lassen. Algerien etwa möchte zwei Fregatten bestellen - vielleicht bei Blohm + Voss? Und wird es mit ADM möglich, neue Luxusyacht-Aufträge hereinzuholen? "Ich finde, dass die Chancen die Risiken überwiegen", sagt Oetting. "Schließlich hat ThyssenKrupp auch über das Aus der Fertigung in Hamburg nachgedacht." Nicht nur die ist vom Tisch, auch die Löhne und Arbeitsbedingungen sind für knapp zwei Jahre gesichert.

Trotz aller Unwägbarkeiten habe Blohm + Voss gute Perspektiven, ist Oetting überzeugt. Er wird noch drei Jahre lang bis zum Ruhestand auf Steinwerder bleiben.

Auch seine Kinder hoffen auf eine Zukunft für den Schiffbaubetrieb. Denn Oettings Sohn André (30) arbeitet ebenfalls seit 2008 fest als IT-Spezialist bei Blohm + Voss. Und Tochter Aleena hat gerade eine Ausbildung zur Wirtschaftsingenieurin begonnen - selbstverständlich auf Hamburgs bekanntester Werft.